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„Das Klientel, das meine Kleider kauft, ist in Tokyo dasselbe wie in Österreich. Aber die sind einfach mehr", so die österreichische Modedesignerin Edwina Hörl (36). Von Antje Mayer.

Architektur aus Stoff

Europäische Designer in Tokyo

Tokyo ist gigantisch groß: 11,8 Millionen Einwohner zählt die japanische Megametropole bereits. Ganz Österreich kommt gerade mal auf bescheidene acht. Schon deswegen schlug das östereichische Nachwuchstalent, ehemals Schülerin des japanischen Modezaren Yohji Yamamoto (57), ihre Zelte nun endgültig in der japanische Hauptstadt auf. „Diese sich ständig ändernde, dynamische Stadt voller ungelöster Identitäten ist so unendlich inspirierend“, meint Edwina Hörl.

Kenner wissen: Nicht London und schon gar nicht Paris: Tokio ist seit knapp vier Jahren die unbestrittene Modestadt Nummer eins. Internationale Designer aus aller Welt lassen sich, von dem schier unerschöpflichen Ideenreichtum der Tokoyter Kids beeinflußen. Im Stadtteil Harajuku zelebieren die jungen Japaner regelrecht einen Trend-Wettbewerb. Wer die originelleren Ideen auf Lager hat, wer nachgemacht wird, hat gewonnen. Dabei wird Tradition mit Neuem ungezwungen zusammengewürfelt: gekürzte Kimonos zu Röcken, gebrauchte Unterkleider über Hosen, Ringelsocken zu Plateausohlen. Länger als drei Monate währt kein Stil. Wer dann noch in alter Fasson komme, so der japanische Modefotograf Aoki Shoichi, Herausgeber der Straßen-Modemagazine „Street“ und „Fruits“, brauche sich in Harajuku nicht mehr sehen lassen.

Vor vielen Drei-Monat-Perioden war die „Barbie-Fashion“ der letzte Schrei. Da staksten tausende Schulmädchen auf gefährlich hohen Highheels, mit auftoupierter Loreley-Mähne, über Tokyos Asphalt. Bei der „Lose-Socks-Fashion“ ließ man die dicken Schuluniformstrümpfe absichtlich herunterrutschen und zu gigantischen Wülsten um die Knöchel anwachsen. Je größer der Sockenberg, desto hipper. „Das alles ist Architektur aus Stoff“, schwärmt Hörl.

Gekauft werden die Requisiten auf den Flohmärkten von Tokyo, wo sich auch Profis, wie Edwina Hörl eindecken: „Die Japaner wurden ab den fünfziger Jahren geradezu überschüttet mit Seconhand-Kleidern aus den USA,“ erklärt Hörl, „sie bildeten das erste Rohmaterial für die verschwenderischen Kreationen der jungen Tokoyter.“

Nicht so sehr die „Klassiker“ unter den japanischen Modedesignern, wie Kenzo Takada, Rei Kawakubo (Comme des Garçon), Issey Miyake und Yohji Yamamoto waren es, die Edwina Hörl nach Tokyo gelotst hatten, sondern der unverblümte Umgang mit Bekleidung auf der Straße: „Wir in Europa besetzen Kleidung immer mit Codes und überinterpretieren sie. Verkleidung wird bei uns mit Fasching gleichgesetzt. In Tokyo ist das was Positives.“

Im Land der Kirschblüten läßt man sich inspirieren. Jedoch: um Mode in Geld umzusetzen, geht kein Weg an den Pariser Modewochen vorbei. „In Europa sitzen sie Einkäufer. Da kann man sich leider nicht drücken“, gibt die Österreicherin zu. Anders schneidern müsse man für die Asiaten übrigens auch, so Edwina Hörl: "Die haben ihren Schwerpunkt wirklich in der Mitte des Körpers." Das kann man im philosophischen Sinne verstehen. Der eigentliche Grund sind die kürzeren Beine.



erschienen in Kunstzeitung Nr.46/Jun.00