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Wo befindet sich das Ende der Welt? Vielleicht dort, wo man ihren Anfang sieht und hört, 2.100 Meter über dem Meeresspiegel, auf dem Berg „Pastukova“ in der kleinen, russisch-föderalen Nordkaukasus-Republik Karachay-Cherkessia. Von Antje Mayer.

James Bond im Kaukasus oder die Reise zum Anfang der Welt

Am Tag ist es dort sehr, sehr leise und in der Nacht sehr, sehr dunkel. Es stören keine hellerleuchteten Siedlungen, kein Handynetz, keine Flugzeuge, keine Autos. Allein: so weit das Auge reicht der majestätische, schneebedeckte Hauptgebirgszug des Nordkaukasus. Am Horizont, 150 Kilometer entfernt, bezeichnet der berühmte 5.642 Meter hohe Berg „El Brus“ die Grenze zwischen Europa und Asien, ein alpines Klima zum Bäumeausreißen, in den Tälern Urwald, weite saftige Ebenen, blühende Hochweiden, rauschende Wildbäche. Während 600 Kilometer westlich, in Tschetschenien, der Krieg wütet, ist es in dem Nationalparkgebiet friedlich, nicht einmal gefischt und gejagt darf dort werden. Und vor allem weit und breit kein Mensch.

Außer nachts. Wenn der glasklare Sternenhimmel in der absoluten Stille zu summen scheint, regt es sich im Tal. Dort versteckt sich in den dichten Wäldern, wie in einem James-Bond-Film, in der Sackgasse eines schmalen Tales, die durch Schlagbäume, Zäune und Soldaten gut bewachte Wissenschaftler-Siedlung des „Astrophysikalischen Spezial-Observatorium Russlands“. Seit Mitte der Siebziger leben in dem namenlosen, 500 Seelen zählenden, Plattenbau-Dörfchen mit einem Kreißler, einer Schule, einem Kindergarten und einem Mehrzweckraum die Elite der Astrophysiker der ehemaligen Sowjetunion und ihre Familien.Außer nachts. Wenn der glasklare Sternenhimmel in der absoluten Stille zu summen scheint, regt es sich im Tal. Dort versteckt sich in den dichten Wäldern, wie in einem James-Bond-Film, in der Sackgasse eines schmalen Tales, die durch Schlagbäume, Zäune und Soldaten gut bewachte Wissenschaftler-Siedlung des „Astrophysikalischen Spezial-Observatorium Russlands“. Seit Mitte der Siebziger leben in dem namenlosen, 500 Seelen zählenden, Plattenbau-Dörfchen mit einem Kreißler, einer Schule, einem Kindergarten und einem Mehrzweckraum die Elite der Astrophysiker der ehemaligen Sowjetunion und ihre Familien.

Am Tag schlafen die Spezialisten. Bei Einbruch der Dämmerung allerdings begeben sich zu Forschungszwecken auf den mühsamen, einen Kilometer langen Weg, zum Gipfel des „stillen und dunklen Berges“ Denn dort steht ihr „Kultobjekt“, eines der mit größten optischen Teleskope der Welt, unter einer riesigen, silber-metallischen, 50 Meter hohen Domkuppel, durch das die russischen Astronomen Nacht für Nacht in die Vergangenheit, an den Anfang des Universums, zu Millionen Lichtjahre entfernten, längst nicht mehr existierenden Galaxien und Sternen blicken.

„Im Winter rodeln die Physiker nach getaner Arbeit im Morgengrauen oft per Schlitten ins Tal. Am Ende der Welt lebt es sich gut“, lacht die Astronomin Tatjana Sokolova. „Ich bin hier -wie die meisten Wissenschaftler- schon seit über 25 Jahren“. Die Astrophysikerin hatte zur Sowjetzeiten als junge Studentin das Glück, ein Praktikum in dem berühmten Observatorium, dem ganze Stolz des damals bis in den Kosmos strebenden Sowjetreichs, zu „gewinnen“. Dort hatte sie sich in ihren jetzigen Ehemann, auch ein Astronom, verliebt und war in der Einöde geblieben. „Die Arbeit ist hart und einsam. Immer nachts zu arbeiten und in dieser Kälte. Das geht an die Substanz. Damit selbst die flimmernde Luft nicht stört, darf der Dom nicht beheizt werden“, erklärt Tatjana Sokolova.

„Dennoch hatten wir viele Privilegien zur Sowjetzeiten“, seufzt die Wissenschaftlerin. „Vor allem Geld. Das reicht seit dem Zerfall der Sowjetunion vorne und hinten nicht mehr.“ In Zeiten, in der sich die russische Raumfahrt mit dem Geld steinreicher Privat-Astronauten in der Umlaufbahn halten muss, bleibt auch für das international renommierte Zentrum der russischen Akademie der Wissenschaften kein Geld für kosmische Abenteuer und die Auslandsreisen der Forscher. „Mit siebzig Euro Monatslohn kann ich trotz meiner Qualifikation von so etwas nur träumen“, beschwert sich Sokolova. „Meine Chefs und ich wollen nun unsere Budget mit dem Geld von Touristen aus dem Westen aufstocken. Der Wissenschaft wegen.“

