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Zehn neue Beitrittsländer begrüßte am 1. Mai die Europäische Union, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten. Sich in Kürze über die aktuellen Kunstszenen jener Nationen eine Übersicht zu verschaffen, ist ein nahezu unmögliches Unterfangen. Und doch soll der Versuch gewagt werden: subjektiv und unvollständig muss er bleiben. Von Antje Mayer.

Reine Überlebensstrategie

Auch wenn am 1. Mai alle Richtung Osten blickten, wussten Sie, dass auf dem kleinen Malta (350.000 Einwohner) einst Caravaggio für die Johanniter malte und dass es dort auch ein Ort für Zeitgenössisches gibt: das St. James Cavalier Centre for Creativity. Oder Zypern (755.000 Einwohner). Dort stehen nicht nur eine Menge Museen für die archäologischen Schätze des Landes. Seit 1990 existiert dort eine State Gallery of Contemporary Art (in Nicosia).
Wer in den vergangenen zwei Jahren die einschlägigen internationalen Biennalen und Kunstausstellungen besucht, die Magazine und Feuilletons durchgeackert hat und durch die Galerien der Städte gestreift ist, der wird aber wohl nicht abstreiten, dass in Sachen Kunst ein Beitrittsland besonders aufgefallen ist, mit rund 38,7 Millionen Einwohnern das größte, nämlich Polen. Wer es noch nicht gemerkt haben sollte: Aus diesem Land kommen nicht nur Putzfrauen, sondern Kuratoren und Künstler, die prägnant, frisch und mit hohem Qualitätsanspruch an ihre Arbeit gehen. Die zeichnet sich vor allem durch eines aus: Sie ist gesellschaftskritisch, politisch und trotzdem humorvoll. Alles Eigenschaften nach denen die Kunstkritiker in den westlichen Kunstszenen (erfolglos?) fahnden.
Das mag daran liegen, dass Museen in Polen bis heute kaum Kunst des 20. Jahrhundert zeigen, wie etwa die polnische Staatsgalerie „Zacheta“ in Warschau oder Muzeum Sztuki Lόdź, dafür aber Zeitgenössisches in den vielen privaten Wohnungs- und Privatgalerien wie der „Laznia“ und der „Wyspa“ in Danzig, oder der „Raster“ in Warschau. Das mag daran liegen, dass sich die Polen, schon seit den Zwanzigern, vor allem aber seit den Fünfziger Jahren unter der so genannten „sanften kommunistischen Diktatur“, wesentlich an den europäischen Avantgarden nicht -wie etwa in Ungarn- nur orientiert, sondern auch aktiv beteiligt hatten und vor allem im westlichen Ausland rezipiert wurde. Reibung erzeugt bekanntlich kreative Hitze. Die polnische Kunstszene muss sich heute immer wieder mit dem Problem der Zensur, besonders seitens der Kirche und konservativen Parteien herumschlagen. Dass die Polen auf eine besonders tragische jüngere Geschichte im zweiten Weltkrieg zurückblicken und die polnische Regierung trotz heftiger Proteste der Bevölkerung den Irak-Krieg befürwortet, trägt sein Scheuflein bei.
Das viel kleinere Ungarn (10 Mio. Einwohner) setzt zwar auch auf Soldaten im Irak, aber auch stark auf Kultur, nicht zuletzt wie Österreich aus touristischen Gründen. „Pflege und Erhaltung kultureller Werte“ bildet einen wichtigen Bestandteil seines Europa-Planes. Der ungarische Ministerpräsident Péter Medgyessy setzte ab 1. Mai Zeichen. Der Eintritt in die staatlichen und kommunalen Museen wird angeblich fürderhin frei sein. Im April wurde in Budapest das Holocaust-Museum eröffnet und gerade wird eines für moderne Kunst gebaut.
Das jüngste, aber arme, Beitrittsland Slowakei (5,4 Mio. Einwohner) kann sich solch einen hohen Einsatz für die Kunst nicht leisten. Darunter leidet die Szene, zu der unter anderen die Initiative Burundi (ehemals Buryzone mit Mediathek, Verlag und Ausstellungsraum), das Kulturzentrum A4 oder die Galerien Hit und Priestor gehören. Jene müssen sich ihr Geld für ihre Kunstevents und Ausstellungen nach wie vor vorwiegend von den ausländischen Botschaften, Initiativen und Sponsoren zusammenschnorren. Jedoch gerade weil das in der Slowakei so ist, gibt sich die junge Kunstszene dort außergewöhnlich zäh und lebendig. Das bestätigt auch der tschechische Kurator Vít Havránek (Leiter des tschechischen Ablegers der zentraleuropäischen Kulturplattform www.tranzit.org): “Tschechische Künstler arbeiten meiner Erfahrung nach sehr konzeptionell, fast schon ‚sophisticated’ und orientieren sich intensiv an der eigenen Kunstgeschichte. In der Slowakei hingegen wird direkter an die Sache herangegangen: viel radikaler, unmittelbarer, mehr aus dem Bauch heraus. Das mag vielleicht daran liegen, dass dieses Land von der Landwirtschaft geprägt wurde und wird.“
