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Von Nikolai Jeffs.

"Die slowenische Kultur des Wartens und der Angst"

Das Kaninchen vor der Schlange

Seit 1989 pflegt die slowenische Gesellschaft eine Kultur des Wartens: Warten auf das Ende des Sozialismus, Warten auf die Unabhängigkeit, Warten auf die internationale Anerkennung, Warten auf wirtschaftlichen Aufschwung und politische Demokratie, Warten auf die „Normalisierung“ der Situation in den restlichen Staaten Ex-Jugoslawiens, Warten auf die NATO- und die EU-Mitgliedschaft, Warten auf die Euro-Einführung…

Die drei letztgenannten Projekte reflektieren die allen zugrunde liegende Dynamik am besten. So wurde auch Sloweniens NATO-Mitgliedschaft als eine unumgängliche Notwendigkeit vermittelt. Keine der Parlamentsparteien erhob Einspruch, und einige führende Politiker aus dem In- und Ausland bekundeten öffentlich, dass sie keine Notwendigkeit für ein Referendum über die Mitgliedschaft sahen. Diverse Teile der Zivilgesellschaft dagegen kämpften für eine demokratische Auseinandersetzung mit dem Thema, in der alle Seiten berücksichtigt werden sollten, und forderten das Recht auf ein Referendum ein. Diese Forderung war eng mit der slowenischen Verfassung verknüpft, der zufolge die slowenische Politik stets friedliche und nicht-aggressive Ziele verfolgen muss.

Nachdem das Recht auf ein Referendum erkämpft war und dieses auch tatsächlich stattgefunden hatte, zeigten die Ergebnisse (2:1 für einen NATO-Beitritt) einen großen Schönheitsfehler in der slowenischen Demokratie auf. Einerseits wurden JournalistInnen, KünstlerInnen, Intellektuelle und weite Teile der Zivilgesellschaft ob ihrer kritischen Haltung zur NATO beziehungsweise ihrer Forderung nach einer ordnungsgemäßen demokratischen Auseinandersetzung mit dem Thema mit Argwohn betrachtet oder gar denunziert – das Außenministerium stellte unter dem liberaldemokratischen Minister Dimitrij Rupel sogar „Dissidentenlisten“ zusammen. Andererseits existierte kein Zusammenhang zwischen den Meinungen der Zivilgesellschaft und dem angeblich repräsentativen Charakter der Parlamentsparteien.

Das politische Klima vor der EU-Mitgliedschaft war auf eine gewisse Art und Weise traumatisch. Der slowenische Kultursoziologe Mitja Velikonja bezeichnete diese Zeit als „Eurosis“ – eine pro-europäische Hysterie, die jegliche Anerkennung von anderen Möglichkeiten und ihrer rationalen Auseinandersetzung ausschloss. Das Referendum über die EU-Mitgliedschaft wurde gemeinsam mit jenem über die NATO-Mitgliedschaft durchgeführt, so dass eine Trennung nicht so einfach möglich war. Und wenn das Endergebnis auch von jenem des NATO-Beitritts abwich, so war es eines totalitären Staates würdig, da rund 89% für die Mitgliedschaft stimmten.

Es ist also nicht überraschend, dass die EU-Mitgliedschaft im Jahr 2004 und die Euro-Einführung Anfang 2007 als genauso selbstverständlich und unumgänglich wahrgenommen wurden wie andere gesellschaftliche Reformen, die im Namen der „Europäisierung“ Sloweniens durchgeführt wurden: Abbau der Industrie, die fortschreitende Privatisierung des Gesundheitswesens, des Bildungs- und Sozialversicherungswesens, die deutliche Einschränkung der Zuwanderung und die Umsetzung einer restriktiven Grenzpolitik. Gleichzeitig wurde die Kultur des Wartens, die die letzten 20 Jahre bestimmte, von einem, manchmal impliziten und manchmal expliziten, Gefühl begleitet, dass man nur etwas mehr Zeit bräuchte oder mehr Opfer bringen müsste. Nach der Realisierung des Projekts X oder Y würde alles viel besser werden als zuvor. Tatsächlich stünde ein goldenes Zeitalter bevor. Bis dahin sollten brave Bürger warten, ruhig und geduldig sein und die Gürtel etwas enger schnallen.

