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Von Barbara Schmied-Länger, Susan Milford.

Essen und Trinken verbindet

Die Osteuropa-Expertinnen Susan Milford und Barbara Schmied-Länger hatten im Jahr 2003 die ungewöhnliche Idee, die Erweiterungsthematik einmal von einer anderen Seite her zu beleuchten. Herausgekommen ist das Kochbuch „Europas unbekannte Küche“. Eine kulinarische Reise durch (noch) unbekanntes Terrain.

Als wir 2003, kurz vor dem EU-Beitritt zehn weiterer Länder im Mai 2004, für unser Kochbuch „Europas unbekannte Küche“ recherchierten, war es unser selbst gesetztes Ziel, den Lesern die vielfältigen und spannenden Esskulturen der „alten Verwandten“ in der Europäischen Union ebenso schmackhaft zu machen wie jene der „neu entdeckten Nachbarn“. So mancher fälschliche Eindruck sollte korrigiert und das eine oder andere Vorurteil ausgeräumt werden, denn den neuen Mitgliedsländern der EU eilte oftmals zu Unrecht der Ruf voraus, bloß mit deftigen und bodenständigen Gerichten aufwarten zu können. Doch weit gefehlt: Bei genauerer Betrachtung kann dieses kulinarische Bild keinesfalls bestätigt werden. Hätten bloß die Ess- und Trinkkulturen Maßstäbe für den Beitritt gebildet, so hätte er von Bulgarien, Estland, Lettland, Litauen, Malta, Polen, Rumänien, der Slowakei, Slowenien, Tschechien, Ungarn und Zypern schon viel früher vollzogen werden müssen. Trotz historisch bedingter Gemeinsamkeiten können alle diese Länder auf individuelle Küchen verweisen, die für jeden Gaumen etwas Passendes bereithalten.

Lachs mit Zwetschkenkompott

So kommen etwa Fischliebhaber dank der geografischen Gegebenheiten in den baltischen Ländern voll auf ihre Kosten. Vorzugsweise werden geräucherter oder marinierter Fisch, Strömlinge mit Specksoße, Pfannkuchen mit geräucherten Sprotten oder Rosolje, ein Erdäpfelsalat mit Roten Rüben und Hering, aufgetischt. Diese Gerichte stellen allerdings nur einen kleinen Auszug aus der estnischen Küche dar.
Lettland ist noch eines der wenigen Länder, in denen Lachs und Lachsforellen in freier Natur laichen. Lachs war vor vielen Jahrzehnten die Volksnahrung Lettlands, sodass sogar ein Gesetz erlassen wurde, demzufolge den Dienstboten Lachs nicht öfter als dreimal wöchentlich vorgesetzt werden durfte. Aus dem Fluss Düna, der durch die Hauptstadt Riga fließt, werden bis zu 20 Kilogramm schwere Exemplare gefangen. Es verwundert daher auch nicht, dass das typisch lettische Gericht „Gebratener Lachs mit Zwetschkenkompott“ für eine ausreichende Proteinzufuhr sorgt.
Kreativität ist bei so mancher Zubereitung in Litauen gefragt. Berühmt ist der Kuchen in Form eines Weihnachtsbaumes, der allerdings nicht zu Weihnachten, sondern zu Hochzeiten gebacken wird. Am Weihnachtsabend gibt es traditionsgemäß zwölf verschiedene vegetarische Gerichte, eines für jeden Monat oder für jeden Apostel. Gerne wird Bier getrunken – kein Wunder, wenn man aus mehr als 200 verschiedenen Biersorten wählen kann.

Rotes Gold und Witwensuppe

Die Landesküche wurde oft auch von den kulinarischen Vorlieben herausragender historischer Persönlichkeiten beeinflusst. So ließ etwa Beatrix, Gemahlin des ungarischen Königs Matthias (1458–1490), viele Delikatessen aus ihrer italienischen Heimat an den Hof bringen. Neben Käse und Knoblauch auch eines der „ungarischen Wahrzeichen“: die Salami. Doch nicht nur die Salami, auch das ungarische Nationalgewürz, der Paprika, der liebevoll „rotes Gold“ genannt wird, musste eine lange Reise antreten, bevor er in seiner Wahlheimat sesshaft wurde. Er hat seinen Ursprung in Amerika und wurde wahrscheinlich von den Türken nach Ungarn gebracht, wobei sein Siegeszug als „König der Gewürze“ erst Mitte des 19. Jahrhunderts begann. Zu dem uns bekannten Gewürz wurde der Paprika allerdings erst, nachdem man ihn trocknete und mahlte – eine Innovation in der Verarbeitung, die den Ungarn nicht streitig gemacht werden kann.
Einen interessanten kulinarischen Schmelztiegel bilden auch die Küchen der Mittelmeerinseln Zypern und Malta. Klassische maltesische Vorspeisen sind „Hobz biz- zejt“ (Brot mit Öl) oder „Soppa Ta´L-armla“, die Witwensuppe. Auf dem zypriotischen Esstisch darf der heimische Schafkäse „Halloumi“ nicht fehlen. „Kypriakes Ravioles“, mit Halloumi, Ei und frischer Minze gefüllte Teigtaschen, stellen einen der kulinarischen Höhepunkte dar. Apropos Schafkäse: Der berühmte slowakische Brimsen, einst auch klassische Zutat des österreichischen Liptauers, wird selbst in die Käseweltmacht Schweiz exportiert. Eines der slowakischen Nationalgerichte, nämlich „Bryndzové halušky“ (Brimsennockerl), beinhaltet dieses traditionelle Molkeprodukt.