Die Tschechen (10 Mio. Einwohner) haben hingegen ihre Identität von jeher über ihre Kultur definiert, umso traumatischer wurde die Flucht der Kunstszene in eine „erzwungene Privatheit“ während des Kommunismus empfunden, der in der Tschechoslowakei anders als im blockfreien Jugoslawien oder in Polen und Ungarn, besonders streng gegen die freie Kunst agatierte. Der Schock dieses „schizophrenen Zustandes der Existenz“ (Vít Havránek) scheint bis heute anzudauern. Die Wunden sind tief und heilen langsam. Ungewöhnlich langsam schaufelt sich die Szene frei. Das mag nicht zuletzt noch unterstützen, daß kaum ein Beitrittsland über so viele institutionelle Orte der Kunstvermittlung verfügt wie Tschechien, insbesondere deren kulturgeschichtlich vorbelastete Hautstadt Prag. Angefangen von der Nationalgalerie unter deren umstrittenem Künstler-Direktor Milan Knižák, die renommierte Stadtgalerie, das Museum für angewandte Kunst (UPM), die Galerie Mánes oder die des Rudolfinum. Die private Galerien wie die Gandy, Svéstka, Behemot oder MXM verdienen hingegen so gut wie kein Geld. Vielleicht belebt ja die Biennale das Geschäft: Mai 2005 soll sie zum zweiten Mal unter den Kuratoren Helena Kontová und Giancarlo Politi (Flash Art Magazine) in Prag stattfinden.
Für den Kurator Gregor Podnar gibt es in seinem kleinen Heimatland Slowenien (2 Mio. Einwohner) solcherart Events und Orte viel zu wenige, auch wenn die mediterrane Hauptstadt Ljubljana über eine lebendige Kunstszene verfügt (siehe im Jahr 2000 die Manifesta3 oder das Center for Contemporary Art Ljubljana: www.scca-ljubljana.si). Genauso würden entsprechende Medien in Slowenien fehlen, ärgert sich Podnar, die die Vermittlerrolle für die Kunst übernehmen könnten. Zeichen für den Mangel an Plattformen sei, daß slowenische Künstler im Ausland immer noch viel stärker als im Inland rezepiert würden. Was sicher zudem daran liegt, daß Slowenien als Drehscheibe zwischen Westeueropa und den am Kunstmarkt in den vergangenen Jahren außerordentlich gehipten „Balkan“ fungiert. Die kulturelle Entwicklung in Slowenien gehe Podnars Meinung nach aber deswegen auch mehr in Richtung eines am Mittelmaß orientierten Kompromisses.
Zu einer kulturpolitisch viel strengeren Union als dem blockfreien Jugoslawien, nämlich der sowjetischen, gehörten die baltischen Beitrittsländer Litauen, Estland, Lettland (ges. 7,5 Mio. Einwohner). Ein Erbe, an dem diese bis heute noch zu knappern haben. Die Balten mussten in den ersten drei Jahren ihrer Unabhängigkeit schlichtweg um ihr Überleben kämpfen, interne ethnische und politische Probleme lösen. Inzwischen sind die Kultur-Kontakte zu den benachbarten EU-Ländern, wie etwa Finnland enger, die Altstädte von Riga und Tallin renoviert und nicht mehr nur Einzelpersonen, sondern kleine Szenen repräsentieren die zeitgenössische Kunst. Geld für Kunst gibt es wie überall wenig.
„Machen wir uns nichts vor“, gibt sich Ivan Mečl, Herausgeber des tschechischen Kunstmagazins Umělec, reserviert, „Die Kunstszenen in den neuen Beitrittsländern leben, aber sind finanziell scheintot. Die Regierungen verfügen über kaum Geld für zeitgenössische Kunst und die freien Kunstmärkte liegen so gut wie noch brach. Die Künstler müssen wohl oder übel gen Westen schielen. Nicht, daß sie das wollen. Reine Überlebensstrategie. Solange es keine privaten Sammler gibt, wird das so bleiben. Und das dürfte noch lange dauern.“



erscheinen in Kunstzeitung Nr.93/ Mai 04, S.21
> Tranzit > Center for Contemporary Art Ljubljana-