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Von Silvia Eiblmayr, Jiří Ševčík, Branka Stipancić, Adam Szymczyk, Georg Schöllhammer.

„Die Geschichte der Gegenwartskunst in dieser Sammlung ist eine Geschichte von ‚Nachbarschaften‘“

Silvia Eiblmayr, Jiří Ševčík, Branka Stipanić, Adam Szymczyk, Georg Schöllhammer urteilen über Kunst

Die fünf Mitglieder der internationalen Jury von Kontakt - Die Kunstsammlung der Erste Bank - Gruppe für zeitgenössische und moderne Kunst im Überblick: Silvia Eiblmayr, Jiří Ševčík, Branka Stipanić, Adam Szymczyk, Georg Schöllhammer


Silvia Eiblmayr

„Die Auseinandersetzung mit der Kunst der ehemals sozialistischen, jetzt postsozialistischen Länder war immer Teil meines kuratorischen Interesses, das sich auch in der Arbeit für den Aufbau der Sammlung niederschlägt. Dabei sollte eine Erfahrung, die man mit Ausstellungen immer wieder machen kann, auch zum Tragen kommen, nämlich dass künstlerische Arbeiten, die in ausgesuchte Kontexte oder in spezielle thematische Zusammenhänge gesetzt werden, ästhetisch produktiv werden und bisher nicht beachtete Bedeutungen freisetzen können. Die Sammlung soll durch gezielt hergestellte Querverbindungen einen hermeneutischen Beitrag zum historischen und aktuellen Verständnis und zur Interpretation der geistigen, kulturellen und politischen Felder bilden, die die beteiligten Länder miteinander teilen oder in denen sie sich voneinander unterscheiden.“

Silvia Eiblmayr ist Kunsthistorikerin und Direktorin der Galerie im Taxispalais in Innsbruck. Von 1988 bis 2004 arbeitete sie als Lektorin an der Akademie der bildenden Künste in Wien und u. a. an der Kunsthochschule für Medien Köln und an der Universität in Zürich. Als Gastprofessorin war sie außerdem u. a. an der Universität London, an der Akademie der Bildenden Künste München und an der Universität für künstlerische und industrielle Gestaltung in Linz tätig. Sie veröffentlichte zahlreiche Texte zur modernen und zeitgenössischen Kunst, u. a. „Die Frau als Bild - Der weibliche Körper in der Kunst des 20. Jahrhunderts” (“Woman as Picture - The female Body in 20th Century Art”), Dietrich-Reimer Verlag, Berlin 1993.

Jiří Ševčík
„Ich erwarte mir, dass die Sammlung jene Lücke schließt, die in vielen musealen Sammlungen klafft: Sie soll verdrängte Bilder des Unterbewussten zeigen. Ich freue mich darauf, dass eine hohe Konzentration bedeutender künstlerischer Arbeiten aus Osteuropa zu sehen sein wird, die auf unterschiedlichen Realitäten, unterschiedlichen Erfahrungen und unterschiedlichen Zeiten basieren. Die Sammlung könnte auch das zeigen, was wir gar nicht voneinander wissen wollen. Und vor allem könnte sie insofern Impulse setzen, als sie neue Erfahrungen verarbeitet, die wir noch vor uns haben. Dadurch werden wir wohl etwas in unsere Erfahrung aufnehmen müssen, das sich erstaunlicherweise auch als unsere Realität erweist, und wir werden mit etwas umgehen lernen müssen, das so fremd gar nicht ist und doch nicht den anerkannten Standards entspricht.“

Jiří Ševčík wurde 1940 in der Tschechoslowakei geboren und war 1962 bis 1965 u. a. Chefredakteur des Magazins „Architektura CSR“. Von 1966 bis 1989 lehrte er an der Prager Architekturfakultät am Institut für Theorie und Geschichte der Kunst und Architektur. Von 1990 bis 1993 war er Chefkurator der Galerie der Stadt Prag und 1993 bis 1996 Direktor der Sammlung für moderne und zeitgenössische Kunst der Nationalgalerie Prag. Seit 1996 ist er als Vize-Direktor der Akademie der angewandten Künste in Prag tätig und seit 1997 außerdem Leiter des Forschungszentrums und Archivs für tschechische Kunst.

