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Von Alexander S. Emanuely.

Erweiterter europäischer Rechtsextremismus: Neue Patrioten, neue Allianzen

Mit dem Beitritt von Rumänien und Bulgarien entsteht ein EU-weites Netzwerk mit Sitz in Brüssel.

Rechtsextreme Tendenzen scheinen in der europäischen Politik Ländersache zu sein. Fast jeder Staat in Europa ist mit nationalen Fraktionen und Parteien konfrontiert. Doch sind die FPÖ in Österreich, der Front National in Frankreich und all die anderen wirkliche eine regionale Erscheinung oder längst ein EU-weites Problem? Mit dem EU-Beitritt von Rumänien und Bulgarien im Januar 2007 bildete sich auch im Europaparlament die Rechtsaußen-Fraktion Identität – Tradition – Souveränität (ITS). Zu ihr schlossen sich Mitglieder des Europäischen Parlaments aus der bulgarischen Ataka-Partei und der Großrumänienpartei mit jenen des Vlaams Belang, des Front National, der FPÖ und der italienischen Neofaschisten zusammen. Wird die EU als Plattform populistischer, nationaler Tendenzen missbraucht?



Die rechtsextremen Parteien der Beitrittsländer

Der 23-jährige Dimitar Stojanov von der Ataka-Partei in Bulgarien zog im Herbst 2006 die Aufmerksamkeit des Europäischen Parlaments auf sich. Das EU-Parlament hatte seinerzeit beschlossen, die ungarische Christdemokratin Lívia Járóka zur besten Abgeordneten des Jahres zu küren. Die Reaktion des damals noch mit einem Beobachterstatus in Straßburg sitzenden Stojanov war eine E-Mail an das Parlamentspräsidium, in der er schrieb, dass es in seinem Land „Zehntausende von Zigeunermädchen, die viel schöner sind als diese Ehrbare“ gebe, hinzufügend, dass „die besten unter ihnen teuer, bis zu 5000 Euro das Stück“ seien. Lívia Járóka ist Roma und setzt sich stark für die Rechte dieser Volksgruppe in der EU ein. Ihre Arbeit wird durch Leute wie Volen Siderov, den Parteigründer von Ataka, der die Roma „zu Seife verarbeiten“ möchte, sicher nicht erleichtert.
Die Ataka-Partei vertritt Positionen wie jene, dass Bulgarien durch die Ausländerflut, durch die Türken und „Zigeuner“ im Land und durch die „unter jüdischem Einfluss stehenden“ USA bedroht werde. Bei den bulgarischen Parlamentswahlen 2005 erhielt die Partei fast neun Prozent der Stimmen. Seit Anfang 2007 ist Dimitar Stojanov ihr einziges Mitglied des Europäischen Parlaments (MdEP).
Die Großrumänien-Partei ist mit fünf Abgeordneten im Europa-Parlament vertreten. Diese politische Vereinigung war im Jahr 2000 mit 21 Prozent der Stimmen noch die zweitstärkste des Landes. Ihr Gründer Corneliu Vadim Tudor erreichte bei Präsidentschaftswahlen sogar 33 Prozent. Inzwischen bewegt sich die Partei nahe der 13-Prozent-Marke.
Tudor war bis 1989 bekannter Staatsdichter, der Ceauşescu als „großen Patrioten“ bezeichnet. Nach 1990 wurden seine Gedichte antisemitisch. Zitat: „[…] Rabbi, Rabbi, du alter Gaul/du alter weichhirniger Mann in Lumpen/du spuckst auf die heiligen Dinge Rumäniens […].“ Im Wahlkampf der Großrumänien-Partei wird gegen Roma und Sinti genauso wie gegen die ungarische Minderheit gehetzt. „Zigeunerbanden“ sollen „kurzerhand liquidiert“, „Juden zu Seife“ verarbeitet werden.
Die offizielle Bildung der ITS (Identität – Tradition – Souveränität) erfolgte am 15. Januar 2007, also nur zwei Wochen, nachdem die parlamentarischen Beobachter der Beitrittsländer vollwertige EU-Abgeordnete waren. Die Fraktion unter dem Vorsitz des Franzosen Bruno Gollnisch besteht aus dem Front National (FN) mit sieben MdEP, darunter Le Pen, der Großrumänien-Partei mit fünf MdEP, dem belgischen Vlaams Belang (Nachfolgepartei des in Belgien verbotenen Vlaams Blok) mit drei MdEP, zwei italienischen Neofaschisten, darunter Alessandra Mussolini, dem Vertreter von Ataka, einem britischen Abgeordneten und dem Österreicher Andreas Mölzer von der FPÖ, der als geistiger Ziehvater der Fraktion gilt.
Bruno Gollnisch macht von sich reden, weil in Frankreich gegen ihn ein Strafverfahren wegen öffentlicher Leugnung des Holocausts anhängig ist, und Alessandra Mussolini ist dafür bekannt, dass ihr Vorbild Großvater Benito Mussolini ist und sie lieber „Faschistin als schwul“ sei.
Der österreichische Abgeordnete Othmar Karas von der Europäischen Volkspartei forderte aufgrund all dieser Tatsachen noch im Januar die FPÖ auf, „Farbe zu bekennen“. Für Karas und den Großteil der MdEP steht die „Rechtsaußen-Fraktion“ für „antieuropäisches Denken, Judenhass, Hetze gegen Roma und mangelnden Respekt vor Andersdenkenden“. Karas wollte wissen, ob die FPÖ damit leben könne. Am 15. Januar hatte er die Antwort.

