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Von Antje Mayer.

Mit dem Reisepass im Mund durchs Meer

Das kleine Slowenien darf heuer als erstes Beitrittsland von 2004 die EU-Ratspräsidentschaft übernehmen. Grund für einen winterlichen Kurzbesuch in der Hauptstadt Ljubljana mit mediterranen Gefühlen.

Die Stadt verbreitet ein beschwingtes, junges Flair. Dass ihr Name Ljubljana von „ljubljena“ (dt.: geliebt) kommt, mag man gerne glauben. „Aber das Schönste an Ljubljana ist, dass man nur eine Stunde Autofahrt nach Triest für einen hervorragenden italienischen Capuccino braucht“, erklärt Maja Vardjan, Mitte 30, Architektin, Journalistin und seit gut einem halben Jahr Leiterin einer eigenen Galerie für Design in Ljubljana.
Mit knapp 280.000 Einwohnern ist Ljubljana, auf Deutsch „Laibach“, nicht gerade sehr groß, in der Kulturszene kennt hier jeder jeden. „Man muss oft wegfahren, damit einem nicht die Decke auf den Kopf fällt“, gibt sich Maja kritisch, aber den Vergleich mit dem nahen, ähnlich großen Graz will die selbstbewusste Slowenin dann doch nicht so stehen lassen: „Ljubljana ist nichtsdestotrotz eine Hauptstadt. Wir können zwischen Dutzenden Clubs mit internationalem Musikprogramm wählen, ebenso zwischen vielen ernst zunehmenden Galerien, alternativen Kulturzentren, Hunderten Lokalen, Cafés, etlichen Museen und Theater. Wir sind eben eine ‚Capital village‘, eine Dorfmetropole.“ In das knapp vier Stunden mit dem Auto entfernte Wien fahre sie im Übrigen gerne, gibt Maja zu, um die vielen internationalen Ausstellungen zu besuchen, die sich die Kunstinstitutionen in Ljubljana allein schon wegen der immensen Versicherungssummen nicht leisten können.
Igor Stromajer, Künstler und Betreiber der intermedialen Plattform „intima.org“, sieht Ljubljana im globalen Trend: „Die kleineren Regionalstädte sind im Gegensatz zu Metropolen wie Paris und London, wo sich niemand mehr ein lebenswertes Leben leisten kann, im Kommen.“ Man müsse sich nur Lille in Frankreich oder Porto in Portugal ansehen, nicht zuletzt das slowenische Maribor, das eine extrem lebendige Kunstszene vorzuzeigen habe. „Slowenien ist so klein und unsere Küste so kurz“, erzählt mir Igor am Abend beim Essen, „dass wir mit zwischen die Zähne geklemmtem Reisepass schwimmen gehen müssen.“ Slowenien habe von jeher allein wegen seiner Größe und wegen seiner geografischen Lage als Transitland Probleme, eine eigene Identität zu definieren. „Es gibt eigentlich nichts, was spezifisch slowenisch ist: keine typische Speise, keine spezielle Landschaft, keinen eigenen Baustil. Vielleicht gelten wir deshalb als Musterschüler der EU, weil wir immer europäisch, multi-, inter- und transkulturell waren.“ Igors Großmutter hatte beim EU-Beitritt Sloweniens 2004 ganz lakonisch gemeint: „Sind wir nicht bereits seit sieben Jahrhunderten europäisch?“

Klimawandel der slowenischen Art

Ljubljana im Januar 2008. Die Sonne scheint, die hohen, schneebedeckten Alpengipfel erinnern an Meran oder Bozen, der Himmel lässt die nahe – rund 47 Kilometer kurze – slowenische Riviera erahnen. Man meint das Meer zu riechen. Das ist dann aber wohl doch eher eine Einbildung. Keine Fata Morgana hingegen sind die brechend vollen Schanigärten der unzähligen Cafés und Bars, die in diesem Winter mediterrane Atmosphäre in den kleinen malerischen Gassen der Altstadt verbreiten. Seit August 2007 herrscht strenges Rauchverbot am Arbeitsplatz, in öffentlichen Gebäuden und in den Lokalen. Nun sitzen – und arbeiten? – die Nikotinabhängigen eben unter wärmenden Gaslampen auf der Straße, und offensichtlich die, die nicht rauchen, aus Solidarität auch. Klimawandel der anderen Art.
Und wie halten es die Slowenen mit der Bezeichnung Balkan? Alenka Gregorič, die junge künstlerische Leiterin der legendären Galerie Škuc, stellt sich die Frage selbst: „Wo beginnt der Balkan? Immer woanders. Für einen Schweden in Wien, für uns Slowenen natürlich erst an der kroatischen Grenze. Viele bei uns definieren ihr Land lieber als Teil der Alpen-Adria-Region. Es gibt bei uns viele Witze zu dem Thema, was lebendiger Ausdruck einer aktuellen Identitätssuche ist. Ein bisschen Balkan ist auf alle Fälle in uns, denn wir waren doch Teil der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien, und es leben viele Bosnier und Kroaten im Land. Das Label ‚Balkan‘ hat doch für so manchen slowenischen Künstler anfangs auch die Eintrittskarte für das internationale Kunstparkett dargestellt.“

