Aktuell *Ost Über Uns Archiv Impressum English




Auf dem Balkan wird man geboren, man heiratet, man stirbt. So wie es Menschen überall auf dieser Welt tun, aber auf dem Balkan tut man es trotzdem ganz anders. Endlichkeit und Unendlichkeit sind sich in diesem Teil der Erde näher als anderswo, so wie der Name „Bal-kan“ zwei gegensätzliche Worte beinhaltet, die dennoch zusammenpassen: „Blut“ und „Honig“. Vier Impressionen... Von Antje Mayer.

Balkan 4x forever!

Das Unermessliche und Unendliche ist...(Fjodor M. Dostojewski, Tagebuch eines Schriftstellers)

Forever I: Bis der Tod euch scheidet, oder warum die Liebe auf dem Balkan unendlicher als anderswo ist.

Einer der rührendsten traditionellen Zeremonie, die ich kenne, ist die „Kanagjeci“, die man im Kosovo in der Nacht vor der Hochzeit begeht. Der junge kosovarische Künstler Erzen Erzen Shkololli hat dieses Ritual in einer gleichnamigen Videoarbeit dokumentiert und das Thema „Braut“ in seiner Fotoserie „Bride“ bearbeitet.
Im Kreise ihrer weiblichen Angehörigen, Mutter, Schwester, Cousinen und Freundinnen, verabschiedet sich die Braut – oft gerade einmal 15 Jahre alt- für immer von ihrer Familie. Nach dem "Kanun des Lek Dukagjini", dem 600 Jahre alten albanischen Gewohnheitsrecht, nachdem in manchen Landstrichen des Kosovos heute noch gelebt wird, „gehört“ sie nämlich ab den Tag ihrer Hochzeit der Familie ihres Ehemannes. Vielerorts wird der für die Frau noch ausgesucht. Sie hat ihm ohne Einschränkungen zu gehorchen, muss ihm treu sein und kann sich –außer in wenigen Ausnahmen- zeitlebens nicht mehr von ihm scheiden lassen.
Die Frauen sind in den meisten Fällen vom Erben ausgeschlossen. Nur nach dem Tod des Ehemannes kehrte sie -und lediglich wenn schon alle Kinder verheiratet sind- in ihre ursprüngliche Hausgemeinschaft zurück. Wenn sie gegen den Kanun verstößt, darf die Blutrache vollzogen werden. Die einzige Möglichkeit, sich der Ehe zu entziehen, ist zu schwören, ein Leben lang Jungfrau zu bleiben, dann werden ihr gewisse männliche Rechte zugeschrieben.
Bei der „Kanagjeci“ sitzt die Braut mit einem roten Tuch, als Zeichen für Blut, völlig verhüllt inmitten der Frauen, wiegt sich, weint bitterlich Stunden, hysterisch schreit sie, um sie ebenfalls weinenden Frauen, die sie trösten: Die Kindheit der jungen Braut ist ab morgen für immer vorbei, als Jungfrau erwartet sie am nächsten Tag ihre erste sexuelle Erfahrung mit einem Mann, den sie wahrscheinlich das erste Mal zu Gesicht bekommt, die Trennung von ihren geliebten Menschen ist unabwendbar.
Zum Ende der Zeremonie bringt man der Braut einen Topf mit Erde aus dem Garten ihrer Eltern. Sie taucht beide Hände in den braunen Schlamm und drückt ihre Handabdrücke auf einen Karton. Nur diese „Spur“ wird den Eltern von der Tochter bleiben.

Forever II: Tito forever!