Die Vorgeschichte
Eigentlich lebt die FPÖ schon längst damit, immerhin haben die Freiheitlichen etliche Treffen organisiert, bei denen es galt, Europas rechtsextreme Parteien zu einen.
2001 war beispielsweise István Csurka, der Gründer der Ungarischen Partei der Gerechtigkeit und des Lebens (MIEP), Mölzers Gast gewesen. Mit fünfeinhalb Prozent hatte die MIEP zwar nur knapp und vorerst fürs letzte Mal den Einzug ins ungarische Parlament geschafft, doch galt sie 2001 in Ungarn als potenzieller Koalitionspartner für die regierenden Konservativen. In Mölzers Zeitschrift „Zur Zeit“ (26/2001) konnte Csurka seine antisemitische Sicht auf Europa klar zum Ausdruck bringen: Europa wurde 1945 von der jüdischen Weltverschwörung entmachtet und (geistig) kolonisiert.
2005 kam es in Wien zu einem wichtigen Treffen europäischer Rechtsextreme. Mölzer lud Vertreter jener Parteien ein, die in Folge die Rechtsaußen-Fraktion Identität – Tradition – Souveränität (ITS) bilden sollten. Nach diesem Treffen veröffentlichten die Beteiligten eine Erklärung. In dieser fordern sie das Festhalten an einem christlichen Europa, betonen ihre Ablehnung der EU-Verfassung und der EU-Mitgliedschaft der Türkei. Weiters orten sie in Masseneinwanderung, Globalisierung und Political Correctness die größten Gefahren für die Zukunft.

