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Das Theremin

Was selbst die Russen nach der Wende erst durch das Ausland erfuhren: Die ersten elektronischen Klangerzeuger wurden in Russland und der Sowjetunion erfunden. Der KGB-Agent Leon Sergejvitch Theremin (1896–1993) war einer der wichtigsten Pioniere auf diesem Gebiet. 1917 erfand er den nach ihm benannten „Theremin“, den er anfänglich als „Ätherklavier“ oder „Aeterophon“ bezeichnete.

Von Antje Mayer,Heinrich Deisl.

Visionäre, Bastler und Erfinder

Historische Elektronik-Musik-Protoypen: Theremin, Trautonium und der Max-Brand-Synthesizer

„Wird der Apparat in Funktion gesetzt, so entstehen in der Nähe des Stabes elektromagnetische Wellen von sehr geringer Energie, jedoch von einer ganz bestimmten Länge und Frequenz. Die Annäherung einer Hand, die ja Elektrizitätsleiter ist, verändert die Verhältnisse des elektromagnetischen Feldes rings um die Antenne. […] Ähnlich wie beim Cello der Finger, der auf eine Saite drückt, durch Annäherung an den Steg eine Erhöhung des Tones hervorruft, so wird auch hier der Ton höher, je nach Näherbringen der Finger an die Antenne.“
(Theremin, Leon: Ätherwellenmusik und neue Wege der Musik. In: Funk. 1927. Zit. nach: Stange, Joachim: Die Bedeutung der elektroakustischen Medien für die Musik im 20. Jahrhundert, Pfaffenweiler, 1989, S. 127 ff).

Lenin entdeckte das Instrument bei der Industriemesse 1920 und war so begeistert, dass er sich sogar Unterricht geben und 600 Stück durch die Sowjetunion touren ließ. Der Toningenieur Robert Moog produzierte und vertrieb in Amerika schon in den Dreißigern Theremins Geräte. Damals war dieser Prototyp ein Kuriosum, heutzutage kann man sich diverseste Bastelteile für den Theremin-Heimgebrauch per Internet bestellen.

Im Osten viel Neues

Nicht nur der Westen beeinflusste musikalisch den Osten, auch andersherum funktionierte es. Den Theremin-Sound findet man in vielen Hollywood-Soundtracks der vierziger und fünfziger Jahre wieder. Noch in den Sechzigern kamen die russischen Theremins zum Einsatz, etwa beim Lied „Good Vibrations“ von den Beach Boys. Bei „Add N To (X)“ ist ein adaptiertes doppelantenniges Theremin zu hören, das unter anderem Pferdehufgeklapper und Wiehern imitiert. Die Platte „Ich schnitt mich in den Finger“ (Label „Mego“) lässt Laptop-Knackser auf Theremin-Feedback treffen. Die Amerikanerin russischer Abstammung Clara Rockmore (1911–1998) gilt als eine der größten Virtuosinnen dieses monophonen Geräts. Sie brachte 1981 zusammen mit Robert Moog die Platte „The Art of Theremin“ („Delos Rec.“) heraus. Dabei handelt es sich jedoch um Interpretationen klassischer Kompositionen von Tschaikovsky und Schostakovitsch. Eine ihrer bis heute aktiven Nachfolgerinnen ist Lydia Karniva.
1992 gründete der Soundingenieur und Oboespieler Andrej Smirnov (Jahrgang 1956) das „Theremin Center für Elektroakustische Musik” direkt neben der staatlichen Musikakademie in Moskau, zehn Gehminuten vom Kreml entfernt. Keine Hinweistafel zeigt einem den Weg. Die einmalige Forschungs- und Ausbildungsstätte, die wegen der hier gelagerten elektronischen Schätze jedem Freak das Herz höher schlagen lässt, kennen nur wenige Insider in Moskau: ”Unbemerkt von der Welt und selbst von den akademischen Musikern nebenan”, bedauert Smirnov, „unterrichten wir hier neue Medien, Videokunst, interaktive Echtzeitsysteme, Computersound und Elektroakustik”.
Am Dachboden des verfallenen Hauses, in dem auch schon Theremin wirkte, hatte Smirnov durch Zufall die orginalen Entwurfszeichnungen und Notizen des Erfinders und Visonärs gefunden. Jeder, der will, kann die wertvollen historischen Zeugnisse russischer Musikgeschichte, die in vergilbten Aktenordnern vor sich hinmodern, einsehen. Neben modernsten Computeranlagen stehen dort außerdem ein gutes halbes Dutzend orginaler Theremin-Geräte. Was Smirnov nicht wissen darf: In der Nacht produzieren Moskaus Untergrundelektroniker heimlich ihre Sounds in den dortigen Studios.
theremin.inf
www.obsolete.com/120_years/machines/theremin