Sage und schreibe 20 Millionen Pilger besuchten Titos Mausoleum in der serbischen Hauptstadt seit seinem Tod am 4. Mai 1980. Das fand ich nicht etwa auf einen Friedhof oder auf einen großen Platz wie in Moskau, sondern praktischerweise im einstigen Siebzigerjahre-Flachdach-Sommerbungalow des einstigen jugoslawischen Führers. „Der Marschall“, so sagt man in Belgrad, „ist einfach zuhause geblieben“.
Diese James Bond-Luxus-Villa steht über den Hügeln der Stadt und heißt poetisch „Haus der Blumen“ (Kuća cveća). Heute kommen nur noch ein paar hundert Verehrer pro Woche. Ein Bund vertrockneter Blumen vor dem Schrein, in den Indoor-Beeten rund herum wächst struppiges Gras, im Vestibül ein voll gekritzeltes Kondolenzbuch, in dem man „Tito forever – I love you“ lesen kann. Keine Ehrengarde mehr, nur noch eine Videokamera und ein grimmiger Bodyguard und ein letzter respektloser Gruß der Nato: große Bombensplitter, direkt neben dem Schrein. Die fielen durch das Dach. Überreste des „Friedensbeschusses“ im April 1999 auf die Villa der Milošovics, die nur ein paar hundert Meter hinter der letzten Ruhestätte des einstigen Partisanenführers steht. „Die leere Munition wird zum Gedenken an die Bombennächte von Belgrad nicht weggeräumt“, verrät mir der Bodyguard. Ein skurriler Ort.

Forever III: Wie ausgerechnet der chinesische Konfustar Bruce Lee auf den Balkan Unsterblichkeit erlangte

Während des Krieges hatten sich die Schergen des Balkankrieges gegenseitig ihre Helden von den Sockeln geschossen. Die alten Herren taugen nun nicht mehr zur Verehrung und dennoch ist die Sehnsucht nach neuen Vorbildern groß.
Als ich Mostar (Bosnien-Herzegowina) Ende des vergangenen Jahres besuchte, erfuhr ich, dass sich die dortige multi-ethnische Stadtregierung kürzlich, nach jahrelangem Hin und Her, endlich auf ein neues Heldenmonument einigen konnte. Man hatte jemanden gefunden, der in Augen aller Ethnien eine Ehrung für die Ewigkeit verdient, nämlich keinen Geringeren als ausgerechnet den asiatische King of Konfu: Bruce Lee. Sein Denkmal soll nun an einem zentralen öffentlichen Platz in Mostar aufgestellt werden.
Und was hat Lee mit der Mostar zu tun? „Nichts“, meint Nino Raspudiæ von der Künstlerinitiative Urban Movement, auf dessen Konto die Aktion geht. „Wir hoffen einfach, dass in Zukunft kaum einer mehr über Mostar als die ‚geteilte Stadt’, als die ‚Stadt der 20.000 Toten’ reden wird, sondern sie als Ort in Erinnerung bleibt, an dem eben das Bruce Lee-Monument steht. Liebt nicht fast jeder den Konfustar?“ fragt Raspudiæ. „Er rauchte nicht, er trank kein Alkohol. Vielleicht war er dumm, aber er war verdammt schnell.“

Forever IV: Enden wir mit dem Ende.

Auf einen kleinen Belgrader Friedhof entdeckte ich einst einen Grabstein. Es war das des jungen Dragan S. Mit gerade einmal 22 Jahren hatte er die Augen für immer geschlossen. So stand es kyrillisch neben einem serbisch-orthodoxen Kreuz auf dem schwarzen Steinblock eingraviert. So bigotte die Vorderseite seines Grabsteines war, so überraschend weltlich seine Rückseite. Dort war ein Porträt des lächelnden Dragan á la Nightrider mit zurückgegeltem Haar, in Jeans, nacktem Oberkörper und offener Lederjacke abgebildet, hinter ihm hatte man ein teures Sportauto mit Spoiler, daneben eine Rolex und sogar ein Surfbrett in den Stein eingemeißelt. Statussymbole, die sich der junge Serbe vor seinem Tod „erarbeitet“ hat. Fragen wir nicht wie. Was will uns dieser Grabstein sagen? Und wenn er nicht gestorben ist, dann liegt er doch am Strand von Malibu!? Wer weiß.

Balkan – Forever - Tipps

+++Reiseführer Kosovo. Einer der auf die Schnelle informativsten (von den wenigen) Reiseführern über das Kosovo ist „Das Kosovo entdecken. Kultur und Natur zwischen Amselfeld und den albanischen Alpen“ von Susanne Wenzel, Trescher Verlag, 2002. Empfehlenswert!

