Aktuell *Ost Über Uns Archiv Impressum English




Von Duska Anastasijević .

Belgrader Mauer

Strenge Visum-Bestimmungen machen Europa für die serbische Bevölkerung zu einem weit entfernten Kontinent.Ein Bericht aus Belgrad.

<Die Annäherung Serbiens an die EU, die nach der Ära Milosević, der Unabhängigkeitserklärung im Juni 2006 und der Abspaltung Montenegros realistisch erschien, hat sich erneut zerschlagen. Serbien ist zu einem kleinen Staat auf dem Balkan geschrumpft. Seine vielen Grenzen (Ungarn, Rumänien, Bulgarien, Mazedonien, Albanien, Montenegro, Kroatien, Bosnien-Herzegowina) verdeutlichen nur die Isolation der Menschen im Land.Strenge Visum-Bestimmungen machen Europa für die serbische Bevölkerung zu einem weit entfernten Kontinent. Ein Bericht aus Belgrad.

Jeder Serbe, der älter als 25 Jahre alt ist, kann etwas über das Ausharren in langen Warteschlangen erzählen – eine unter der Herrschaft des verstorbenen Slobodan Milosević häufig ausgeübte Disziplin. Die Menschen denken nicht gerne daran zurück, wie sie vor den nach dem Pyramidensystem organisierten Banken um ihr Geld anstanden. Mit den über Serbien aufgrund seiner Kriegsanstrengungen in Bosnien-Herzegowina verhängten internationalen Sanktionen lernten sie, sich für Benzin anzustellen oder dieses auf dem Schwarzmarkt zu erwerben. Also tankten sie ihre Autos aus Fässern in dunklen Straßen oder Hinterhöfen. Sie warteten in langen Schlangen, um Milch, Mehl, Speiseöl oder andere lebenswichtige Waren zu kaufen. Während des NATO-Feldzugs 1999 standen sie sogar stundenlang um Zigaretten an. Die meisten Serben hofften, diese Erfahrung hinter sich gelassen zu haben, als sie vor sechs Jahren das Regime Slobodan Milosevićs stürzten, und sie werden normalerweise nicht gern an Elektrizitätsengpässe und lange Warteschlangen erinnert. Heute wird dieser Umstand in ihnen nicht vor den Geschäften oder Tankstellen Belgrads wieder wachgerufen, sondern vor den Botschaften der EU-Länder, wo sich lange Schlangen von Menschen bilden, die auf ihre Visa warten. In diesen Warteschlangen trifft man auf eine höchst ungewöhnliche Mischung von Menschen, die unter normalen Umständen kaum oder gar keine Gelegenheit fänden, sich zur gleichen Zeit am selben Ort zu versammeln. Eine ältere Dame, die ihre im Ausland lebenden Enkelkinder sehen will, wartet neben den Kindern anderer, die einen Studien- oder Arbeitsaufenthalt im Ausland planen. Ein Forscher steht hinter einem Herrn, der in einem EU-Land eine zweite medizinische Meinung einholen will, andere möchten nur Freunde besuchen. Manche haben bereits eine weite Reise aus einem entfernten serbischen Dorf hinter sich. Diese Warteschlangen sind auch die wenigen Orte, an denen heutzutage Serben und Albaner in Belgrad aufeinandertreffen, da einige Menschen aus dem Kosovo glauben, mit ihrem alten jugoslawischen Pass leichter einen Visumstempel zu bekommen als mit dem neuen UNMIK-Dokument. Die ihnen von Botschaftsbeamten zugeteilten Nummern gelten in dieser Schlange mehr als ihre Namen und ethnische Herkunft. Alle klammern sich an mit Dokumenten prall gefüllte Mappen und warten, bis sie an der Reihe sind, während die Polizei für Ordnung sorgt. Wenn dann ihre Nummer aufgerufen wird, haben sie Gelegenheit, ihren Reisewunsch einem Konsulatsbeamten darzulegen. Dabei müssen sie nicht nur einen wirklich guten Grund für ihre Reise vorlegen können, sondern den Beamten auch davon überzeugen, dass sie auch vorhaben, wieder zurückzukehren, und für diese letzte Selektion sind sie mit allen möglichen Dokumenten bewaffnet. Ihre Reise nach Kanada, in die USA oder in irgendein Schengen-Land hat jedoch nicht vor einer Botschaft begonnen. Die meisten brauchten Tage, Wochen sogar, um die nötigen Dokumente, die für die Ausstellung eines Visums offiziell erforderlich sind, zusammenzutragen. „Genau betrachtet ist die Beantragung eines Visums nicht komplizierter als, sagen wir, ein Hotelzimmer zu buchen“, erklärt Bernhard Hauer, scheidender Generalkonsul der deutschen Botschaft in Belgrad. „Alles hängt davon ab, inwieweit Sie die Kriterien erfüllen, und die sind relativ einfach.“ Doch Marina, Volkswirtin aus Belgrad, die Freunde in Amsterdam besuchen wollte, entgegnet, dass sie kein Hotel kenne, das nach einem Beschäftigungsnachweis, dem eigenen Kontostand der vergangenen drei Monate, einem Nachweis der Pensionskasse, Kopien aller Kreditkarten und einer Krankenversicherung für die Dauer des Aufenthaltes fragen würde, zusätzlich zum Pass, zwei neuen Fotos und einer schriftlichen, von der Polizeibehörde in Amsterdam abgestempelten Einladung ihrer Freunde. „Obendrein verlangten Sie von mir an Ort und Stelle, auf ein Blatt Papier kurz aufzuschreiben, wie ich meine Freunde kennengelernt hatte und in welcher Beziehung wir zueinander stehen“, erzählt sie. Predrag, der diesen Sommer mit seiner Frau Nevena und ihrem zehn Jahre alten Sohn Aleksa nach Spanien auf Urlaub fuhr, erzählt, dass man in der Botschaft nach einem Nachweis der Schule seines Sohnes verlangte, gemeinsam mit einer Bestätigung, dass das Schuljahr offiziell beendet war. „Ich vermute, die spanischen Behörden sind ungeheuer daran interessiert, dass Aleksa keinen Unterricht verpasst“, schmunzelt Predrag, als er sich an die Prozedur zurückerinnert. Die meisten Dokumente