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Die Weinbergers arbeiten seit kurzem in einem Atelier auf einem alten Fabrikgelände in Mödling, einem Vorort südlich von Wien, kurz vor dem freien Acker. Zwischen den rußigen Ziegelsteinbauten wiegen sich Bäume im Herbstwind, das dunkle Erdreich ist matschig vom Regen, in den sich wild wuchernde Sträucher krallen. Dazwischen Unkraut, zerfetzte Plastiktüten, die an herabgefallenen Zweigen flattern. Städtisches Niemandsland. Randzone. Das ist der Garten des Künstlerpaars Franziska Weinberger (Jahrgang 1953) und Lois Weinberger (1947). „Ein perfekt provisorisches Gebiet“ nennen es die Zwei. Wie in der Dunkelheit will sich der Blick nur schwer gewöhnen. Garten? Wie auf einem Suchbild beginnt das Auge ihn Stück für Stück zu registrieren: den in die Erde gebohrten knorrigen Ast, an dem sich ein Baumsprössling emporrankt, die Steine, die wie beiläufig ein Beet mit Disteln markieren, dazwischen das fremdländische Kraut, das wie zum Trotz noch eine letzte Blüte dem nahenden Winter entgegenhält. Flora und zivilisatorischer Müll ist in der Weinberger Pheripherie so gleichberechtigt ist wie Gartenzwerg und Geranien im Schrebergarten. Von Antje Mayer.

“Born to be wild“

Lois und Franziska Weinberger in Hannover

Mit solchen detailliert nachlässigen Interventionen ist der Tiroler Lois Weinberger, der, bis er 40 Jahre alt war, weiterhin auf dem Bauernhof seiner Eltern gearbeitet hatte, als Künstler bekannt geworden. Der internationale Durchbruch gelang ihm 1997 auf der Catherine David-documenta X. Beuys hatte dort 1982 siebentausend bildstarke Eichen gepflanzt und nun kam Weinberger und setzte fern des White Cube-Zirkus längs der Bahngleise eines stillgelegten Bahnhofs unspektakuläres Unkraut ein und nannte das Kunst. Die Medien überschlugen sich vor Begeisterung angesichts des anarchischen Werks ohne klassischer Autorenschaft, ohne Rahmen, ohne Zaun, ohne räumliche oder zeitliche Begrenzung. „Meine Kräuter wuchern bis heute zwischen den Kassler Trassen“, lacht Lois Weinberger.
Naturbewegt in der Erde zu wühlen und Land Art zu designen, ist den Weinbergers ihr Ding nicht. Um den Kontext geht es ihnen und um den zu zeigen, ist ihn „jedes Mittel recht“. Born to be wild. Also zeichnen die Weinbergers ihre typischen fiktiven „Landkarten“, denen sie Begriffe einschreiben, bauen architektonische Pflanzen-Installationen für öffentliche Gebäude, schleppen ihre portablen Gärten in billigen Plastikreisetaschen und rollbaren Aluminiumkästen von Japan bis Rom und vervollständigen als „unsystematische Pflanzenforscher“ ihr Gartenarchiv. Seit 1999 tun sie dies alles gemeinsam. Franziska Weinberger („meiner wichtigsten Impulsgeberin und Gesprächspartnerin“, so ihr Mann) hatte als promovierte Kunsthistorikerin davor lange in der Galerie Krinzinger gearbeitet.
„Das hat alles hat nichts mit einem romantischen Naturbegriff zu tun. Im Gegenteil. Für uns sind unsere Eingriffe politische Statements.“ Modelle für alternative Lebensstrategien hatte es Lóránd Hegyi einmal genannt. Pflanzungen als politische Geste? Klar. Wer einmal durch die in Symmetrie gezwängten Gärten von Versailles gewandelt ist, dürfte förmlich gefühlt haben, wie sehr Natur als ideologische Metapher taugt.
Im Mödlinger Atelier der Weinbergers steht auf dem Fensterbrett übrigens eine Wanne mit Wasser. Darin halb eingetaucht ein geschnürtes Paket Zeitungen. Ein zartes Pflänzlein sprießt bereits aus dem Papierhaufen, ein wenig Schimmel wuchert schon am Rande. Das Druckwerk dürfte bald überwuchert sein. Ein Statement der Weinbergerischen Art, extra für das Interview drapiert? Es wäre ihnen zuzutrauen.



Bis 30. November 2003 zeigt der Hannover Kunstverein im Innen- und Außenbereich und im öffentlichem Raum die Ausstellung „Lois & Franziska Weinberger" mit Projekten der letzten 10 Jahre und neuen Arbeiten, wie etwa „Darwin’s Home“, die das erste Mal dort gezeigt werden.
erschienen in Kunstzeitung Nr.87/Nov.03,S.17