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Wiener Museen verfügen über die bedeutendsten Sammlungen der Welt. Gegenwartskunst kann man in der österreichischen Hauptstadt in überdurchschnittlich vielen Ausstellung sehen. Nur ein Haus für moderne und zeitgenössische Kunst mit einer Sammlung vom Format einer Tate Gallery, existiert nicht. Warum?
Von Antje Mayer.

Vielfalt oder zuviel vom Gleichen?

Die Diskussion schwellt seit langem. Mit der Evaluierung der österreichischen Bundesmuseen durch das Ministerium, dessen Ergebnis kürzlich (Ende Februar 2005) bekannt gegeben wurde, ist sie wieder von neuem entflammt. Zeigen die Wiener Museen Vielfalt oder zuviel von Gleichen? Besteht Reformbedarf? Soll neu geordnet werden? Oder alles wie gehabt?

Die Geister scheiden sich in diesem Punkt. Drei Rubensausstellungen zur gleichen Zeit in derselben Stadt, wie jüngst über den Jahreswechsel im Kunsthistorischen Museum, im Liechtenstein Museum und der Akademie der Bildenden Künste, dürfe es nicht geben, meint etwa Gerald Matt, Direktor der Kunsthalle Wien. Zwei wichtige Kunstschauen hätten damit in Wien nicht stattfinden können. Wilfried Seipel, Direktor des Kunsthistorischen Museum, ist mit Ministerin Elisabeth Gehrer einer Meinung: „Drei Rubensausstellungen sind Ausdruck eines vielfältigen Kulturangebots.“

Wie auch immer. Viele, so scheint’s, fischen mittlerweile im gleichen Teich. Der Run auf die Quoten und die Tendenz zur Quantität statt Qualität, so wird vermutet, sei eben der Preis für die Entlassung der großen Häuser in die Eigenverantwortung. Das Kunsthistorische zeigt Francis Bacon, dessen ungeachtet es auf alte Meister und Antike spezialisiert ist. Die Albertina präsentiert beispielsweise den jungen Leipziger Maler-Star Neo Rauch, obschon ihr Feld die Grafik ist. Im MAK kommt die angewandte Kunst nur noch im Namen vor. Das Museum der Moderne Stiftung Ludwig muss, wie die benachbarte Kunsthalle, Ausstellungen mit Gegenwartskünstlern (zum Beispiel Mike Kelley) zukaufen, weil es nur eine lückenhafte Sammlung moderner Kunst sein eigen nennt.

Ein Konzept, der den Wiener Museen eindeutige Schwerpunkte zuordnet und die moderne Kunst aus den traditionellen Sammlungen herauslöst, wie es international nach 1945 überall in Europa üblich war, existiert bisher für Österreich nicht. Josef Kirchberger, Vizepräsident der Gesellschaft für österreichische Kulturpolitik (SPÖ) forderte deswegen eine institutionalisierte Clearingstelle, die die großen Kulturtanker besser koordiniere. Gegner meinen, damit würde man die, erst 2002 in die Freiheit entlassenen, Museen im Grunde wieder bevormunden. Ob Absprachen und Koordination gleich mit Belehrung gleichzusetzen sind? Fakt ist, dass Wiener Museen, selbst das Historische Museum der Stadt Wien (letztens mit einer Ausstellung zu Henri-Cartier Bresson), das publikumswirksame Feld der Moderne beackern.

„Statt eines starken und profilierten Museums für Moderne und Gegenwartkunst haben wir in Wien zu viele Museen –verschärft durch ihre Vollrechtsfähigkeit - die an dem attraktiven Geschäftsfeld der Moderne partizipieren wollen“, kritisiert Edelbert Köb, Direktor des MUMOK. Das findet Gerbert Frodl, Direktor der Österreichischen Galerie Belvedere, nicht weiter schlimm: „Nicht jede Stadt muss ein Museum moderner Kunst haben.“

Ausnahmeweise einmal einig (siehe Statements) ist man sich jedoch über Versäumnisse in der Vergangenheit: Die Museen hätten allesamt ihre Sammlungs- und Forschungstätigkeit in den letzten Jahren vernachlässigt. Der jüngste Skandal um die Ausfuhr des „Feldhasen“ von Albrecht Dürer durch die Albertina an den Madrider Prado ohne Genehmigung des Bundesdenkmalamtes, so Matt, würde offensichtlich machen, dass die Museen angesichts des Erfolgsdrucks beginnen, fahrlässig mit ihrem Bestand umzugehen.