mussten ins Spanische übersetzt werden, fügt er hinzu, aber „eine Frau zu haben, die ein Sprachinstitut leitet, vereinfacht die Sache natürlich“. Geschäftsreisende oder Personen, die der Einladung einer anerkannten Institution folgen, bekommen ihr Visum normalerweise leichter, aber auch das ist nicht immer eine Garantie. Als ein international bekannter Belgrader Journalist vom Büro Javier Solanas, dem EU-Außenminister, eingeladen wurde, in Brüssel an einem Seminar über europäische Sicherheit teilzunehmen, waren die Beamten in der belgischen Botschaft nicht sehr beeindruckt: „Es tut uns leid, aber die EU ist keine belgische Einrichtung“, lautete die frostige Antwort. Es bedurfte der Intervention hoher Kreise aus Brüssel, um den Journalisten rechtzeitig zum Seminar zu bringen, nach dessen Beendigung er aber keinen einzigen Tag länger verweilen durfte. Deshalb verzichten viele lieber völlig auf das Reisen. Einigen Umfragen zufolge waren mindestens 70 Prozent aller Studierenden noch nie im Ausland, nicht einmal in den vier Nachbarstaaten, die von serbischen Bürgern kein Visum verlangen – Kroatien, Bosnien-Herzegowina, Mazedonien und Bulgarien –, drei davon ehemalige jugoslawische Republiken. Es wird zunehmend schwieriger, auch innerhalb der Region zu reisen, da Serbiens Nachbarn unter dem Druck, die Vorgaben aus Brüssel zu erfüllen, eine Visumspflicht eingeführt haben. Ungarn und Rumänien waren die Ersten und nun beginnt auch Bulgarien zögernd anzukündigen, dass es diesem Beispiel folgen müssen wird. Anscheinend besitzt die Hälfte der Bevölkerung nicht einmal einen Pass (auf dem immer noch der Name des ehemaligen Jugoslawiens steht, einem Land, das es nicht mehr gibt), da ihn die Menschen unter den gegebenen Umständen für ein überflüssiges Dokument halten. Sie haben entweder kein Geld oder keine Freunde im Ausland oder weder das eine noch das andere. Oder sie erinnern sich wehmütig an die Zeiten zurück, in denen sie mit ihren jugoslawischen Pässen während des Kalten Krieges ohne Visum in den Osten oder Westen gefahren sind. „Es scheint, als wären nicht alle Teile der Berliner Mauer im Museum gelandet“, bedauert Goran Svilanović, erster serbischer Außenminister nach der Milosević-Ära. „Einige Teile wurden verwendet, um die Festung Europa mit einer anderen, der Schengen-Mauer, zu verstärken. Diese Mauer polarisiert Europa nun mehr, als es die Berliner Mauer je getan hat“, schreibt Svilanović, derzeit Spitzenfunktionär des Südosteuropa-Stabilitätspakts, in seinem Internet-Tagebuch. Gekoppelt mit der schleppenden Wirtschaftsreform und der Tatsache, dass die Gespräche mit der EU verschoben wurden, da Belgrad seinen Verpflichtungen gegenüber dem Haager Tribunal nicht nachgekommen ist, ruft die „Schengen-Mauer“ ein Gefühl anhaltender Isolation in Serbien hervor. Laut einer von der serbischen Regierungsstelle für europäische Integration Ende 2005 durchgeführten Studie assoziieren bis zu 70 Prozent der Bürger die EU mit Bewegungsfreiheit. „Mörder und Verbrecher reisen uneingeschränkt durch den Schengen-Raum“, bemerkt Svilanović, „während einfache serbische Bürger das nicht können“. Dejan Milenković alias „Bugsy“, der in den Mord am serbischen Ministerpräsidenten Zoran Djindjić verwickelt gewesen sein soll, wurde vergangenen Sommer in Griechenland mit einem gültigen griechischen Visum festgenommen. Dieses Gefühl der Isolierung hat bereits zu einem Europa-Skeptizismus in Serbien geführt. Während die Unterstützung der Öffentlichkeit bezüglich einer EU-Mitgliedschaft Serbiens abnimmt, verstehen es die rechtspopulistischen Parteien, die Stimmung für sich zu nutzen. Auch in den europäischen Hauptstädten hat dieses Klima einige Besorgnis ausgelöst. Um sein Image in Serbien zu verbessern, schlug Brüssel vor, den Visumzwang für Studierende, Personen aus Wissenschaft und Politik sowie Geschäftsleute zu lockern und einigen von ihnen Visa zur mehrfachen Einreise auszustellen. Diese Initiative wurde kürzlich sehr stark von Doris Pack, der Vorsitzenden der Südosteuropa-Delegation des Europäischen Parlaments, begrüßt. Viele sind jedoch der Meinung, dass dieser Schritt „zu spät“ gekommen sei und nur einen kleinen Teil der Bevölkerung betreffe. Die Verantwortung liegt aber auf beiden Seiten und auch Belgrad sollte verstärkt darüber nachdenken, wie man das Image Serbiens in Brüssel aufpolieren könnte. Es wären eine Verbesserung und Verstärkung der Grenzkontrollen und eine Regelung des Umgangs mit Asylbewerbern aus der Dritten Welt nötig, um nur einige der Schritte zu nennen, die Rumänien und Bulgarien gesetzt haben, um in eine „weiße“ Schengen-Liste aufgenommen zu werden. In der Zwischenzeit wird sich die Mehrheit der Serben mit der Tatsache begnügen müssen, das Ausland eher in Hochglanzmagazinen, TV-Sendungen oder im Internet zu sehen zu bekommen. Der amerikanische Psychiater Raymond Babineau, der während des Kalten Krieges in einem US-Lazarett in Berlin tätig war, hatte genügend Gelegenheit, viele „zwanghafte Grenzgänger“ zu studieren – ruhelose Seelen, die sich wiederholt der Gefahr aussetzten, auf die andere Seite des Eisernen Vorhangs zu gelangen, um „von einem Seelenzustand befreit, in einen neuen und besseren katapultiert zu werden“. Solche Fälle gibt es hier nicht. Jedenfalls noch nicht.



