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Von einer Berufung zur Kunst, lacht Boris Ondreička, der 1969 in Zlaté Moravce (SK) geboren wurde, könne bei ihm keine Rede sein. Er sei Künstler geworden, weil es, so erzählt er, für ihn die einfachste Sache der Welt schien, diesen Beruf zu ergreifen: "Als ich Anfang zwanzig war, gestehe ich, war ich sehr ängstlich und faul. In der Welt der Kunst fühlte ich mich hingegen sicher." Von Antje Mayer.

Rotz aus der Nase oder wer ist Boris Ondreička?

Ein Portrait des slowakischen Künstlers, Kurators und Mediators.

Mit 17 Jahren schon war er Mitglied der Künstlergruppe "00", die später in "Blondiak" umgetauft wurde, was im Slowakischen so viel wie "blonder Mann" heißt. Ende der Achtziger ging er schließlich auf die Akademie für Angewandte Kunst und Design in Bratislava. "Ich war nach kurzer Zeit völlig überrascht, welche wunderbaren Möglichkeiten sich mir dort eröffneten, auch wenn sich die Ausbildung zum Teil sehr konservativ gestaltete. Ich fand es gut, sozusagen von der Pieke auf alle künstlerischen Techniken einmal zu erlernen. Dazu kam dann 1989 noch die Öffnung der Grenzen zum Westen. Die Welt war damals mehr als spannend für mich." Nach der Akademie folgten Ausflüge in die Medienwelt: Für die slowakische Frauenzeitschrift "Eva" schrieb er monatlich eine Seite über Kultur, für das slowakische Fernsehen produzierte er Beiträge für die Musiksendung "More". 2001 versuchte er sich ein Jahr als Creative Director der Werbeagentur Soria & Grey. Kurzum: Boris Ondreička nutzte seine Chance.

Heute gilt er als eine der Schlüsselfiguren der jungen slowakischen Kunstszene mit hervorragenden Kontakten. Als Künstler mit zahlreichen Ausstellungen im In- und Ausland, als Musiker, Kurator, kreativer Berater und Mediator in einer Person machte er sich einen Namen. Allesamt Funktionen, die, wie er findet, zusammengehören und die er auch gar nicht trennen will: "Ob ich nun Musik auf der Bühne eines Clubs spiele oder ein Musikstück in einem Kunstraum ausstelle, ist für mich ein und dasselbe", meint der Künstler, der stets neugierig und ein wenig rastlos durch das aufregende Jetzt zu jagen scheint.

Musik sei für ihn im Übrigen das kreative Material schlechthin. Das verwendet Ondreička auch bei seiner aktuellen Ausstellung "One Second. Out of Time" im Kölner "kjubh" (bis 22. 10. 2004), die vorher im Magazin 4 in Bregenz zu sehen war. In der Präsentation versucht er, die Sekunde als zeitliche Einheit menschlicher Wahrnehmung "sichtbar" zu machen, indem er das Lied "Roots Bloody Roots" der brasilianischen Punkband Sepultura in 96 einzelne Stücke aufgliedert. Dabei geht es ihm weniger um den Text und die Melodie des Œuvres als "um die Kraft, mit der die Band bestimmte Gefühle ausdrückt, mit denen ich mich gewissermaßen identifiziere."

Dass er seinen Weg zur Kunst angeblich auf Grund von Faulheit und Ängstlichkeit gefunden hat, ist eine Geschichte, die freilich Ondreičkas typisch slowakischem, verschmitzten Understatement zuzuschreiben und bestenfalls als eine Attitüde zu verbuchen ist, deren Quelle man in seiner künstlerischen Wurzel des Punk zu suchen hat. Antihaltung als Lebenshaltung.
1987 schon war er nämlich Sänger und Liedschreiber der Punkband "Kosa z nosa", was so viel wie "Rotz aus der Nase" heißt. Auch heute noch "rockt" er mit seinem 2003 gegründeten Konzept-Acid-Jazz-Duo "Les Band" mit Jan Mančuška auf der Bühne. "Wir beide laden zu unserer Formation von Mal zu Mal Leute ein, etwa Kuratoren, die einen Text lesen, während wir dabei Musik machen. Das ist sogar richtig lustig", erzählt der Künstler.

Für Boris Ondreička sind seine Installationen dann auch mehr "Situationen" als klassische "künstlerische Installationen". Mit ihnen will er die menschliche Wahrnehmung, Stereotypen von Verhaltensweisen oder die Zwischenräume menschlichen Seins sichtbar und hörbar machen. Immer sind sie für Ondreička auch die Suche nach einem kritischen politischen Konzept. Einmal Punk, immer Punk. "Ob man nun sagt, das, was ich mache, ist Wissenschaft, Poesie oder sogar Therapie, ist meiner Meinung nach nur eine Frage des persönlichen Standpunktes. Diese Felder subsumiere ich alle unter dem Begriff ‚Kultur’", so der Künstler.

Mit dieser Einstellung ist er als Projektleiter der grenzüberschreitenden und disziplinübergreifenden Plattform tranzit.sk perfekt geeignet. Für die organisiert er seit 2002 Symposien, Vorträge, Ausstellungen und Happenings, wobei er den Begriff "Kultur" so weit definiert, wie er es ansonsten bei seiner eigenen künstlerischen Arbeit tut.

Dass es noch viel zu tun gibt, um "Ost" und "West" zueinander zu bringen, ist Boris Ondreička überzeugt: "Manchmal habe ich den Eindruck, dass Wien von Bratislava aus inzwischen reale sechzig Kilometer entfernt ist, für die Wiener ist die slowakische Hauptstadt aber eher sechshundert Kilometer weit weg. Von einer Kommunikation auf gleicher Ebene kann noch keine Rede sein. Aber wir arbeiten daran."

Als Koordinator von tranzit.sk bemüht Ondreička sich, internationale Künstler mit slowakischen zu vernetzen, eigenständige Initiativen zu ermöglichen, um die "Auseinandersetzung mit Kunst in der Slowakei auf ein spannendes Niveau zu bringen". Als Mitglied des Expertenteams des slowakischen Kulturministeriums versucht er dies seit kurzem auch auf politischer Ebene.
Jüngst erst brachte er im Rahmen von tranzit.sk den viel gebuchten Schweizer Künstler Thomas Hirschhorn nach Bratislava. Der verweigert wegen der Wahl des rechten Politikers Christoph Blocher aus Protest Ausstellungen in seinem Heimatland. Auch der österreichische Kurator Robert Fleck (Gründer des Institut pour la Culture Autrichienne, ICA, in Nantes, Frankreich) reist offiziell nicht mehr nach Österreich. Beide "Abtrünnigen" konnten sich in der slowakischen Hauptstadt auf Einladung von Boris Ondreička – sozusagen auf exterritorialem Gebiet – treffen.

Ist das nun konkret politische, künstlerische oder gar therapeutische Arbeit? Egal. Es ist brisant und notwendig. Deswegen ist es Kultur.



erschienen im "Magazin für Kontakt d. Erste Bank Group", issue 3
> Tranzit > k j u b h e.V.- > Magazin, Issue3-