Branka Stipancić
„In vielen ost- und südosteuropäischen Ländern gibt es bekanntermaßen Sammlungen zeitgenössischer Kunst, die in Depots gehortet werden, weil die Museen über keine geeigneten Räumlichkeiten verfügen, um diese Werke der Öffentlichkeit zu zeigen. Man denke nur an die bemerkenswerte ArtEast Collection 2000+ der Moderna Galerija in Ljubljana oder die Sammlung internationaler Kunst des Museums für zeitgenössische Kunst in Zagreb. Ich bin überzeugt, dass die Sammlung unterschiedliche, bis vor kurzem eher isolierte Kulturräume verbinden und der Öffentlichkeit Arbeiten zeigen wird, die - aus rein nicht-künstlerischen Gründen - jahrelang unbeachtet geblieben sind. Ich zweifle nicht daran, dass die Sammlung den Dialog fördern und zu einem besseren Verständnis zeitgenössischer Kunst beitragen wird.“
Branka Stipancić ist Kunstkritikerin und freie Kuratorin, lebt und arbeitet in Zagreb (Kroatien). Sie war von 1983 bis 1993 Kuratorin am Museum für zeitgenössische Kunst in Zagreb und Direktorin des Soros Center für zeitgenössische Kunst in Zagreb von 1993 bis 1996. Sie kuratierte u. a. die Ausstellung „Baltic Times“ im Museum für zeitgenössische Kunst Zagreb und in der Galerie im Taxispalais in Innsbruck (2001), „Chinese Whispers“ in apexart in New York (2000), „Aspects/Position“ im MUMOK Wien (1999) und „The Future is Now“ im Museum zeitgenössischer Kunst in Zagreb (1999). Jüngste Publikationen sind „Mangelos nos. 1 to 9 ½“ (Museu Serralves, Porto, 2003) und „Connections - Contemporary Artists from Australia“ (HDLU, Zagreb, 2002).

Adam Szymczyk
„Die Sammlung schlägt eine deutlich andere, neue Richtung ein, öffnet sich der Kunst aus Mittel - und Osteuropa. Der von ihr betrachtete geografische Raum ist nicht und darf auch nicht zu eng gesteckt sein. Das Hauptaugenmerk liegt auf Kunst, die bisher größtenteils der Aufmerksamkeit bedeutender privater und öffentlicher Sammlungen (in Westeuropa) entgangen ist. Wir sind überzeugt, dass die Sammlung einen wichtigen Beitrag für ein umfassenderes Verständnis der Ausdrucksformen in der zeitgenössischen Kunst der letzten 40 Jahre leisten kann. Viele Arbeiten, die gezeigt werden, sind in Westeuropa kaum bekannt, selbst in Expertenkreisen nicht. Die Sammlung wird somit auch einen wichtigen erzieherischen Aspekt haben und - so bleibt zu hoffen - so manches Dogma der jüngeren Kunstgeschichte neu definieren."
Adam Szymczyk ist 1970 in Piotrków Trybunalski in Polen geboren. Der Kurator und Autor ist derzeit Direktor der Kunsthalle Basel. Von 1994 bis 1995 war er kuratorischer Assistent für Film und Video am Zentrum für zeitgenössische Kunst in Warschau. Er war außerdem von 1997 bis 2003 als Kurator für die Stiftung Galerie Foksal in Warschau tätig. In den vergangenen zehn Jahren arbeitete er an Ausstellungen und Publikationen von und über Künstler wie Pawel Althamer, Douglas Gordon, Susan Hiller, Job Koelewijn, Edward Krasinski, Claudia und Julia Müller, Gregor Schneider, Piotr Uklanski, Krzysztof Wodiczko. Für folgende Gruppenausstellungen war er u. a. als Kurator tätig: „Roundabout“ (CCA, Warschau, 1998), „Amateur“ (mit Ko-Kuratoren Mark Kremer and Charles Esche, Kunstmuseum Göteborg, 2000) „Painters’ Competition“ (Galeria Bielska BWA, Bielsko-Biała, 2001), „Hidden in a Daylight“ (zusammen mit Joanna Mytkowska und Andrzej Przywara, Cieszyn, 2003).