Das Trautonium

Der Vorteil des Trautoniums ist, dass es eine Kombination aus Saiten- und Tasteninstrument ist, mit dem fließende Klangfarbenveränderungen möglich sind. Dieses schon 1924 zum Patent angemeldete Gerät wurde im Rahmen der Veranstaltung „Neue Musik Berlin“ am 2. Juni 1930 vorgestellt. Dass es ein Prototyp zur Serienproduktion schafft, ist eher die Ausnahme. Im Deutschland der dreißiger Jahre allerdings brachte das von Friedrich Trautwein konzipierte Trautonium es zumindest zu einiger Popularität. Dies ist darauf zurückzuführen, dass Trautwein in den späten Zwanzigern Mitarbeiter der Rundfunkversuchsstelle mit entsprechender Lobby war und er es sich mit den nationalsozialistischen Machthabern derart richten konnte, dass er eine Vorführung seines Instruments bei Propagandaminister Goebbels erwirken konnte.

Trautwein rückte die Klangerzeugung in die Nähe von Sprachlauten und ging von einem Gemisch unterschiedlichster elektrischer Schwingungen aus. Er wählte das Prinzip der substraktiven Klangsynthese, bei der ein Schwingungsfilter dazwischengeschaltet wird. Diese Methode wird bis heute in Synthesizern verwendet. Das Theremin dagegen arbeitet mit additivem Prinzip, bei dem zu den erzeugten Schwingungen bestimmte Obertonschwingungen hinzukommen. Trautwein weitete seine Klangexperimente auf gute Lautsprecher-Systeme aus. An der oben genannten „Neue Musik“-Veranstaltung (1930) nahmen unter anderem Paul Hindemith und Oskar Sala teil. Hindemith ignorierte die Kritikerstimmen jener Zeit, die von zu wenig Komplexität des Rhythmus und der ungenauen Fixierung der Tonhöhen sprachen.

Das Mixtur-Trautonium

Der Hindemith-Schüler Oskar Sala schließlich etablierte das Trautonium und seine eigene Kreation – das Mixtur-Trautonium – als legitime Vorläufer des Synthesizers. Für das Mixtur-Trautonium verwendete Sala die Rekonstruktionen der Urversion des von Telefunken gebauten Konzert-Trautoniums und kombinierte es nach dem Zweiten Weltkrieg mit seinen eigenen Entwürfen.
Das Instrument erhielt ein zweite Tastatur, wodurch auch subharmonische Tonreihen spielbar wurden. Weiters wurden diverse Effektgeräte, ein Rauschgenerator und ein Hallgerät eingebaut. Das Mixtur-Trautonium machte es durch Steuerung verschiedener Klangregister möglich, potenziell alle in der Natur vorkommenden Geräusche – vom Zirpen von Grillen bis zum Läuten von Glocken – nicht nur nachzuahmen, sondern diese in eine dramaturgische, sinfonische und sogar konzertante Situation zu übertragen. Sie lassen einen an die Geräuschanlagen des italienischen Futuristen Luigi Russolo in den zwanziger Jahren erinnern. Diese verschiedenen Klänge, die auch schon an der Welthe-Kinoorgel getestet worden waren (die erste Orgel, die für Geräuscherzeugung vor allem bei UFA-Filmen eingesetzt wurde), wurden in der Folge hauptsächlich für die Filmmusik verwendet. Da das Trautonium ähnlich wie eine Geige zu spielen war, ergaben sich dadurch auch Intervalle im Mikrobereich. Derartiges ist erst wieder mit modernen Sound-Software-Applikationen möglich geworden. Oskar Sala, der allein das Mixtur-Trautonium zu spielen verstand, starb erst im Jahre 2002 im Alter von 91 Jahren.

