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Von Manuela Hötzl, Antje Mayer.

Nicht clever, sondern logisch

Mit einer neuen Messe für zeitgenössische Kunst will sich Wien als der Umschlagplatz für zentral- und osteuropäische Kunst etablieren

Als einer der ganz wenigen in Deutschland sammelt Thomas Lützenburger, Immobilienkaufmann aus Stuttgart, Kunst aus Zentral- und Osteuropa. Seit 1989, systematisch und „mit aller Leidenschaft“. Die großen Kunstmessen wie die Art Basel, Art Cologne oder die Londoner Frieze Art Fair sind für den Sammler uninteressant, viel lieber fährt er zur Kunstmesse nach Wien. Die viennAfair - The International Contemporary Art Fair (6. bis 9. April 2006) findet heuer zum zweiten Mal statt. Innerhalb des mittlerweile schier unübersichtlichen Überangebots von Kunstmessen versucht sie mit einem Schwerpunkt auf Zentral- und Osteuropa hervorzustechen. „Wo sonst, als auf dieser Wiener Kunstmesse kann ich mich in so geballter Form über Galerien und Künstler aus der zentral- und osteuropäischen Region informieren“, ist Lützenburger überzeugt. Für ihn ist die Donaumetropole in den vergangenen fünfzehn Jahren zur „heimlichen Hauptstadt Zentraleuropas“ mutiert.
Prädestiniert war die Stadt Wien von jeher dafür: auf Grund ihrer Vergangenheit als Metropole der K .und K.-Monarchie, den vielen dort lebenden Emigranten aus Osteuropa, ihrer zentralen geografischen Lage und nicht zuletzt durch die mittlerweile verkehrstechnisch gute Vernetzung durch die stetig wachsenden Flughäfen Wien-Schwechat und Bratislava. Was die deutsche Hauptstadt Berlin seit Jahren verkrampft zu vermarkten versucht und letztlich in Ostklischée-Events im Stile der „Russendisko“ versandete, wird in Wien längst alltäglich gelebt: ein intensiver Ost-West-Austausch auf politischer, kultureller und wirtschaftlicher Ebene.
Mehr als die Hälfte der österreichischen Auslandsgewinne, so das Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche, stammen inzwischen aus Zentral- und Osteuropa. Allein 300 internationale Konzerne steuern inzwischen von Wien aus die neuen Wachstumsmärkte an, darunter „Global Player“ wie IBM, Henkel, Alcatel oder Microsoft.
„Die Spezialisierung der viennAfair auf Zentral- und Osteuropa ist nicht clever, sondern das einzige Logische für den Standort Wien“, ist Edek Bartz überzeugt. Der charismatischer Ausstellungsdirektor der Messe, der in Kasachstan geboren ist und als Organisator der Bühnenshows von Frank Zappa, Rolling Stones oder Queen in Österreich als begnadeter Kommunikator bekannt wurde, hat hochfliegende Pläne: „Die derzeit so gehypten polnischen Künstler sind nicht über Wien international eingeführt geworden. So was darf nicht noch einmal passieren! Die Stadt sollte der Ort sein, von dem Künstler und Galerien aus der zentral- und osteuropäischen Region in den internationalen Kunstmarkt starten.“ Eine Erwartungshaltung an Wien, die nicht von heute auf morgen entstanden ist. Wiener Kunstinstitutionen wie etwa das Museum für Moderne Kunst Stiftung Ludwig, das Museum für Angewandte Kunst oder private Kunstförderer wie die Generali Foundation sammeln und zeigen schon seit langem regelmäßig Kunst aus dem genannten geographischen Raum.
Die Fakten sprechen allerdings, noch, eine andere Sprache. Insgesamt 107 internationale, vorwiegend österreichische Galerien stellen in diesem Jahr auf der viennAfair aus. Lediglich ein Viertel davon stammt aus dem zentral- und osteuropäischen Raum, wovon sich die Hälfte die Standmiete und Anreise nur mit Hilfe von Sponsoren leisten können. Aurora Kiraly, Leiterin der Galeria Noua, einer der Institutionen in Bukarest für zeitgenössische Kunst, zeigte sich von der Wiener Messe im vergangenen Jahr enttäuscht: „Kaum eine Galerie aus Zentral- und Osteuropa hat verkauft. Leider sind wir auch keinen Sammlern begegnet.“ Dennoch ist Rumänien, mit allein fünf Galerien, dieses Jahr das am stärksten vertretene Land aus der Region. Kiraly sieht es positiv: „Der Kontakt zu anderen Galerien, die mit den gleichen Problemen zu kämpfen haben, war wichtig für uns. Wir sind somit wieder dabei.“