Heute gibt es aber einen wesentlichen Unterschied zu den anfänglichen Jahren des Wartens. All die realisierten Projekte haben das goldene Zeitalter doch nicht herbeigeführt, wodurch all die bisherigen Versprechungen und die Opfer, die dafür eingefordert wurden, bedeutungslos zu sein scheinen. Damit konfrontiert, hat der Staat nun versucht, die Loyalität und Einheit durch ein neues Projekt der wirtschaftlichen Angst zu festigen – den Bedarf an neueren, und noch weiter reichenden Wirtschaftsreformen, wodurch einige soziale Errungenschaften der Vergangenheit beseitigt und die Arbeiterschaft noch stärker dem Kapital ausgeliefert werden würde.

Dieses Projekt der wirtschaftlichen Angst ist aber weder so grundlegend neu noch so grandios wie seine Vorgänger und bringt daher auch eine Kultur der politischen Angst mit sich. Dadurch, und vor allem seit der Machtübernahme der von der rechtsorientierten Slowenischen Demokratischen Partei dominierten Rechtsregierung, haben einige Phänomene merklich zugenommen (manchmal sogar dank staatlicher Unterstützung), wie etwa Rassismus, Homophobie, patriarchalische Versuche, Frauenrechte rückgängig zu machen, Kriminalisierung von Jugendsubkulturen sowie die Verfolgung diverser ethnischer Minderheiten.

Zum Beispiel verweigerte man nach der Unabhängigkeit Sloweniens den „Ausgelöschten“, einer Gruppe Ex-Jugoslawen, ihre Grundrechte, da die Regierung es vorzog, die Entscheidung des Verfassungsgerichts zu ignorieren, wonach diese Rechte gänzlich und ausnahmslos wieder hergestellt werden sollten. Ende 2006 wurde nach Protesten der slowenischen Bewohner des Dorfes Ambrus, die die Umsiedlung ihrer Nachbarn forderten, eine Roma-Familie von etwa 30 Mitgliedern aus ihrem Haus vertrieben und dieses zerstört.

Derartige ethnische Säuberungen gingen mit der Disziplinierung von Medien, Kultureinrichtungen und Wirtschaftsunternehmen einher. In der Folge von Firmenübernahmen und Gesetzesänderungen kann man von der größten slowenischen Zeitung Delo und dem staatlichen TV- und Radiosender behaupten, dass sie sich völlig nach der regierenden Slowenischen Demokratischen Partei ausgerichtet haben. Journalisten, die sich nicht anpassen wollten, oder zahlreiche Liberale und Linke, die in verschiedenen staatlich unterstützten bzw. geführten Institutionen arbeiteten, wurden eiskalt durch meist inkompetente, aber politisch loyale Kandidaten ersetzt, ohne jegliche Rücksicht auf Professionalismus, demokratische Prinzipien oder das allgemeine Wohl der Gesellschaft – ein Beispiel dafür war der ehemalige Delo-Redakteur Ervin Hladnik Milharčič oder der neue Direktorsposten der slowenischen Cinemathek.

Wenn Slowenien eine alarmierende Zunahme an intolerantem und rassistischem Diskurs in der Zivilgesellschaft, den Medien und des politischen Bereichs miterlebt hat, dann bedeuten weitere besorgniserregende Entwicklungen zusätzliche Einschränkungen im öffentlichen Bereich. Der amtierende Außenminister Rupel etwa (der seinen Posten durch einen opportunistischen Wechsel von den Liberaldemokraten zu den rechts orientierten Slowenischen Demokraten behielt und heute regelmäßig Beiträge für die Delo schreibt) hat sich dafür eingesetzt, dass die Arbeit von kritischen Journalisten unterbunden wurde. Die staatliche Unterstützung für einige Kunst- und Kulturschaffende, die als liberal oder links galten, wurde gestrichen. Der slowenische Philosoph Tine Hribar, der oft als Chefideologe der amtierenden Regierung gesehen wird, machte eine aufschlussreiche Bemerkung über seine eigene Ansicht und die des Ministerpräsidenten Janez Janša und seiner Minister für Justiz und Öffentliche Verwaltung. Hribar unterstützt den Wunsch der Politiker, den öffentliche Bereich Sloweniens (insbesondere die Universitäten) von ehemaligen Kommunisten zu säubern, fügt aber hinzu, dass dieser Prozess eher selektiv als allumfassend sein sollte. Diese Aussage impliziert, dass ehemalige Kommunisten, die nun dem neuen Regime ergeben sind, nicht betroffen sein werden, wobei es demnach nahe liegend ist, dass dieser Prozess der allgemeinen Säuberung der Universitäten alle linken oder liberalen Intellektuellen zwingen wird, sich entweder der regierenden Partei anzuschließen oder ihren akademischen Posten aufzugeben.