Grundsätzliche Einreiseerfordernisse für Österreich:
persönliche Vorsprache des Visumwerbers
gültiger Reisepass und Kopie der ersten zwei Seiten dieses Passes
Vorlage des vorherigen Reisepasses
aktuelles Passfoto
Antragsformular, vom Visumwerber in deutscher oder englischer Sprache vollständig und in lateinischen Blockbuchstaben ausgefüllt und unterschrieben (bei minderjährigen Visumwerbern Unterschrift eines Erziehungsberechtigten)
bei alleinreisenden Minderjährigen: gerichtlich oder notariell beglaubigte Einverständniserklärung von beiden Eltern sowie Geburtsurkunde
• eine Kranken- und Unfallversicherung, die folgende Kriterien erfüllt:
Deckungssumme mindestens 30.000 Euro
Gültigkeit in allen Schengen-Staaten (nur Öster-reich ist nicht ausreichend)
Gültigkeitsdauer der Versicherung muss der Gültigkeitsdauer des Visums entsprechen
Der Sitz der Versicherungsgesellschaft muss in

Österreich oder einem EU-Staat liegen Sämtliche Dokumente in serbischer Sprache sind mit deutscher Übersetzung in Maschinenschrift vorzulegen!
Abhängig von der Art des Visums sind weiters erforderlich
zum Beispiel bei einem Besuchervisum (Bearbeitungs-dauer: sieben Tage):
Verpflichtungserklärung des Einladenden im Original, gerichtlich oder notariell beglaubigt mit Angabe der Telefonnummer des Gerichts/Notars
aktueller Einkommensnachweis des Einladenden (Original oder beglaubigte Kopie)
Kopie des Reisepasses (beziehungsweise Staatsbürgerschaftsnachweises) des Einladenden; wenn der Einladende ausländischer Staatsbürger ist, auch Kopie des österreichischen Aufenthaltssichtvermerkes
Kopie des Mietvertrages des Einladenden samt Nachweis der Wohnkosten beziehungsweise Kopie des Kaufvertrages/Grundbuchauszuges
bei Verwandtenbesuch: Verwandtschaftsnachweis (Urkunden)
Arbeitsbestätigung des Arbeitgebers
Arbeitsbuch und Kopie
Bestätigung über Urlaubsausmaß
Bestätigung über Gehalts-, Pensions- oder sonstige Einkünfte


Duska Anastasijević studierte Politikwissenschaft und International Relations and European Studies an der Central European University in Budapest. Sie ist Journalistin und verfasst regelmäßig Beiträge für das wöchentlich in Belgrad erscheinende Magazin „Vreme“ und für das „Time“-Magazin.

Artikel erschienen in: REPORT. Magazin für Kunst und Zivilgesellschaft in
Zentral- und Osteuropa,Oktober 2006
> Link: REPORT online > Link: Aussenministerium.at/belgrad-