Die USA verfügten bis in die Sechziger über das größte Teleskop der Welt mit fünf Meter Durchmesser. Als die Sowjets 1957 ihren ersten Satelliten in die Umlaufbahn schossen, kannte die Euphorie der Russen keine Grenzen mehr. Sowjetische Logik: Der westliche Konkurrent musste folglich mit einem sechs Meter Durchmesser großem Teleskop übertroffen werden. Die Konstrukteure der Lomo-Optikwerke in Petersburg, aus denen auch die Lomo-Kamera stammt, der die Wiener Lomographen zu post-sowjetischen Weltruhm verhalfen, standen unter enormen Druck. „Ein Spiegelglas diesen Ausmaßes mit einer regelmäßigen Krümmung zu erzeugen, ohne das es bricht, schien zuerst unmöglich“, erzählt der Vize-Direktor des Observatoriums Valery Vlasyuk. „Durch eine extrem langsame Abkühlung der Spiegelmasse, bei ständiger Rotation, über mehrere Jahre hinweg, gelang dann schließlich das Bravourstück.“ Das fragile Gut transportierte man 1974 die tausende Kilometer Richtung Süden per Schiff. „Für den Landweg durch das kaukasische bergige Gebiet hatte man sieben Jahre extra breite Brücken gebaut und sanft ansteigende Straßen in das Gestein gesprengt“, erinnert sich Valery Vlasyuk kopfschüttelnd „Um jede Erschütterung zu vermeiden, wurden die Straßen vor dem Transporter sogar mit der Hand gefegt.“

„Noch ist ein Urlaubstrip an diesen glorreichen Ort sowjetischer Wissenschaftsgeschichte ein Geheimtipp“, bedauert Tatjana Sokolova, die gerade an einer eigenen Touristen-Infowebsite auf Russisch und Englisch bastelt. „Außer ein paar wissenschaftlichen Seminaristen, eine Handvoll Esoterikgruppen, die, wie erst kürzlich, hier mit einem Gaskocher außerirdisches Leben zu orten meinten oder heuer die Lomographen-Delegation aus Wien, die nach ihren unternehmerischen Wurzeln suchte und dabei auf die Idee kam, einen neu entdeckten Stern „Lomo“ zu taufen, gibt es hier nicht viele Touristen. Für eine offizielle Bewerbung fehlt uns noch die staatliche Konzession.“ Aber wen man indes zu „Forschungszwecken“ einlade, zwinkert die geschäftstüchtige Frau, bestimmten immerhin noch die Wissenschaftler selbst.

„Wir bieten hier alles, was das Urlauberherz begehrt“, ist Sokolova überzeugt. „Nächtliche Führungen zum optischen Lomo-Teleskop, mehrtägige, traumhaft schöne Wandertouren, physiotherapeutische Behandlungen, Sauna, Schwimmbad, Tennisplatz, immerhin drei Skilifte, die älteste christliche Kirche auf russischen Boden und ein Heimatmuseum in nächster Nähe, eine Bibliothek, Personal mit sehr hohem Bildungsniveau“, lacht die Wissenschaftlerin, „und sogar eine Astrophysiker-Theatergruppe.“

Und das alles in einem staubig-eleganten Sowjet-Ambiente für die privilegierte Arbeiterklasse, in dem es nicht verwunderte, wenn James Bond zu Tür hereinkäme, sich in die schwarze, tiefgelegte Siebziger-Jahre-Ledersitzgarnitur lümmelte, einen geschüttelten Martini bestellte und dabei die Welt vor den bösen Russen retten wollte. Die Glitzersteinwände in der Lounge des Gästehauses, die Gemälde in den Gängen, die die kosmologischen Errungenschaften der Sowjetunion anpreisen und der bunkerähnliche Speisesaal im Tiefgeschoss nebst Tanzfläche, in dem einem am Abend kaukasische Speisen nebst georgischem Wein und russischem Tango serviert werden, zeugen noch von solchen längst vergangenen Zeiten.
Und während sich oben am Berg die Augen der Astronomen in dem rot ausgeleuchteten Aufzug in die hohe Teleskop-Domkuppel, schon wieder langsam an die Dunkelheit gewöhnen, träumt mancher Besucher im Tal vielleicht indessen davon, wie Dr. No ihn in den Boden versenkt.





Vorbestellung erforderlich unter tns@sao.ru, Tel. 007 – 901 –498 29 31 (Man spricht gut Englisch).

Nächster Flughafen ist der circa 300 Kilometer entfernte Flughafen „Mineralnye Vody“ im Nordosten. Direktflüge ab München bietet die Fluglinie „Kavminvodyavia“ (KV). Termine: 20. 12. 02/27.12.02./3.1.03./ 10.1.03., dann wieder ab März alle zwei Wochen am Freitag. Info: Aerolink München: +49 (0) 89 516 399 –50, Preis: 449.- Euro (inkl. Taxen)

Es ist dringend zu empfehlen, den Shuttle des Observatoriums für 1.200 Rubel (ca. 42 Euro) in Anspruch zu nehmen. Eine Nacht mit Vollpension kostet 1.000 Rubel (ca. 32 Euro). Gruppenermässigung ist möglich. Das Programm kann individuell abgesprochen werden. Im Winter kann man Skifahren. Visumspflicht! Einladungen erfolgen über das Observatorium. Angaben ohne Gewähr.

erschienen im Standard/Rondo Nr.192/02,S.12ff

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