Auch Juraj Čarný, Kurator und Gründer der Bratislavaer Space Gallery und seit Jahren umtriebiger Werber junger slowakischer Kunst im In- und Ausland, will auf eine Teilnahme in Wien nicht verzichten. „Meine Galerie hat auch auf anderen Kunstmessen, etwa in Milano, teilgenommen. Doch dort wurden wir ‚Ostgalerien’ nicht wie auf der ViennAfair integriert, sondern wie ‚Affen im Käfig’ präsentiert.“ Mit dem Versuch die Preise auf “Ostdiskont“ zu drücken, sieht sich der slowakische Galerist immer wieder konfrontiert. „Ich würde meine Künstler gerne günstiger verkaufen“, gibt sich Čarný diplomatisch, „auf lange Sicht sind sie auf dem internationalen Kunstmarkt damit aber weniger wert.“
Čarný hofft für die diesjährige viennAfair „auf späte Gerechtigkeit“ mit dem ihm ureigenen schwarzen Humor: „Im vergangenen Jahr habe ich die Kunstmesse finanziell unterstützt, indem ich meinen kaufkräftigen Sammler aus Italien mitbrachte. Heuer hoffe ich, dass sie sich revanchiert und mir einmal Sammler vorstellt.“
Die wurden vor der viennAfair seit Monaten von den Galerien und Organisatoren bezierst, nicht zuletzt des Rahmenprogramms, der vielen Museen und Partys wegen an die schöne blaue Donau zu reisen. Der Wiener Galerist und Osteuropaexperte Hans Knoll, der mit seiner bereits 1989 eröffneten Zweigstelle in Budapest als mutiger Pionier gilt, warnt davor, nur um die scheinbar finanzkräftigen westlichen Sammler zu buhlen. „In den neuen EU-Beitrittsländern, wie auch in der Ukraine und Russland, leben mehr Kunstkäufer als manche vermuten.“ Die rekrutieren sich nicht nur aus einem neureichen Milieu, sondern gehören einer neuen, relativ jungen und gebildeten Mittelschicht an. Während diese Sammler nach der Wende eher alte Meister kauften, interessieren sie sich seit einigen Jahren vermehrt für zeitgenössische Kunst. Als neuer Trend zeichnet sich zudem ab, dass jene nicht nur Gegenwartskunst aus dem Westen ankaufen, sondern auch aus der Heimat. Selbst für die Kunst ihre einstigen ‚Bruderländern’ beginnen jene sich zu interessieren. „Nur um Wertanlage geht es diesen Sammlern längst nicht mehr, sondern auch um einen Beitrag zur Aufarbeitung der eigenen Kunstgeschichte“, hat Hans Knoll festgestellt.
Zwei von knapp vierzig Sammlern aus Ungarn, die sich in diesem Jahr für Wien angemeldet haben und auf die Knolls These zutrifft, sind der 38 Jahre junge Medienunternehmer Zsolt Somloi und seine Ehefrau Katalin Spengler, Kunstkritikerin aus Budapest. Sie gehören, behaupten beide, zu den „Top five“ der Sammler jüngerer ungarischer Kunst. „Wien als Umschlagplatz für Kunst aus Ungarn macht für uns in näherer Zukunft mehr Sinn als Budapest. Dort fehlt es noch am professionellen Kunstmanagement sowohl seitens der Galerien als auch seitens der öffentlichen Stellen. Gleichwohl ich die Anzahl ernstzunehmender Sammler in Ungarn auf immerhin knapp hundert schätzen würde. Geld für Kunst ist - entgegen landläufiger Lamentiererei - im Osten zu Genüge vorhanden“, so Somloi.
Und was denken darüber die Künstler, die letztlich das produzieren, um das sich zukünftig in Wien alles drehen soll? Anetta Mona Chisa, eine junge Rumänin, Anfang Dreißig arbeitet in Prag und Bratislava erfolgreich als Videokünstlerin und weilt derzeit als Artist-in-Residence in Wien. Sie ärgert sich: „Wir Künstlerinnen sind es leid, unter dem Label ‚Ostkunst’ oder ‚Balkan’ subsumiert zu werden.“ Kuratoren wie Harald Szeemann, Robert Fleck oder Peter Weibel hatten seit den Neunzigern -gewollt oder ungewollt- solche Begriffe in die internationale Kunst- und Medienwelt hinein kommuniziert. Nicht zuletzt wohl auch deswegen, weil sie einer älteren Generation angehören, die zeitlebens die Gesellschaften in Ost- und West geteilt erlebt hatte. „Wir Jüngeren denken längst nicht mehr in diesen Schemata“; ist Künstlerin Chisa überzeugt: „Auf dem Kunstmarkt zählt letztlich nur gute oder schlechte Kunst.“



viennAfair. The International Contemporary Art Fair; 6. 4. – 9. 4. 2006; Messezentrum Wien Neu, Messeplatz 1, A–1020 Wien

Dieser Artikel ist gekürzt erschienen in dem Wochenmagazin „Die Zeit“ am 6.4.2006.

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