+++Wer gute Leute in Prishtina (Hauptstadt von Kosovo) treffen möchte, der schaut am besten bei „Exit – Contemporary Art Institute“ vorbei, ein sehr aktives Zentrum für zeitgenössische Kunst in Prishtina. Der Dreh- und Angelpunkt der Kulturszene im Kosovo. Dort werden außerdem Workshops, Vorträge und Seminare veranstaltet. Kontakt: Sylejman Vokshi, L 2 Hyrja 2 lokali podrum, Prishtina, Kosova, Tel.: + 381(0) 38 245 749

+++Einer der angesagten Treffpunkte in Pristhina für junge Leute während des Tages ist der Laden „Ginger“. Ein CD-Shop, den Armen Kabashi betreibt. Von Punk bis Funk, von Noise bis Blues, hier bekommt man alles. Adresse: Bill Klinton Bulevard, Prishtina, Kosova, armendkabashi@hotmail.com

+++'House of Flowers' (Kuæa cveæa) - Tito's Mausoleum in Belgrad neben dem Museum der Geschichte Jugoslawiens
Botiæeva 6, 11040 Beograd, Tel.: +38/(0)11/3671/296

Neben dem riesigen Komplex des leerstehenden „Museum der Geschichte Jugoslawiens“ befindet sich das Mausoleum im ehemaligen Sommerbungalow von Tito in einem malerisch gelegenen Park mit Bäumen mit wunderbarer Sicht über Belgrad. Geheimtipp: Im Keller des Museums nebenan befindet sich eine riesiges Archiv aller 300.000 Geschenke, die der Balkan-Chameur Tito zu Lebzeiten erhalten hat, darunter von Sophia Loren, J.F. Kennedy oder Saddam Hussein: von Minipanzer mit eingravierten Liebesschwüren an den Marschall, Sowjetstern-Kissen mit Rüschenrand, auch ein Miniatur-Atomkraftwerk aus Elfenbein. Nach Momo Cvijoviæ fragen, vielleicht gewährt er Einlass.

+++Die Website für Tito-Freaks: www.titoville.co
Sehr kultig mit Liedern, Filmen und sogar Ansprachen des Marschalls, einen Fotoalbum und sogar einen Screensaver, eine Rubrik heißt: „All my wives and other women“, eine andere „Jokes on me“. Auf dem Balkan erlebt Tito gerade so etwas wie ein Comeback, aber eher auf den Jugo-Nostalgie-Clubbings der Jugend, auf denen seine Hymnen gespielt werden, ohne die jüngere Generation damit noch etwas verbindet.

+++Der Besuch Belgrader Friedhöfe sind für Andacht und soziologische Studien ein Must. Eine Auswahl: Novo groblje (Neuer Friedhof), Ruzveltova 50, Centralno groblje (Zentralfriedhof) Zaplanjska 47a.
Das Bestattungswesen ist in der serbischen Hauptstadt übrigens vorbildlich geregelt. Es existiert sogar eine eigene Website auf Serbisch und Englisch. Für nähere Informationen zur serbischen Bestattungspraxis kontaktiere man bitte den Bestattungsdienst-Direktor Nebojša Perunièiæ, JKP "Pogrebne usluge", Ruzveltova 50, Tel.: +38/(0)11/2701/300, Fax: +38/(0)11/329/15/17, www.beogradskagroblja.co.y

+++Wer mehr über das Bruce Lee Denkmal in Mostar (der heimlichen Hauptstadt von Herzegowina) erfahren will, der kontaktiert am besten Nino Raspudiæ von Urban Movement in Mostar: ninorasp@hotmail.com.

+++Einen Abstecher in die wunderschöne Stadt Mostar sollte machen, wer an der nahen dalmatinischen Küste urlaubt. Sehenswert ist die wunderschön renovierte Altstadt aus dem 15. Jahrhundert und die berühmte 400 Jahre alte Stari Most-Brücke, die 1993 im Krieg zerstört und bis 2004 wieder neu aufgebaut wurde. Beobachte die jungen Männer dabei, wie sie aus schwindelerregender Höhe in den kalten Fluss Neretva springen, der den Ort bis heute (zumindest mental) in eine kroatische und einen bosnische Seite teilt. Die Jungs verlangen für ihre Mutprobe gewöhnlich 20.- Euro von den Touristen. Sie machen es aber auch für 5.- Euro. Nur cool bleiben. Teile der Stadt sind nach wie vor zerschossene Kriegsruinen.