Doppelpenis à la Plečnik

Slowenien hat sich auch zu Zeiten des ehemaligen Jugoslawien immer stark über die Kultur definiert. Darum wird wohl fast alles, sogar Clubs, sogar einzelne Kulturschaffende – indirekt durch die Zahlung von deren Sozialabgaben – von staatlicher Seite unterstützt. Etwa zwischen 2.500 und 3.000 Personen sind in Slowenien mittlerweile als „Kulturarbeiter“ registriert, ungefähr die Hälfte von ihnen bekommt Unterstützung. Die Institutionen erhalten mittlerweile immerhin Drei-Jahres-Budgets von einer Expertenkommission zugesprochen, wobei aber das Programm jährlich im Vorhinein neu beantragt werden muss.
Maja zeigt mir eine Straßenlaterne mit zwei seltsam nach unten gerollten Phallussymbolen in einer Nebengasse, eine jener vielen kleinen Interventionen im Stadtraum, die exemplarisch für den schrägen Humor des genialen Stadtarchitekten Jože Plečnik (1872–1957) stehen. Als „Säule der doppelten Impotenz“ soll der deutsche Architekturtheoretiker Andreas Ruby die Laterne mal bezeichnet haben. Der Verwendungszweck einer kleinen Plečnik-Pyramide auf dem Bürgersteig der Zoisova-Straße gibt den Einwohnern von Ljubljana bis heute Rätsel auf. Die Autos müssen aufgrund des sperrigen Denkmals (gewollt?) ein veritables Ausweichmanöver vollführen. Ein Hinweis auf Plečniks Mitgliedschaft bei den Freimaurern?
„Für uns junge slowenische Architekten ist prägend, wie Plečnik den öffentlichen Raum in Ljubljana zu gliedern verstand. Er war – auch privat – ein ziemlich spleeniger Typ, dessen Geist bis heute die Stadt prägt. Ein Meister seines Fachs und so was wie eine Trademark für Ljubljana“, meint der slowenische Architekt Matija Bevk (geboren 1972), der mit seinem Partner Vasa Perović (geboren 1966) eines von den vielen neuen Architekturbüros in der Stadt gegründet hat. „Die junge Architekturszene in Ljubljana ist sehr lebendig“, erklärt Maja Vardjan. „In den Neunzigern waren die Wettbewerbe noch nicht eingeschränkt. So konnten sich ein paar neue, kleinere Büros früh mit größeren Projekten etablieren.“ Die legendären Ausstellungen „Sixpack“ (2004) und „Young Blood – I’m a Young ‚Sloven‘ Architect“ (2005) taten ihr Übriges, um die slowenischen Nachwuchsarchitekten in der ganzen Welt erfolgreich bekannt zu machen.
Es gibt viel zu bauen in Slowenien, und Geld dafür ist vorhanden. Das Land hat knapp über zwei Millionen Einwohner und gilt als „Streber“ unter den 2004 beigetretenen EU-Staaten. Heuer wurde ihm die „Ehre“ zuteil, als erster Neueinsteiger die EU-Ratspräsidentschaft zu übernehmen. Denn die ökonomischen Zahlen könnten besser nicht sein, auch wenn im heurigen Januar beinahe ein Generalstreik gedroht hätte, weil die Bevölkerung die Teuerung durch die Einführung des Euro nicht mehr länger mit ihren niedrigen Löhnen tragen wollte. Um die tausend Euro beträgt der Durchschnittslohn, die Preise bei H&M und Benetton sind so hoch wie in Wien. Aber der Staat funktioniert, wohl mit ein Grund, warum die jungen Künstler im Land bleiben – im Gegensatz zu Bosnien oder Bulgarien.
Matija Bevk und sein Partner haben zu günstigen Konditionen eine großzügig geschnittene Etage in der alten Tabakfabrik gemietet und dort ihr Architekturbüro eingerichtet. Die Fabrik ist eine jener zahlreichen, leer stehenden Industrieanlagen außerhalb des Zentrums der Stadt, die derzeit für die „Creative Industry“ des Landes zu Büros und eleganten Wohnlofts umgebaut werden. ROG, ein altes Fahrradfabriksgelände, ist auch so ein Areal, auf dem demnächst ein Zentrum für zeitgenössische Kunst mit einem Architektur- und Designzentrum entstehen soll, quer finanziert von kommerziellen Mietern. Ganz nach dem Geschmack des derzeitigen slowenischen Kulturministers Vasko Simoniti, einem Mann, der als arrogant und konservativ verschrien ist, mehr Manager als Kulturliebhaber. Die Kunstszene in Ljubljana sieht das kommerziell orientierte Projekt im ROG skeptisch, ist man doch anarchische Szenerien wie jene der Metelkova gewöhnt, einem von der autonomen Kunstszene seit 1993 besetzten Kasernengelände mit – staatlich unterstützten – Galerien, Clubs, Studios, Sozialeinrichtungen und einem Jugendhotel in einem ehemaligen Gefängnis. Es liegt im von Immobilienhaien umkämpften Stadtzentrum, unweit des Hauptbahnhofs. Immer wieder hat die Stadt versucht, die Gebäude abzureißen oder zumindest den Strom abzustellen. Bisher ohne Erfolg. Aber wer die besetzte Autonomenruine „Tacheles“ in der Berliner Oranienburger Straße kennt, weiß, dass die alternative Punk-Hippie-Attitüde solcher Kulturspots mittlerweile auch schon etwas gestrig daherkommt.

