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Wenn das Tiroler Künstlerpaar Lois und Franziska Weinberger einen Garten designt, dann heißt das für die beiden ihn zu vernachlässigen. Mit Präzision und System. Über die Kunst eines perfekt provisorischen Gebiets. Von Antje Mayer.

Born to be wild

Die Weinbergers arbeiten seit kurzem in einem Atelier auf einem alten Fabrikgelände in Mödling bei Wien, kurz vor dem freien Acker. Zwischen den rußigen Ziegelsteinbauten wiegen sich Bäume im Wind, das dunkle Erdreich ist matschig vom Regen und Schnee, in das sich wild wuchernde Sträucher krallen. Dazwischen Unkraut, zerfetzte Plastiktüten, die an herabgefallenen Zweigen flattern. Städtisches Niemandsland. Randzone. Das ist der Garten des Tiroler Künstlerpaars Franziska Weinberger (Jahrgang 1953) und Lois Weinberger (1947). „Ein perfekt provisorisches Gebiet“ nennen es die Zwei.
Der Blick kann sich wie an die Dunkelheit nur schwer gewöhnen. Wo ist hier bitteschön ein Garten? Wie auf einem Suchbild beginnt das Auge ihn Stück für Stück zu erfassen: den von Menschenhand in die Erde gebohrten knorrigen Ast, an dem sich ein Baumsprössling emporrankt, den Steinkreis, der wie beiläufig ein Beet mit Disteln markiert, dazwischen sprießt fremdländisches Kraut. Flora und Zivilisation sind in der Weinbergerschen Peripherie so gleichberechtigt wie Gartenzwerg und Geranien in einem Schrebergarten.
Mit solchen unkonventionellen Natureingriffen und detailliert nachlässigen Interventionen ist Lois Weinberger, der, bis er 40 Jahre alt war, weiterhin auf dem Bauernhof seiner Eltern gearbeitet hatte, als Künstler bekannt geworden. Der internationale Durchbruch gelang ihm 1997 auf der documenta X in Kassel. Beuys hatte ebendort fünfzehn Jahre zuvor siebentausend Eichen öffentlichkeitswirksam gepflanzt und nun kam Weinberger und setzte fern des Kulturtrubels längs der Bahngleise eines stillgelegten Bahnhofs unspektakuläres Unkraut ein und nannte das Kunst. Die Medien überschlugen sich vor Begeisterung angesichts des anarchischen Werks ohne klassische Autorenschaft, ohne Zaun, ohne räumliche oder zeitliche Begrenzung. „Meine Kräuter wuchern bis heute zwischen den Kassler Trassen“, freut sich Lois Weinberger.
Naturbewegt in der Erde zu wühlen und Land Art zu designen, ist den Weinbergers ihr Ding nicht. Um den Kontext geht es ihnen. Born to be wild. Also zeichnen die Weinbergers ihre typischen fiktiven „Landkarten“, denen sie Begriffe einschreiben, bauen architektonische Pflanzen-Installationen für öffentliche Gebäude, schleppen ihre portablen Gärten in billigen Plastikreisetaschen und rollbaren Aluminiumkästen von Japan bis Rom. Seit 1999 tun sie dies alles gemeinsam. Franziska Weinberger („meiner wichtigsten Impulsgeberin und Gesprächspartnerin“, so ihr Mann) hatte als promovierte Kunsthistorikerin davor lange in der Wiener Galerie Krinzinger gearbeitet.
Der Garten müsse, so Lois Weinberger, ein Symbol der Ruhe, der Nicht-Intervention, des einfachen Existierens sein. Dem Traum nach Wildnis und unberührter „schöner Natur“ hänge er hingegen nicht nach. Denn auch wenn man Natur heute einfach vernachlässige, könne man ihren Urzustand nicht mehr zurückbringen. Denn die Menschen würden die Welt nun einmal unwiderruflich verändern, indem sie in ihr leben.
Szenewechsel Innsbruck. Vor der Neuen Sozial- und Wirtschaftsuniversität der Tiroler Hauptstadt hat das Künstlerpaar vor vier Jahren gemeinsam mit dem Architekturbüro henke & schreieck und dem Kurator Georg Schöllhammer einen rundum geschlossenen Stahlgitterkäfig auf dem Bauaushub des Universitätsgebäudes hingestellt. „Garten – eine poetische Feldarbeit“ betiteln die Beiden das Kunstwerk am Bau. Im Inneren wächst und wuchert, was man allgemein schamhaft im Stadtgebiet vernichtet: Unkraut und Müll. Nicht innerhalb des Zauns herrscht gärtnerische Ordnung, sondern außerhalb. Eine witzige Umdrehung dessen, was man gemeinhin gewohnt ist.
„Einige Einheimische regten sich furchtbar darüber auf“, erzählt Franziska Weinberger. „Für sie war der Müll und das Unkraut regelrecht ein Affront. Inzwischen haben sie sich allerdings daran gewöhnt -zumindest an das Unkraut.“
Das Arbeiten mit Ruderalpflanzen, Unkraut, ist für die Künstler ein wesentlicher Bestandteil ihrer Arbeit. „Unkraut ist die Opposition der Natur gegen die Regierung der Gärtner“, hatte schon der österreichische Maler Oskar Kokoschka festgestellt. Diese wilden Nomaden taugen für die Weinbergers perfekt als Sinnbild alternativer Überlebensstrategien. Sie erkennen keine territorialen Grenzen an und keine Trennlinien zwischen urbanen und natürlichen Zonen. Diese Pflanzen sind Überlebens- und Anpassungskünstler. In ihrem berühmten Gartenarchiv, das aus 624 Dias besteht, haben die Zwei als „unsystematische Pflanzenforscher“ ein Großteil ebensolcher floralen Anarchisten dokumentiert, die zwischen 1988-1999 in ihrem Garten in der Wiener Peripherie wuchsen. Seit neuesten pflanzt das Paar sogar digital. Unter www.internetgarten.at sprießt die Wilde Möhre, der Wiesenknöterich oder der Ackersenf. „Schicken Sie uns eine Pflanze! Sie werden in den virtuellen Garten eingesetzt“, fordern dort Lois und Franziska Weinberger die User zur Selbstinitiative auf. Nicht nur im Netz, auch in Ausstellungen und in einem Katalog sollen die Einsendungen später publiziert werden.
„Für uns sind unsere Eingriffe politische Statements“, erklärt Franziska Weinberger. „Modelle für alternative Lebensstrategien“ hatte es der Ex-MUMOK-Direktor Lóránd Hegyi einmal genannt. Pflanzungen als politische Geste? Klar. Wer einmal durch die in Symmetrie gezwängten Gärten von Versailles gewandelt ist, dürfte förmlich gefühlt haben, wie sehr Natur als ideologische Metapher taugt.
Im Mödlinger Atelier der Weinbergers steht auf dem Fensterbrett eine Wanne mit Wasser. Darin halb eingetaucht ein geschnürtes Paket Zeitungen. Ein zartes Pflänzlein sprießt bereits aus dem Papierhaufen, ein wenig Schimmel wuchert schon am Rande. Das Druckwerk dürfte bald überwuchert sein. Die Menschen meinen die Natur zu beherrschen, aber wahrscheinlich hat sie sich nur an sie gewöhnt.



erschienen in H.O.M.E Nr.02/Febr.04,S.86ff
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