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Von Dörthe Ziemer, Christoph Kersting.

Ukraine: freie, aber käufliche Presse

In den meisten Staaten der GUS haben Journalisten kein leichtes Leben: Sie kämpfen mit Schikane durch Behörden, Zensur und nicht selten mit physischer Bedrohung und Gewalt. Ein Klischee? Teilweise ja, denn die Lage in der Ukraine scheint anders zu sein: Im größten Flächenland Europas herrscht tatsächlich so etwas wie Pressefreiheit.

Im ukrainischen Fernsehkanal 1 laufen Spätnachrichten. Ein Thema ist der Fall Tschernowezki: Das Stadtoberhaupt von Kiew konnte sich bei den Bürgermeisterwahlen im Mai durchsetzen und blieb im Amt – obwohl im Vorfeld der Wahlen massive Korruptionsvorwürfe gegen Tschernowezki laut geworden waren. Ein ausgewogener, kritischer Beitrag wie dieser ist im Fernsehen des Nachbarlandes Russland undenkbar. Dort befinden sich inzwischen so gut wie alle Medien unter staatlicher Kontrolle.
„Davon ist die Ukraine zum Glück weit entfernt“, sagt Nico Lange vom Kiewer Büro der Konrad-Adenauer-Stiftung. „Seit der Orangen Revolution gibt es hier eine Pressefreiheit wie in keinem anderen Land des GUS-Raums.“ Im Gegensatz zu Ländern wie Russland, Weißrussland und auch Georgien gebe es in der Ukraine eine pluralistische und kritische Berichterstattung über alle politischen Themen sowie eine Ausgewogenheit vor den Wahlen, „die selbst für viele westliche Demokratien nicht selbstverständlich ist. Da ist die Ukraine in dieser Region ein leuchtendes Beispiel.“
Die Pressefreiheit in der Ukraine stellt eine der wenigen Errungenschaften der Orangen Revolution im Jahr 2004 dar. Nach wochenlangen Protesten wegen Wahlfälschung wurde damals Wiktor Juschtschenko Präsident der Ukraine. Seinem Vorgänger Leonid Kutschma wurde unter anderem die massive Einschränkung der Pressefreiheit vorgeworfen. Aus den gefälschten Wahlen ging zunächst Juschtschenkos Widersacher Wiktor Janukowytsch als Sieger hervor, dieser unterlag jedoch bei der erneuten Abstimmung. Von der damals viel beschworenen Aufbruchstimmung ist heute nicht mehr viel übrig.
Die Regierung in Kiew ist in den vergangenen Jahren mehrmals zerbrochen, die einstigen Kämpfer für Demokratie und Freiheit Wiktor Juschtschenko und Julija Tymoschenko sind tief zerstritten. Doch obwohl man die Orange Revolution als gescheitert erklären könne, sei sie für die Zivilgesellschaft ein Gewinn, sagt Nico Lange. „Die Zivilgesellschaft ist heute viel weiter entwickelt als ihre Politiker.“ Die Bürger wüssten, was ihre Rechte in einer Demokratie sind. Mit diesem Wissen gingen sie heute zum Beispiel auch in Ämter – anstatt mit Bestechungsgeldern. Auch die Pressefreiheit gehört zu dem, was die Ukrainer inzwischen als ihr Grundrecht wahrnehmen. „Sie ist ein wichtiger Motor für den Elitenwechsel“, sagt der ukrainische Journalist Iwan Gaywanowytsch.

Jeanshosen-Journalismus

Doch bei genauerem Hinsehen verblasst auch der Glanz der ukrainischen Pressefreiheit. Zwar finden sich tatsächlich alle wichtigen politischen Kräfte des Landes in den Medien wieder. Das liegt jedoch vor allem daran, dass die Parteien bislang über die nötigen Finanzen verfügen. Denn vor allem im Fernsehen wird politische Berichterstattung in der Regel von den jeweiligen Akteuren bezahlt, weiß Nico Lange aus seiner Arbeit vor Ort: „Wenn ein Politiker in einer Talkshow auftreten will, gibt es eine klare Ansage vom Sender, wie teuer das sein wird.“
Insofern finden sich die politischen Kräfte des Landes nur so lange gleichermaßen in den Medien wieder, wie es ein Gleichgewicht zwischen den Geldgebern gibt. Nico Lange: „Es gibt drei Gruppen von Oligarchen, die Medien finanzieren. Wenn eine Gruppe stärker wird, ist dies eine Gefahr für die Medienfreiheit.“ Korrupte Journalisten tun ihr Übriges.
„Dschinza“ – Jeanshose, so heißt das System bezahlter Beiträge im Volksmund, weil das Geld sofort in den Hosentaschen der Redakteure verschwindet. Dass diese Praxis zum journalistischen Alltag gehört, ist unter ukrainischen Medienmachern ein offenes Geheimnis. Auch Wladimir Mostowoj, der Chefredakteur der kritischen politischen Wochenzeitung „Zerkalo Nedeli“, beklagt sich über die zweifelhafte Arbeitsweise vieler seiner Kollegen.