Dabei fing auch in Österreich alles so gut an. In ganz Europa fand nach 1900 ein Umdenken in der Museumslandschaft statt. Die traditionellen Institutionen waren angesichts der epochalen Umwälzungen in der Kunst überfordert, lagerten die neue Kunst aus und gründete Spezial-Museen, auch für moderne Kunst. Später folgten große Kunstkomplexe wie das Museum Ludwig in Köln, die Pinakothek der Moderne in München oder das Centre Pompidou in Paris.

Auch in Wien gründete man 1962 ein Museum moderner Kunst, das 20er Haus. Für dieses führte man aus den anderen Institutionen vorhandene Stücke der internationalen Moderne zusammen, wenn diese auch damals schon bescheiden waren. Werner Hofmann, damaliger Gründungsdirektor baute die Sammlung der Moderne aus, die 1979 mit Leihgaben der Sammlung Ludwig (1981 Stiftung Ludwig, 1991 Erweiterung) und der Sammlung Hahn erweitert wurde. Dass sich das Museum lange Jahre auf zwei Gebäude (im Liechtenstein Palais im 9. Bezirk und 20er-Haus am Südbahnhof) aufteilte, die wenig geeignet waren, ist ein weiteres Kuriosum. Erst durch die Eröffnung des neuen Hauses im Museumsquartier erhielt die Sammlung eine neue Unterkunft, die modernen Anforderungen entsprach, aber der Depotplatz war von Anfang an sogar kleiner, die Architektur von Ortner& Ortner bekanntlich schwer zu bespielen. Dass das MUMOK Anfang der Neunziger dann noch wichtige Werke der Moderne an die Österreichische Moderne zurückgab und damit die ohnehin bescheidene Sammlung schwächte und der langjährige Direktor Lorand Hegy die Sammlung dann höchst eigenwillig mit –aus heutiger Sicht- zweitklassiger Kunst aus Mitteleuropa aufstockte, steht auf einem anderen Blatt.

„Die Lücke, die wir in Österreich im Bereich moderner Kunst haben und vor allem im Bereich Nachkriegsmoderne“, so Wilfried Seipel, „können wir ohnehin nicht mehr aufholen. Das wäre heute nicht mehr leistbar. Nun gilt es, das MUMOK mit genügend Budget auszustatten, dass es wenigstens dem 21. Jahrtausend gerecht wird.“ Gerbert Frodl ist sich mit Gerald Matt immerhin dahingehend einig: „Die Direktoren müssen mit ihren Eifersüchteleien aufhören und in Zukunft gemeinsam an einen Strang ziehen und Konzepte entwickeln, was wir nun für die zeitgenössische Kunst tun können. Das ist unsere Verantwortung für morgen.“

„Statt eines starken und profilierten Museums für Moderne und Gegenwartkunst haben wir in Wien zu viele Museen –verschärft durch ihre Vollrechtsfähigkeit - die an dem attraktiven Geschäftsfeld der Moderne partizipieren wollen. Es geschieht exakt das Gegenteil internationaler erfolgreicher Museumsneuordnungen. Nationale Sammlungen des 19. Jahrhunderts – wie die Österreichische Galerie – werden nicht mir dem Beginn des 20. Jahrhunderts von der Moderne getrennt und abgeschlossen (wie die Tate Gallery in London oder das Musée D’Orsay in Paris). Klassische Spezialsammlungen bzw. Typen von Museen deren Inhalte und Arbeitsfeld nirgendwo sonst grundsätzlich in Zweifel gezogen werden, befinden sich in Wien im Wettbewerb auf dem gleichen (ihnen nicht angestammten) Feld. Wir stehen vor der zentralen Frage, ob dieser Staat noch ein Museum für Gegenwartskunst will. Das betrifft vor allem die Sammlungen, nicht die quotenbringenden Sonderausstellungen.“

Edelbert Köb ist Direktor des Museum der Moderne Stiftung Ludwig. Die Sammlung weist große Lücken im Bereich moderner Kunst auf, nicht zuletzt im Bereich Nachkriegsmoderne. Auch gilt der relativ kleine Museumsneubau im Museumsquartier nicht ideal für deren Präsentation. Köbs Vertrag läuft Ende 2005 aus und wurde bisher nicht verlängert, was zu Protesten und Unterschriftaktionen geführt hatte.

