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Der Andrang war groß seinerzeit 1968 in Köln bei der Eröffnung von XSCREEN. Es war schließlich das erste Zentrum im deutschsprachigen Raum, in dem man ausschließlich Underground- und Avantgardefilme, sehen konnte. Die Experimentalfilmer und Gründer von XSCREEN, Birgit und Wilhelm Hein (documenta 6, 1977), präsentierten bei der Premiere österreichische Filme von „Wilden“ wie Otto Muehl, Kurt Kren oder Peter Weibel und VALIE EXPORT. Der Skandal war freilich vorprogrammiert. Von Antje Mayer.

Film ab im MUMOK

„Der Andrang des Publikums war so groß“, erzählt Birgit Hein, „dass wir eine zweite Veranstaltung ansetzen mussten. Als dann der ‚20. September’ von Kurt Kren lief“, kann sich Hein (Jahrgang 1942) erinnern, „flüchtete ein großer Teil des Publikums. Heute gelten die XSCREEN-Veranstaltungen als legendär.“
Damit man sich vom so genannten „Expanded Cinema“ eine Vorstellung machen kann: Peter Weibel und VALIE EXPORT führten damals in Köln ihr Stück „Cutting“ vor. Aus einer Papierleinwand, die vom Projektionslicht angestrahlt wurde, schnitt VALIE EXPORT Buchstaben aus, die einen Satz ergaben. Anschließend schnipselte sie Weibels Brusthaare ab und vollführte einen Fellatio an ihm. So schön konnte „Kino“ in den 60er und 70er Jahren sein!
XSCREEN hieß auch die Ausstellung im Museum Moderner Kunst Stiftung Ludwig in Wien (Kurator: Matthias Michalka). Solche „Filme“, wie die von Weibel und VALIE EXPORT, filmische Installationen, Texte und Plakate aus den 60er und 70er Jahren von insgesamt 36 internationalen Künstlern wurden dort bis 29. Februar gezeigt.
Alle sind sie versammelt, die künstlerischen Experimentierer, Forscher und Medienpioniere: Sei es Andy Wahrhol, Wolf Vostell, Nam June Paik oder Carolee Schneemann, Dara Birnbaum, nicht zu vergessen Bruce Nauman, Dan Graham, Dennis Oppenheim und natürlich Vito Acconci.
Eine Ebene im unübersichtlich verwinkelten MUMOK ist für Popart-Ikone Warhol reserviert. Der hat nämlich nicht nur Marilyn Monroe im Siebdruck verdoppelt, sondern auch Filme produziert. Etwa „Lupe“, einer seiner ersten Werke, die als Doppel- und Dreifachprojektion gezeigt wurden und den Spiegel als gestalterisches Mittel einsetzten, um die lineare Erzählung zu demontieren. Die Geschichte des Stückes nimmt sich- typisch Showman Warhol, weniger konzeptionell aus. Sie basiert auf dem Skandal um die Hollywoodschauspielerin Lupe Velez, die ihren Selbstmord kunstvoll inszenieren wollte und letztendlich mit dem Kopf in der Toilette starb.
In den Sechzigern und Siebzigern stellten sich die Künstler Fragen, die in der zeitgenössischen Medienkunst wieder aktueller denn je sind: Wie verhält sich der Körper im Raum? Wie nimmt man medial die Wirklichkeit wahr? Welchen Einfluss haben die Medien auf unser zwischenmenschliches Verhalten? Erstaunlich: Diese Themen werden inzwischen zwar mit modernen, digitalen oder „interaktiven“ Mitteln umgesetzt, letztendlich nehmen sie sich gar nicht viel anders als damals aus.
Wann kriegt man als Normalsterblicher schon solches, kunsthistorisch einmaliges, Filmmaterial annähernd so originalgetreu inszeniert präsentiert? Das MUMOK hat sich mit dieser Ausstellung einiges angetan. Hut, äh, Film ab.



erschienen in Kunstzeitung Nr.90/Febr.04,S.25
> link: Mumok