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„Warme Hosen wärmen, Makkaroni nähren, Flugabwehrgeschütze schießen“. So oder so ähnlich lautete einst die nüchterne Designmaxime in der Sowjetunion, in der die Moskauer Modemacherin und Künstlerin Lena Kvadrat (Jahrgang 1966) aufgewachsen war. Inzwischen hat die erfolgreiche Nachwuchsdesignerin ihre persönliche Modegeschichte geschrieben. Nicht nur auf der großen Moskauer Shoppingmeile "Arbat" unterhält sie eine gutgehende Boutique, seit Herbst vergangenen Jahres ist Kvadrat auch in die Westbahnstraße im siebten Wiener Bezirk expandiert, einen Steinwurf nur entfernt von der WestLicht Fotogalerie und der Krinzinger Projekte Galerie. Zudem werden ihre Stoffwerke in zahlreichen schweizerischen und deutschen Boutiquen verkauft, auch im Museumsshop des Wiener MAK oder des Berliner Guggenheim.

Von Antje Mayer.

Karotte und Businesshemd

Die russische Modedesignerin Lena Kvadrat eröffnet neben Moskau nun einen Shop in Wien

Lena Kvadrat („Ich sehe mich eher als Künstlerin als Modedesignerin“) hat sich mit ihrem Label "art point" zu den bekanntesten Szenestars in Moskau und Wien gemausert, nicht zuletzt wegen ihrer schrägen konzeptuellen Präsentationen in Zusammenarbeit mit Schauspielern, Laienmodels und Elektronik-DJs. Losgelegt hatte das Label vor knapp zehn Jahren als Künstlergruppe. Damals bedruckte Lena Kvadrat noch billige Accessoires, mit urbanen Piktogrammen, Verkehrs- und Verbotsschildern. „Am Beginn waren diese Objekte eher als Popart denn tragbare Mode gedacht“, erzählt Kvadrat. „Heute produziert ‚art point’ für die Straße in einer kleinen Auflage von fünfzig bis siebzig Stück. Wegen der billigen Löhne lassen wir das allerdings immer noch in Moskau machen.“

Kvadrats Markenzeichen? Druck und Fehler: Eine aufgedruckte kleine Karotte auf einem Businesshemd statt eines Logos, ein mit einem Gedicht verfremdeter Kleidkragen, ausgefranste Säume. Kvadrats Clou: Ihre Eingriffe sind auffallend unauffällig. „Der Träger liefert ohnehin siebzig Prozent eigene Geschichte mit, als Designerin nehme ich mich zurück, gebe gerade mal dreißig Prozent Mode vor“, übt sich Kvadrat im Understatement. „Das Um und Auf ist für mich immer erst das Konzept. Mit meinen Shops geht es mir nicht so sehr um Kommerz, sondern um Plattformen für künstlerische und gesellschaftliche Experimente, die ich über meine Modekonzepte kommuniziere“.

So entwickelte sie für die diesjährige Herbst/Wintersaison die Kollektion „Krise des Körpers“. Ein Chor über Dreißigjähriger soll die Modelle bei der Modeshow präsentieren. „Alter ist in unserer Gesellschaft vornehmlich negativ besetzt“, so die Russin. „Es wird ausschließlich an der Vergänglichkeit des Körpers gemessen, als Krise. Ich finde das Alter modisch hingegen äußerst produktiv. Das thematisiere ich.“

Derart kritische und neue Ansätze stoßen bei den nach westlichem Glanz und Glamour hungrigen „novi Russki“, (neureichen Russen) begreiflicherweise noch auf Unverständnis. Doch Kvadrat kann warten: „Nach Ironie, Provokation und Reflexion kann man in der russischen Mode immer noch lange suchen. Aber keine Sorge. Alles ist in Russland momentan im Prozess. Wir wandeln uns schneller, als so manch einem lieb sein mag.“



erschienen in Kunstzeitung Nr.85/Sept.03,S.28