Einen Grund für die Einstellung vieler Journalisten zur Berufsethik sieht er in der schlechten Ausbildung: „Als ich noch in der damaligen Sowjetunion Journalistik studierte, gab es gerade einmal drei entsprechende Fakultäten in der gesamten Ukraine.“ Heute seien es sage und schreibe 41 – von zweifelhafter Qualität. Mostowoj zitiert eine aktuelle Studie, der zufolge der Bedarf an Redakteuren für die nächsten 400 Jahre gedeckt ist, wenn weiterhin Massen von Journalisten den Markt überschwemmen.
Mit noch größerer Sorge beobachtet Chefredakteur Mostowoj den Bedeutungsverlust kritischer Berichterstattung. Denn Pressefreiheit bedeutet für ihn auch, dass eine freie Presse Beachtung findet. So sei es zu nächst einmal kein Problem, den ukrainischen Präsidenten Wiktor Juschtschenko oder andere hochrangige Politiker zu kritisieren. „Aber was nützt das, wenn die Machthabenden das einfach ignorieren und sich nichts ändert? Wenn Sie schreiben, was Sie wollen, Ihnen aber keiner zuhört?“
Das wiederum wird zum Problem in den Redaktionen. Mostowojs Wochenzeitung „Zerkalo Nedeli“ stehe vor allem vor dem Problem, dass die Redakteure nicht wissen, worüber sie schreiben sollen. „Denn über alle politischen Skandale, die zurzeit aktuell sind, haben wir schon vor zwei, drei Jahren berichtet, ohne dass das jemanden interessiert hätte.“ Andererseits, so Nico Lange von der Konrad-Adenauer-Stiftung in Kiew, hätten gesellschaftliche Themen wie Aids oder die Minderheiten-Problematik auf der Krim keinen Platz in der ukrainischen Presse.

Elitenwechsel


Die Häufigkeit politischer Skandale und die Berichterstattung darüber haben auch Auswirkungen auf das Interesse der Leser. Sie haben verstanden, dass Politiker, selbst ihre Idole der Orangen Revolution, nicht vor Lügen und Betrügereien in der Politik zurückschrecken. Deshalb interessieren sie sich nicht für weitere Details darüber. Ob über gegenseitige Anfeindungen zwischen Tymoschenko und Juschtschenko berichtet wird oder nicht, das hebe oder senke deren Umfragewerte nicht, hat der Kiewer Iwan Gaywanowytsch beobachtet.
Doch gerade dieser Eindruck, der in der ukrainischen Presse von den Politikern vermittelt wird, ist der Ausgangspunkt von Veränderung. Nico Lange: „Die neue Mittelschicht, die Träger der Orangen Revolution, wenden sich inzwischen von Juschtschenko und Tymoschenko ab. Sie schauen, was ihre Politiker jetzt tatsächlich tun.“ Und sie sind auf der Suche nach Alternativen, nach Leuten, die nicht so schillernd sind wie die Helden der Orangen Revolution, die aber miteinander reden und gemeinsame Positionen finden können. Für diesen langsamen Elitenwechsel stellt die ukrainische Pressefreiheit eine Grundbedingung dar.



Christoph Kersting ist freier Rundfunk- und Printjournalist in Bremen mit den Schwerpunkten Osteuropa, Wissenschaft und Kultur. Außerdem ist er als Lehrbeauftragter für journalistische Darstellungsformen im Fach Medienmanagement an der FH Würzburg tätig.

Dörthe Ziemer ist Redakteurin beim Netzwerk für Osteuropa-Berichterstattung „n-ost“. Dort verantwortet sie den Artikeldienst und ist für die journalistische Weiterentwicklung des Angebotes zuständig. Davor war sie Blattmacherin bei der Tageszeitung „20cent“ in Cottbus.


Artikel erschienen in: REPORT. Magazin für Kunst und Zivilgesellschaft in
Zentral- und Osteuropa, September 2008
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