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Nachdem Harald Szeemann sie und ihr Grillhuhnvideo auf die 48. Biennale 1999 nach Venedig eingeladen hatte, ging alles sehr schnell mit der Karriere von Anna Jermolaewa (Jahrgang 1970). Allein 20 Ausstellungen habe sie im folgenden Jahr absolviert, erzählt die Künstlerin , die aus Petersburg stammt und seit über einem Jahrzehnt in Österreich lebt. Karin Handlbauer, Gründerin der Wiener Galerie Mezzanin und Anna Jermolaewa hatten sich 1999 „gegenseitig entdeckt und aufgebaut“. Immerhin 5.000.- Euro zahlen die Sammler inzwischen für ihre Videowerke. Von Antje Mayer.

Plüschtier oder Monster? Über die in Wien lebende russische Künstlerin Anna Jermolaewa

Wenn Jermolaewa verschmitzt aus ihrem Leben erzählt, macht es den Eindruck, ihr eigener künstlerischer Erfolg sei für sie immer noch ein großes Wunder. Als Schülerin der Petersburger Kunstschule, auf der sie akademisch malen lernte, mitbegründete sie mit jungen 17 Jahren die einflussreiche Partei Demokratische Union und gab wöchentlich deren regierungskritisches Organ mit heraus. Als die Repressionen seitens des KGB zu groß wurden, musste Jermolaewa in den Untergrund abtauchen, schließlich über Nacht aus Russland fliehen. In Österreich stand sie vor dem Nichts. Kein Geld, keine Freunde, keine Sprache. „Die Anfangszeit im Flüchtlingslager war schrecklich“, erinnert sich Jermolaewa.

Sie blieb zäh, studierte Kunstgeschichte und wagte –spätberufen- schließlich mit 27 Jahren den Schritt in die Profikunst. „Auf der Akademie der Bildenden Künste in Peter Koglers Klasse für Computer- und Videokunst entdeckte ich das Medium Video für mich. Zudem zeichne und fotografiere ich. Seit neuestem arbeite ich auch an Installationen. Als Videokünstlerin definiere ich mich im eigentlichen Sinne nicht“, schränkt Jermolaewa ein. „Denn ich manipuliere und experimentiere kaum mit dieser Technik.“

Das, so scheint’s, macht den geradezu hypnotisierenden Reiz an Jermolaewas Videoarbeiten aus, mit denen die Künstlerin international bekannt wurde. Vordergründig geben sich die kurzen Filmstücke verführerisch schlicht, humorvoll und leichtfüßig. Auf den zweiten Blick vermögen sie verstörende Bedeutungsebenen zu entpuppen. In ihrer Arbeit „Solo“ (1999, 3min) marschieren pinke Plüschhäschen zum blechernen Glöckchen- und Spieluhrklang auf die Kamera zu. Dort angekommen reibt ein Spielzeughäschen sein Fell unermüdlich am Objektiv. Putzig? Oder doch eher zwanghaft, verzweifelt oder gar autoerotisch? In dem Video „Ein/Aus/On/Off“ (1999, 15 Sek.) schaltet ein erigierter Penis einen Lichtschalter ein und wieder aus. Man kann sich ein Lachen nicht verkneifen. Ein für diese Tätigkeit dressierter Phallus?

Durch den einfachen Kniff des Loops, die Wiederholung, einer der Markenzeichen von Jermolaewas Videoarbeiten, wird das Alltägliche potenziert. Das Vertraute erscheint auf einmal gar nicht mehr harmlos. Der schaltende Penis als eine arglistige Paraphrase auf männliche Sexualität und das Rein-Raus-Spiel? Plüschhäschen als Verkörperung zwanghafter Konsumonanierer?

Jermolaewa lässt sich nicht in die Karten blicken und schmunzelt: „Bei mir agieren keine Personen, gibt es keine Geschichten, nur anonyme ‚Figuren’, wie etwa Spielzeug, abstrahiert innerhalb eines extrem begrenzten Ausschnitts. Autobiografisches ist drin, aber ich will es, wie meine Handschrift oder eine Interpretationen so weit als möglich reduzieren. Deuten dürfen dann Sie!“




Das Sprengel Museum Hannover zeigt derzeit Arbeiten von Anna Jermolaewa in der Ausstellung „Nice and easy“ (zusammen mit Pipilotti Rist, Chantal Michel, Lara Schnitger und Lily van der Stokker, bis 2. November). Von 24.11. bis 20.1. 2004 werden brandneue Arbeiten in der Galerie Mezzanin zu sehen sein.
erschienen in Kunstzeitung Nr.85/Sept.03,S.14