In Zusammenhang mit den Neubesetzungen in den bereits betroffenen Institutionen verwendete der oppositionelle, liberaldemokratische Parlamentarier Slavko Gaber den Ausdruck „Tsumani“. Der slowenische Ombudsmann für Menschenrechte, Matjaž Hanžek, bemerkte, dass obwohl die ehemalige, linksliberale demokratische Regierung nicht wirklich viel für die Verbesserung der Menschenrechtslage in Slowenien unternommen hatte, sie zumindest die Vielfalt der Meinungen anerkannte und akzeptierte. Hanžeks Meinung nach reagiert die amtierende Regierung hysterisch auf Meinungen, die von den ihrigen abweichen und akzeptiert keineswegs das demokratische Recht auf Meinungsfreiheit. Treffenderweise antwortete die Regierung auf Hanžeks internationalen Bericht über die Verschlechterung der Menschenrechtslage in Slowenien mit der Aussage, Hanžek würde den Ruf Sloweniens im Ausland beflecken. Diese Reaktion ist der eines jeden totalitären Staates würdig, insofern als dass die Aufrechterhaltung oder auch Aberkennung der Menschenrechte als Aufgabe des Staates betrachtet wird und nicht umgekehrt??.

Natürlich haben die Intoleranz gegenüber dem Dissens Einzelner, das durch den neoliberalen Kapitalismus geförderte Klima wirtschaftlicher Unsicherheit und das Versprechen, die Wirtschaft mit neuen Reformen noch flexibler zu machen (d.h. ihre Amerikanisierung), den Effekt, dass Klientelismus und Selbstzensur gefördert werden, wodurch weite Teile der Bevölkerung in Zaum gehalten werden, die Angst davor haben, Kritik zu äußern, damit sie nicht öffentlich denunziert werden, ihren Job oder andere für das Überleben notwendige Mittel verlieren.

Nach Jahren des Wartens, und ohne greifbare Ergebnisse des versprochenen goldenen Zeitalters vorweisen zu können, hat der Staat sich darauf verlegt, das Problem der slowenischen sozialen Schichtung und des demokratischen Pluralismus dadurch zu lösen, eine organische und populistische Einheit zu fördern. Folglich werden scheinbar bodenständige und volksnahe slowenische Kulturformen mit einem Hang zur Oberflächlichkeit gegenüber einer synkretistischen und kritischen Kultur begünstigt, die sich an ein spezifischeres und anspruchsvolleres Publikum wendet.

Angesichts individueller und sozialer Entfremdung werden die Rufe nach einer spirituellen und metaphysischen Einheit wieder spürbar lauter. So wird nun deutlich öfter auf Vertreter der katholischen Kirche als soziale und kulturelle Kommentatoren zurückgegriffen, und das nicht nur in religiösen Angelegenheiten sondern auch generell für jedes nur erdenkliche Thema. Man denke nur an den berühmten slowenischen Architekten Jože Plečnik – ein katholischer aber auch individualistisch-religiöser Mann, der einen Großteil seiner Werke mithilfe weltlicher Liberaler (wie etwa T.G. Masaryk) verwirklichte. Plečnik ist in weiten Teilen der Bevölkerung auch ein mächtiges Symbol des slowenischen Kulturerfolges. Und doch wird Plečnik gerade als möglicher Kandidat für eine Seligsprechung als katholischer Heiliger gehandelt und seine Arbeit dadurch in die Mission, den Ruhm der Kirche zu mehren, eingebunden. Der Staat macht die katholische Kirche tatsächlich zu einem der allgemein wirtschaftlich und politisch privilegiertesten Akteure der Zivilgesellschaft.

