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Am 18.7. 2003 hat das Bezirksgericht in Danzig die junge polnische Künstlerin Dorota Nieznalska wegen der Verletzung religiöser Gefühle verurteilt: die Staatsanwaltschaft hatte als Strafe 2.000 Zloty (470 Euro) gefordert, aber das Gericht beschloss: ein halbes Jahr Freiheitsbegrenzung mit unbezahlter Sozialarbeit. Die Künstlerin soll wöchentlich 20 Stunden gemeinnützige Arbeit leisten, ihr Pass wurde eingezogen, sie darf das Land nicht verlassen. Der Richter Tomasz Zielinski begründete seinen Schuldspruch damit, dass die Angeklagte sich bewusst für die Verletzung religiöser Gefühle "entschieden" habe, um "persönlichen und künstlerischen Erfolg" zu erzielen.


Von Anne Dymek.

Bach singen und andere Künste

Der Justizskandal um Dorota Nieznalska stellt die polnische Kunstszene grundsätzlich in Frage. Dorota Monkiewicz, Chefin der Stiftung Moderner Kunst zieht gar Parallelen zur Bücherverbrennung der Nazis und deren Verbannung von sogenannter entarteter Kunst

Die Künstlerin stand unter Schock. „Damit habe ich nicht gerechnet“, sagte die 30jährige nach der Urteilsverkündung und legte Berufung ein. Schließlich habe das Menschenrechtstribunal in Straßburg Blasphemie in der Kunst für statthaft erklärt, kommentierte die linksliberale Zeitung Gazeta Wyborcza das Urteil.

Auf der New Yorker Ausstellung „Architectures of Gender, Contemporary Women’s Art in Poland“ (12.4. bis 8.6. 2003) galt Nieznalska als Shootingstar der polnischen Kunstszene. Die Künstlerin setzt sich seit längerem mit dem Thema "Männlichkeit" auseinander. Nieznalskas auf der Ausstellung gezeigte Klang-Installation „Omnipotence. Gender: Male“ problematisierte die männliche (Eigen)Art, den Körper durch Fitness zu kontrollieren und die Schwierigkeiten, die Männer bei der Erfüllung der ihnen kulturell zugeschriebenen Rollen haben.
Im Zentrum Nieznalskas „angeklagter“ Ausstellung „Passion“ (Danziger Wyspa-Galerie, Januar 2002) stand die „absurde“ Selbstkreuzigung des Männlichkeitswahns. Eine Video-Installation zeigte ächzende Hünen bei der Körperqual im Fitness-Studio, gegenüber den Bildschirmen hing das Foto eines männlichen Genitales auf einem Kreuz. Im Kontext Dorota Nieznalskas „Gender“-Kunst ist dies ein homogenes Werk, das mit Blasphemie nichts zu tun hat. Für die Ankläger, erzkatholische Eiferer der rechtsklerikalen „Liga der polnischen Familien“ (LPR), gibt es diese Möglichkeit der kunstkontextuellen Sinnerschließung jedoch nicht.

Nieznalska bedaure weder, dass sie ihr Werk geschaffen habe, noch wolle sie sich dafür bei irgendjemandem entschuldigen. Sie habe nicht absichtlich religiöse Gefühle verletzen wollen. Das Gericht befindet im Gegenzug Nieznalskas Aussage als unglaubwürdig „Zweifellos ist das Kreuz, auch das in der Installation verwendete Kreuz, Gegenstand religiösen Kultes“, urteilte der Danziger Richter Zielinski in seiner Begründung. „Es besteht kein Zweifel, dass das Kreuz verunglimpft wurde.“ Die junge Künstlerin kontert: „Das Gericht ist nicht objektiv, wenn es um künstlerisches Schaffen geht – die Richter haben selbst zugegeben, dass sie sich nicht mit Kunst auskennen.“

Dorota Nieznalska hat im Laufe des Prozesses am eigenen Leib erfahren, was in Polen schon andere Künstler erkennen mussten: Die durch die kritische Kunst hervorgerufenen Skandale haben den Medien sowie den Politikern Polens im Laufe der Zeit bewiesen, dass die Kritik an einem Kunstwerk oder einem Künstler der Steigerung der eigenen Popularität dienlich sein kann.

Zeitgenössische Kunst hat im katholischen Polen schon seit längerem einen schweren Stand. Katarzyna Kozyra ist eine renommierte polnische Künstlerin, die diesen Weg durch die Öffentlichkeit mehrfach gehen musste. Sie beschreibt die aktuelle Situation in Polens Kunstszene metaphorisch anhand eines Kunstwerkes von Arthur Zmijewski: Das Video „The Singing Lesson“ zeigt eine Gruppe tauber Menschen, die versuchen, ein Stück von Bach zu singen.






interessante Quelle: Art Margins, MoMA, symposium, East of Art: Transformations in Eastern Europe.
> Art Margins