Polnischer Wodka, Picasso und Powidl

Polen ist ein Schlemmerland für Pilzliebhaber. Es gibt dort an die hundert Speisepilzarten, die frisch verzehrt, getrocknet oder eingelegt werden. Polen gilt auch als Mutterland des Wodkas. Von niemand Geringerem als Pablo Picasso stammt folgendes Zitat: „Im 20. Jahrhundert wurden drei überragende Endeckungen gemacht: der Blues in Amerika, der Kubismus in Frankreich und der Wodka in Polen.“ Allerdings hat sich der berühmte spanische Künstler beim Wodka um circa 600 Jahre verschätzt.
Die Mehlspeisentradition der Böhmen hat bekanntlich nicht nur auf der österreichischen Speisekarte ihre verlockenden Spuren in Form von Apfelstrudel, Obstknödeln, Powidltascherln oder Palatschinken hinterlassen. All diese Süßspeisen sind etwa auch in der slowakischen Küche verankert und stellen ein Paradebeispiel für nachbarschaftliche Inspiration dar. Man denke nur an die ungarische Kreation der Gundelpalatschinke, die das Herz aller Schleckermäuler höher schlagen lässt und übrigens laut Originalrezept nicht flambiert werden darf, oder an den slowenischen „Strukelj“, einen Strudel, den es angeblich in mehr als hundert Varianten geben soll.

Rosenöl und Knoblauch

Zu guter Letzt sollen noch Bulgarien und Rumänien erwähnt werden, die jüngsten Mitglieder der europäischen Familie, die wir bereits 2004, drei Jahre vor ihrem tatsächlichen EU-Beitritt, in unsere kulinarische Reise, integriert haben. Gemeinhin verbindet man mit der bulgarischen Küche nicht unbedingt blumige Düfte, sondern eher würzige Aromen, auch wenn das weltbekannte bulgarische Rosenöl seit dem 17. Jahrhundert zu den wichtigsten Exportgütern des Landes zählt. Die bulgarischen Gerichte beinhalten fast immer eine Vielzahl an Gemüsesorten – nicht von ungefähr bezeichnete man in der K.-u.-k.-Zeit die Gemüsebauern oder Gemüsehändler als „Bulgari“. Erwähnt seien an dieser Stelle „Palneni Tschuschki“ (gefüllte Paprikaschoten) oder „Petscheni Jabalki“ (überbackener Apfel).
Nur allzu gerne werden blutsaugende Vampire in einem Atemzug mit Rumänien genannt. Jeder von uns kennt auch das passende Gegenmittel: den Knoblauch. Die Knolle stellt unabhängig von dieser überstrapazierten Assoziation nach wie vor einen wichtigen Bestandteil der typischen Vielvölkerküche dar. Man hält es dabei mit dem Sprichwort: „Iss ein Stückchen Knoblauch und du riechst danach; iss zwei, und du riechst ebenso.“ „Salata de vinete“ (Auberginensalat) und die siebenbürgische Fleischspeise „Tocanita“ sind ohne Knoblauch einfach undenkbar. Die berühmten „Sarmale“ (Krautwickel) kommen auch ohne ihn aus.

Auch wenn wir in unserem Buch mit Klischees gespielt und uns so manchen Anekdoten mit einem gewissen Augenzwinkern angenähert haben, war es uns stets ein ganz besonderes Anliegen, mit entsprechender Sensibilität und Respekt diesen Ländern und ihrer kulturellen Vielfalt gegenüberzutreten. Es war uns wichtig, eine Balance zwischen Tradition und Moderne zu halten.
Selbst mit einem gewissen zeitlichen Abstand sind wir froh, dass wir dieses Projekt, an das wir immer geglaubt haben, letztlich auch realisieren konnten. Nach wie vor sind wir der festen Überzeugung, auf diesem Weg zumindest einen kleinen Beitrag zur Völkerverständigung geleistet zu haben beziehungsweise leisten zu können. Unabhängig von wirtschaftlichen Erfolgsstorys und politischen Diskussionen ganz nach dem Motto unseres Buches: „Essen und Trinken verbindet.“



Dr. Susan Milford, geboren 1970, Politologin und Übersetzerin, ist Geschäftsführerin des Instituts für den Donauraum und Mitteleuropa (IDM) in Wien.

Mag. Barbara Schmied-Länger, geboren 1972, ist derzeit als Juristin in der rechtspolitischen Abteilung der Wirtschaftskammer Österreich tätig.

Buchtipp:
Susan Milford, Barbara Schmied-Länger: „Europas unbekannte Küche. Grenzenlos genießen“, Orac Verlag, 2004


Artikel erschienen in: REPORT. Magazin für Kunst und Zivilgesellschaft in
Zentral- und Osteuropa,Juli 2008
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