Hand in Hand mit der Verdammung des „inneren Feindes“ und der Belohnung für die Gläubigen, geht die Strategie einher, unterschiedliche Meinungen und verschiedene soziale Schichten durch die offizielle Förderung des Populismus und „hohlen Nationalismus“ zu vereinheitlichen, die an das Versagen der postkolonialen Staaten, wie es der bedeutende Theoretiker der Entkolonisierung, Frantz Fanon, einmal bezeichnet hat, erinnert. So lassen sich moralisch und wirtschaftlich ruinierte Regimes, das Klima einer unsicheren Gegenwart und unerfüllte Versprechen für die Zukunft etwa dadurch bewältigen, dass man die ideale Vergangenheit hochleben lässt, als die Menschen und Entscheidungsträger nur einen einzigen erfolgreichen Willen hatten. Deshalb überrascht es auch nicht, dass die slowenische Unabhängigkeit derzeit nicht nur in explizit militärischem Sinne beworben wird, sondern auch als Zeit, in der die Gesellschaft von einer allumfassenden Einheit geprägt war. Eine weitere Unwahrheit liegt in der Art, in der die Unabhängigkeit als ein Wert und Selbstzweck gefeiert wird, und weniger in der Art, die ihr eigentlich ursprünglich zugedacht war, nämlich als ein Mittel, durch das die Anerkennung der Menschenrechte, Demokratie, Demilitarisierung und des wirtschaftlichen Wohlstands für alle in Slowenien lebenden Menschen, unabhängig von ihrem sozialen Status, ihrer sexuellen Ausrichtung oder ethnischen Zugehörigkeit, garantiert werden soll.

Symptomatisch für diesen Prozess der selektiven Erinnerung ist etwa die Art, in der ehemalige Regimekritiker unter dem Sozialismus schnell zu opportunistischen Verrätern wurden, bereit ihre früheren Ideale im Namen der Verwirklichung ethnischer Teleologie und der raisons d' etat mit Füßen zu treten. In seiner Eigenschaft als erster Innenminister des unabhängigen Sloweniens erklärte Igor Bavčar, der ehemalige Vorsitzende des Menschenrechtskomitees, die Menschenrechte gewisser Exjugoslawen, die nach 1991 in Slowenien geblieben waren, aufzuheben. Sowohl Janez Janša als auch Tine Hribar können als lautstarke Antikommunisten bezeichnet werden. Dem ehemaligen kommunistischen Regime und seinem Erbe gegenüber kritisch eingestellt, verdeckt ihr Antikommunismus geschickt die Tatsache, dass sowohl Janša als auch Hribar einst Mitglieder der kommunistischen Partei waren und dadurch auch zu ihrem Machtapparat zählten.

Natürlich kann man sich über diese instrumentalisierten Haltungen gegenüber der Geschichte wundern, diese scheinbar unzusammenhängende Loyalität zwischen der Unterdrückung der internen sozialen, politischen und ethnischen Verschiedenheit auf der einen Seite und der “Euro-Atlantischen Integration” auf der anderen, besonders da diese Integration die Vielfalt der Kulturen und politischen Meinungen quer durch die (wenn auch nicht notwendigerweise innerhalb der) verschiedenen Staaten, die sich diesen Integrationsprozessen anschließen, (zwangsläufig) anerkennen muss.

Trotzdem herrscht eine gewisse dialektische Logik in all diesem Durcheinander vor. Die Angst bietet eine Möglichkeit, den Dissens im eigenen Land zum Schweigen zu bringen, während die Integration für Slowenien eine Möglichkeit darstellt, sich dem demokratischen Dialog mit den Mitgliedstaaten der neuen Allianz, der es beigetreten ist, anzuschließen und sich so als de jure (aber nicht de facto) demokratisch und anderen, ihrer Meinung, Politik und Hoffnung für die Zukunft gegenüber tolerant darzustellen.

Darüber hinaus sendet die NATO- und EU-Mitgliedschaft auch andere falschen Botschaften an Slowenien. Die Mitgliedschaft legitimiert nämlich rückwirkend, wie die Auflösung Ex-Jugoslawiens bewältigt wurde. Wie bereits erwähnt, wurde die Unabhängigkeit eher als ein Mittel für eine Verbesserung der Gesellschaft und weniger als Ziel und Zweck eines Staates dargestellt. Gleichzeitig, und im Gegensatz zum ethnisch-nationalistischen Extremismus, der die Kriege in Kroatien, Bosnien und Kosovo schürt, könnte der slowenische Nationalismus als bürgerlich, harmlos und progressiv angesehen werden. Diese Ansicht wurde nur dadurch verstärkt, dass Slowenien mit der EU-Mitgliedschaft „belohnt“ wurde, während andere ex-jugoslawische Staaten dadurch „bestraft“ wurden, dass sie noch immer auf einen Beitritt warten müssen.