„Die Museumslandschaft in Wien ist vielfältig genug. Es gibt kein Handlungsbedarf bezüglich einer Neuordnung wie ich denke, zumal die Ausgliederung der Museen erst vor zwei Jahre stattfand. Aber sicherlich muss das MUMOK mehr Budget für Ankäufe erhalten, um seiner Aufgabe als Museum moderner Kunst nachkommen zu können. Der Evaluierungsstudie vorzuwerfen, sie würde Missstände verharmlosen, halte ich für falsch. Die Kritikpunkte, die in der Studie aufgeführt sind, sind doch im Grunde massiv: Die Albertina würde etwa zu wenig Forschung betreiben oder die Österreichische Galerie kaum internationale Kontakte pflegen. Grundsätzliche Aufgaben von Museen und damit gewaltige Vorwürfe.“

Wilfried Seipel ist Direktor des Kunsthistorischen Museum. Durch den Diebstahl der Saliera und durch finanzielle Unstimmigkeiten, die durch einen Rechnungshofbericht publik wurden, war Seipel in letzter Zeit mehrfach in die Schlagzeilen geraten. Die Evaluierungsstudie lobt den hohen Bekanntheitsgrad des Hauses.

„Die Evaluierungsstudie ist ein Witz. Wenn man nun wie Frau Ministerin Gehrer behauptet, es gäbe kein Reformbedarf bei den Wiener Museen, nachdem erst kürzlich vier Rubensausstellungen gleichzeitig in Wien liefen, dem fehlt der Sinn für die Realität. Bei den Museen herrscht seit der Ausgliederung der Quotengalopp vor, es gibt zuviel von Gleichen, nicht zuletzt, weil die Kompetenzen der Museen nicht klar verteilt sind. Das zu steuern wäre Aufgabe des Ministeriums. Vermittlung von Kunst der Moderne und vor allem der Nachkriegsmoderne fehlt in Wien gänzlich. Das MUMOK ist dafür zu schwach bestückt, hat kein ausreichendes Budget und kann die Lücke im Grunde auch nie wieder füllen. Für die Zukunft muss man nun wenigstens Kunst des 21. Jahrtausend ankaufen. Das MUMOK könnte diese Aufgabe erfüllen. Ich könnte mir durchaus vorstellen, daß sich dafür ein Pool von Institutionen, wie die Secession oder die Generali Foundation, zusammentut. Auch die Kunsthalle wäre bereit, sich einzubringen.“

Gerald Matt ist streitbarer Direktor der Kunsthalle Wien, die keine Sammlung besitzt und vor allem zeitgenössische Themenausstellungen zeigt. Matts Moto: „Ein populäres, aber kein populistisches Programm“.

„Ich halte die Evaluierung für sinnvoll, obwohl wir uns neunzig Prozent der Kritikpunkte im Vorfeld selbst bewusst waren. Von einer Neuordnung der Wiener Museen halte ich hingegen nichts. Nicht jede Stadt muss ein Museum moderner Kunst haben. Sicher gibt es viele Dinge, die die Museen in Zukunft besser machen könnten. Die Häuser haben in der Vergangenheit zu wenig angekauft und das lag nicht nur, wie nun viele meiner Kollegen behaupten, an zu wenig Budget, sondern auch an ihrem schlechten Management.
Trotz dieser Fehler muss man nun nicht die ganze Museumslandschaft neu ordnen. Die Museen und ihre Direktoren sollten ihre Eifersüchteleien endlich sein lassen und in die Zukunft gemeinsam an einen Strang ziehen. Ich gehe zwar Ende 2006 in Pension, aber ich würde mich bis dahin gerne noch mit verschiedenen Ideen in diese spannenden Diskussion einbringen.“

Gerbert Frodl ist Direktor der Österreichische Galerie Belvedere. Die Sammlungen des Museums reichen vom Mittelalter bis zur zeitgenössischen Kunst. Klaus Albrecht Schröder, Direktor der Albertina, regte kürzlich an, sein Haus mit der Österreichischen Galerie zusammenzulegen, weil die Sammlungen sich ergänzen würden. Frodl lehnte das aber als „imperiale Geste“ strikt ab.