Der Max Brand-Synthesizer

„Max Brand war der erste „Schlafzimmerproduzent der Geschichte“, so Helmut Schwarzjirg, Leiter des Max Brand Museums in Langenzersdorf bei Wien. „Er hatte sich seit den sechziger Jahren ein komplettes Heimstudio eingerichtet. Das Herzstück war sein eigener, von Robert Moog technisch im Detail entwickelter, Prototyp-„Synthesizer“, aus dem Moog später seinen legendären Moog-Synthesizer entwickelte, eine Art Lichtorgel und diverse Aufnahmegeräte.“
Dieser Max-Brand-Moog-Prototyp, der in Langenzerdorf steht, ist immer noch ohne Probleme spielbar. Er besitzt ein manuelles Glissando (das auch beim Trautonium verwendet wurde und von der deutschen Firma Doepfer wieder gebaut wird), ist tauglich für Subharmonien, hat digitale Transistoren und ist mehr oder weniger programmierbar. Aufgenommen wird mit Bandmaschinen.
Der Österreicher Max Brand ist ein von der Musikgeschichtsschreibung ignorierter Visionär. 1896 in den Vorabend einer neuen Epoche hineingeboren, war Brand vom damals noch österreichisch-ungarischen Lemberg (heute Lviv in der Ukraine) in die Hauptstadt der k. u. k.-Monarchie Wien gekommen. Dort befand er sich in einem musikalischen Klima wieder, das durch Avantgardisten wie Ernst Krenek, Kurt Weill und Arnold Schönberg geprägt war. Brand schrieb sich in die Klasse von Franz Schreker ein.

Maschinenmusik für eine bessere Zukunft

1929 entstand seine Oper „Der Maschinist Hopkins“ (1929), die Elemente des Konstruktivismus und des Futurismus aufnahm. Der musikalisch umgesetzte Technikertraum von Bewegung und Beschleunigung ließ das Publikum in ähnliche akustische Gefilde eintauchen, wie sie Walther Ruttmann mit „Berlin. Symphonie der Großstadt“ zwei Jahre davor filmisch dargelegt hatte. Die Maschinenoper „Maschinist Hopkins“ geriet zu einer der überzeugendsten Deutungen für die von dem italienischen Futuristen Luigi Russolo seit 1916 propagierten Konzeption der Maschinenmusik. Max Brand erlebte mit diesem Werk einen fulminanten, aber leider zeitlebens auch den einzigen Erfolg in den USA und in Europa. Als Abkömmling einer jüdischen Familie und als kommunistischer Sympathisant wurde er 1937 ausgewiesen und fand in der Schweiz Zuflucht.

Ende der Fünfziger traf Brand in den USA, wo er damals lebte, mit Robert Moog zusammen und entwickelte mit ihm seinen Synthesizer. Brand lieferte Moog seine Vorstellungen und Robert Moog baute für Brand einen Prototyp. Der Grundlage war im Grunde die Basis für Moogs berühmten Synthesizer. „Brand war immerhin über 60 Jahre alt, als er anfing, sich mit seinem elektronischen Protoypen zu beschäftigen“, so Helmut Schwarzjirg. „Er muss ein schwieriger Mensch gewesen sein. Er hat kurz vor seinem Tod große Teile seines Studios zerstört, deshalb gibt es fast keine schriftlichen Aufzeichnungen. Vermutlich hat er Kontakt zu den Größen seiner Zeit wie Oskar Sala und Herbert Eimert gehabt.“



erschienen im Katalog "Prototype - Armaments and Armatures against eletronic music", 2002
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