Parallel dazu bewirkt die Beschränkung der Einwohnerzahlen durch Aufenthaltsgenehmigungen, Visa und eine Schengen-Grenzpolitik zwischen Slowenien und Kroatien und dem Rest Ex-Jugoslawiens die weitere Zerschneidung bestehender transnationaler Verbindungen in ganz Süd-Osteuropa. Es bestätigt auch die Ansicht der Nationalstaaten dieser Regionen, aus in sich geschlossenen und getrennten nationalen Kulturen ohne gemeinsame hybride Kulturtraditionen und Geschichten zu bestehen. Die NATO-Mitgliedschaft ist eine rückwirkende Billigung der NATO-Intervention im Kosovo, die das Finden von Gemeinsamkeiten zwischen den Albanern und Serben (homogenisiert zu kollektiv Schuldigen für die Verbrechen ihrer Führer) unmöglich macht. Gleichzeitig spricht sich die Mehrheit der slowenischen Öffentlichkeit gegen einen unabhängigen Kosovo aus. Angesichts der Unabhängigkeit Sloweniens ist das nicht mehr als eine rassistische Annahme darüber, wer das „eigentliche“ Recht auf einen Nationalstaat hat und wer nicht.

Die Öffnung der Tore Richtung Westen, ihre Schließung im Osten, sowie die Entwicklung homogenisierter Kulturen und Nationalstaaten beschränkt den internationalen und demokratischen Raum auf die für diese Kulturen und Staaten repräsentativsten Individuen und legitimiert dadurch in Wirklichkeit Ideologien des Rassismus, Nationalismus, Eurozentrismus, und ein Phänomen, das Ideologen der westlichen Hegemonie, wie Samuel Huntington, den “Kampf der Kulturen” nennen: Achtung vor dem ethnisch/sexuell/gesellschaftlich/politisch Anderen; eine gemeinsame europäische Geschichte ist mehr wert als eine gemeinsame Geschichte des Balkans; geistiges Erbe bedeutet mehr als weltliche Praxis oder Ökumene.

Die Tatsache, dass all die zuvor erwähnten Gründe eine gewisse Art der Integration gegenüber anderen lokalen, regionalen und internationalen Alternativen verstärken, kann man erkennen, wenn man sich vorstellt, was passieren würde, sollte Slowenien die EU- und NATO-Mitgliedschaft ablehnen. Eine derartige Ablehnung könnte sich aus dem Standpunkt eines äußerst engen, regressiven isolationistischen Nationalismus ergeben oder eines prinzipientreuen Regionalismus und Internationalismus (wie darauf zu beharren, dass die EU-Mitgliedschaft ein Paket für alle ex-jugoslawischen Staaten sowie jene des ehemaligen Sowjetblocks umfassen muss). So oder so könnte ein gegenwärtiger verworrener Kompromiss zwischen dem Anstieg eines innerstaatlichen Exklusionismus auf der einen Seite und einer selektiven europäischen Integration auf der anderen – und das charakterisiert heute viele EU-Staaten und Gesellschaften – zerschlagen sein. Die Folgen der Konfrontation mit den tatsächlichen Wirklichkeiten unserer derzeitigen Formen des sozioökonomischen und politischen Lebens könnten so weit reichend sein, dass sie viele dazu bringen könnten, die militärischen, politischen, kulturellen , wirtschaftlichen und nationalstaatlichen Prinzipien zu überdenken, auf die sich die regionale Integration der EU und die Globalisierung derzeit stützen. Es ist müßig zu sagen, dass dies ein beängstigendes Projekt für jene ist, die an der augenblicklichen Ordnung beteiligt sind.



Nikolai Jeffs ist ein in Ljubljana (Slowenien) tätiger Künstler, Essayist und Wissenschafter. Zu seinen Arbeiten zählen ein Dokumentarfilm (mit Andrej Pavlišič als Koautor) über die „alte Gewalt des neuen Europa“, der einzige slowenische Film, der es in die offizielle Auswahl des Zagreb Human Rights Film Festival 2006 geschafft hat. Er hat zahlreiche kulturelle Essays und politische Kommentare veröffentlicht und die slowenischen Ausgaben ausgewählter Essays von Noam Chomsky, Edward Said und das erste slowenische Lehrbuch über Afrikanistik (gemeinsam mit Borut Brumen) editiert. Jeffs unterrichtet derzeit am Kunstinstitut der Universität von Ljubljana.

Artikel erschienen in: REPORT. Magazin für Kunst und Zivilgesellschaft in
Zentral- und Osteuropa,März 2007
> Link: REPORT online > Link: Peace Institute Forum - "Immigrants, Slovenia, Europe"-