Allianz von „Erbfeinden“? 19 Abgeordnete aus sechs Ländern sind nötig, um im Europäischen Parlament eine Fraktion zu bilden. Die ITS verfügt über 20 aus sieben Ländern. Eine Fraktion hat nicht nur das Recht auf Vorsitze in den Ausschüssen, sondern auch auf mehr Redezeit und vor allem auf zusätzliches Budget, im Falle der ITS rund eine Million Euro.
Was die Zukunft der ITS betrifft, war Andreas Mölzer anfangs optimistisch: „Das Potenzial liegt bei bis zu 40 Abgeordneten.“ Dabei denkt er wohl auch an die zehn MdEP von der „Liga der Polnischen Familien“ (LPR).
Im Dezember 2006 machte die LPR Schlagzeilen, als ein Video aus dem Jahr 2004 auftauchte, auf dem ein brennendes Hakenkreuz zu sehen und „Sieg Heil!“-Rufe zu hören sind. Neben Skinheads und Hooligans waren auch prominente Vertreter der „Allpolnischen Jugend“ zu sehen. Deren Gründer Roman Giertych ist gleichzeitig Vorsitzender der LPR sowie Vizepremier und Erziehungsminister Polens. Giertychs Vater, das MdEP Maciej Giertych, setzt sich dafür ein, dass die biblische Schöpfungsgeschichte statt der Evolutionstheorie an Schulen gelehrt werden soll. Neben Homosexuellen gelten „das Judentum“, die „Freimaurer“ und die „Deutschen“ als Feinde von Vaterland und Kirche. Die intensiven Annäherungsversuche von Seiten der ITS scheinen nur logisch.
Diese Annäherungsversuche bringen für den federführenden Mölzer ein gewaltiges Problem mit sich: Sie gelten in der deutschen und österreichischen rechtsextremen Szene als „Verrat“. Ein wichtiger Punkt dieser Annäherung ist nämlich die Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze – und die gilt in Mölzers Kreisen als „Unrechtsgrenze“. Als „Verrat“ wird dort wegen Südtirol ebenfalls die Zusammenarbeit mit den italienischen Neofaschisten gewertet. Denn genauso, wie in der FPÖ die Brenner-Grenze als „Unrechtsgrenze“ gilt, sind die italienischen Neofaschisten traditionell gegen die Autonomie Südtirols. Einige ITS-Politiker müssen somit ihr Parteivolk beschwichtigen und betonen dabei, dass sie sich eigentlich nur aus pragmatischen Gründen, um besser im Europäischen Parlament vertreten zu sein, mit den „Erbfeinden“ zusammengeschlossen hätten.
Die angespannte Situation zwischen Politikern und Basis lässt für viele Beobachter der rechtsextremen Parteien den Schluss zu, dass es sich bei der ITS eigentlich um eine technische Fraktion handelt. Eine solche besteht, wenn die zusammengeschlossenen Parteien nicht wirklich gemeinsame inhaltliche Ziele verfolgen, sondern nur die Vorteile einer Fraktion genießen wollen. Dem Gesetz nach ist die Bildung einer technischen Fraktion jedoch verboten.

ITS doch bald Vergangenheit?
Solange diese Sachlage nicht geklärt ist, bleibt die Rechtsaußen-Fraktion ITS bestehen. Gleichzeitig gab es von Anfang an einen vom sozialdemokratischen Fraktionsvorsitzenden Martin Schulz initiierten breiten Konsens im Europäischen Parlament, die ITS zu isolieren. Am 1. Februar 2007 wurde schließlich keiner ihrer Vertreter zu einem Ausschussvorsitzenden oder Vize gewählt. Mit Spannung werden nun die Europawahlen in Bulgarien und Rumänien im Mai 2007 erwartet, denn der Fraktion müssen nur zwei Abgeordnete abhanden kommen, damit sie Vergangenheit ist.
Eines wurde jedoch am 15. Januar deutlich: dass durch die EU-Erweiterung vorerst Europas Rechtsextreme an politischem Einfluss gewonnen haben.




Alexander S. Emanuely. Geboren 1973, Autor und Essayist. Studium der Politik- und Theaterwissenschaft. Seit 1999 Mitherausgeber von ContextXXI, schreibt Beiträge für das Jüdische Echo, die Jungle World. 2006 erscheint der Jugendroman Die Janitscharin. WissenschaftlicherMitarbeiter der psychosozialen Ambulanz ESRA, lebt in Wien.

Quellen:
Deutsch:
www.doew.at
www.juedische.at
www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,458056,00.html

Englisch:
antisemitism.tau.ac.il/annual-report.ht
news.bbc.co.uk/2/hi/europe/6262089.stm>

Artikel erschienen in: REPORT. Magazin für Kunst und Zivilgesellschaft in
Zentral- und Osteuropa,März 2003