Georg Schöllhammer
„Was mich an der Arbeit dieser Sammlung besonders interessiert, ist - neben der Hoffnung, mit ihr gewisse Ungleichgewichte in der Kunstgeschichtsschreibung der letzten Jahrzehnte ausgleichen helfen zu können - das Nachdenken über die Konsequenzen eines ‚global cultural flow‘. Die Sammlung wird thematisch etwas bündeln, um es dann wieder freizugeben und in verschiedenen Kontexten auch in der Herkunftsregion arbeiten zu lassen. Und das wird begleitet von Forschungsstipendien, Publikationen, einer Dokumentation von Kontextmaterial und einer wohl durchdachten Reihe von anderen Maßnahmen, die lokal Effekte haben sollen.
Was in der gängigen Version des universalistischen Redens von der Globalisierung der Kunst und in vielen privaten Sammlungen unter den Tisch fällt, ist der Gründungsjury besonders wichtig: dass das Ethos von Lokalität eine Eigenheit des künstlerischen Lebens ist.
Die Geschichte der Gegenwartskunst in dieser Sammlung als eine Geschichte von ‚Nachbarschaften‘, d. h. von mehr oder weniger isolierten und labilen Bezugssystemen, zu erzählen, das wäre unser Anspruch. Wir hoffen, dadurch und darüber auch zu einer Geschichte von neuer Kunst als einer Technik, die Lokalität produziert, beitragen zu können. Gleichzeitig hoffen wir, dass eine solche Sichtweise es ermöglichen wird, zu erkennen, welchen Anteil bei der Produktion entsprechender Kategorien Künstler, Intellektuelle, Museumsleute, Galeristen, die lokale Politik und das soziale, mediale, ökonomische Spannungsfeld etc. innehaben.
Ich wünsche mir, dass es uns gelingt, über die nächsten Jahre mit dem Aufbau dieser Sammlung in diese Richtung zu arbeiten. Ich würde das - auch wenn das paradox klingen mag – als eine politische Aufgabe bezeichnen.“


Georg Schöllhammer ist Leiter von tranzit Österreich, Kulturjournalist und Kurator. 1988 bis 1994 schrieb er für die Tageszeitung „Der Standard“. Seit 1992 hält Schöllhammer als Gastprofessor Vorlesungen über die Theorie der Gegenwartskunst an der Universität für künstlerische und industrielle Gestaltung in Linz. Darüber hinaus zeichnete er als Kurator u. a. für das internationale Kooperationsprojekt „translocation (new) media/art“ und Co-Kurator des Festivals „du bist die welt“ der Wiener Festwochen 2001 und von Ausstellungen in Jerewan und Sofia 2002 verantwortlich. Als Chefredakteur und verantwortlicher Textchef bei „springerin - Hefte für Gegenwartskunst“ bemüht sich Schöllhammer seit mehreren Jahren auch um Kulturthemen in Zentraleuropa. Er ist Herausgeber einer Publikationsreihe der documenta 12, die ab 2005 erscheinen wird.



Artikel erschienen in: REPORT. Magazin für Kunst und Zivilgesellschaft in
Zentral- und Osteuropa,April 2005
> Link:REPORT online > Link: about Jiri Sevcik , Kurzbiographie- > Link: about Silvia Eiblmayr- > Link: about Adam Szymczyk- > Link: about Georg Schöllhammer- > Link: Zagreb, Museum für zeitgenössische Kunst- > Link: Ljubjana, Moderna Galeria- > Link: Kunsthalle Basel- > Link: Tranzit- > Link: Springerin. Hefte der Gegenwartskunst-