Die glorreichen Achtziger und Bärenflegel

Doch vielleicht hat diese Haltung in Ljubljana eine etwas andere Bedeutung als im Westen. Im Jugoslawien der achtziger Jahre, zwischen dem Tod Titos 1980 und dem „Zehn-Tage-Krieg“ im Jahr 1991, der schließlich zur Unabhängigkeit Sloweniens führte, als das System zu bröckeln begann, vibrierte die Kulturszene in Ljubljana wie nie zuvor. Staatskritische Kunstaktionen, wilde Punkkonzerte, schräge Lesben- und Gay-Treffs prägten den Underground der slowenischen Hauptstadt. Die Protagonisten der Künstlerkollektive von damals sind zum Teil bis heute künstlerisch tätig. Großer Impulsgeber war damals NSK („Neue Slowenische Kunst“), aus dem die Industrial-Band „Laibach“ hervorging. Bis heute aktiv ist das Künstlerkollektiv IRWIN (Miran Mohar, Andrej Savski, Borut Vogelnik), das beispielsweise mit dem seit 2004 im Internet zugänglichen Kunstprojekt „East Art Map“ Kuratoren, Kritiker und Künstler einlädt, wichtige Kunstprojekte ihrer Länder vorzustellen. Weniger im Westen bekannt ist die vormals legendäre Industrial-Funk-Band „Borghesia“ rund um den charismatischen Künstler, Journalisten und DJ Aldo Ivančić, der auch die Performance- und Theatergruppe „FV112/15“ gründete. In dadaistischer Manier hatte man den Titel einfach einer slowenischen Enzyklopädie entnommen, auf deren Seite 112, Zeile 15, zu lesen war: „C’est la guerre!“ Einen wichtigen Part nahm auch die „Galeria Škuc“ ein, die eine der frühesten Ausstellungen aktueller kritischer Kunst in Jugoslawien organisierte. Es folgten Jahre des Versuchens und Experimentierens mit technologischen Praktiken bis Mitte der Neunziger, dann eine lange Krise der Kunst, die momentan einem „Zweiten Frühling“ mit einer engagierten Generation jüngerer Künstler zwischen 20 und 30 Jahren weicht.
Mit der Einstufung Sloweniens als „Balkanland“ hat der Künstler Igor Stromajer im Übrigen kein Problem. Griechenland stelle ja auch einen Teil des Balkans und einen modernen EU-Staat dar. Obwohl, negativ besetzt sei der Begriff ja schon, lacht Igor. Als der Krieg am Balkan wütete, erzählt er, waren viele Bären in den Wäldern aufgescheucht worden. Man wollte sie daher in die französischen Pyrenäen umsiedeln. Die Einheimischen dort protestierten aber: Bären vom Balkan, so ihr Argument, hätten ein zu schlechtes Benehmen.



Artikel erschienen in: REPORT. Magazin für Kunst und Zivilgesellschaft in
Zentral- und Osteuropa,Februar 2008

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