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Von Antje Mayer.

Überbetreut (fast) zum Nulltarif

Ein Porträt der Universität für Angewandte Kunst Wien

Zu „Meet the future in Vienna!“ rief Gerald Bast auf, Direktor der Universität der Angewandten Kunst in Wien, kürzlich in einem Kommentar in der österreichischen Tageszeitung Der Standard. Ein frommer Wunsch, der zugleich impliziert, was viele seit Jahren kritisieren: Wien ist (noch) weit davon entfernt, internationaler Knotenpunkt von Forschung und Innovation auf den Gebieten der Wissenschaft und Technologie, aber auch der der Kunst, Mode oder Design zu sein.
Aber doch tut sich was. Direktor Stephan Schmidt-Wulffen an der „Akademie der Bildenden Künste“, die vormals im Vergleich zur „Angewandten“ reichlich verschlafenen Wiener Konkurrenzinstitution am Schillerplatz, weckte in den vergangenen drei Jahren radikal – wenn auch nicht optimal- auf, was bisher selig schlummerte: Nicht nur die Lehrpläne wurde teils geändert, auch veraltete Studiengänge gestrichen, unter anderem das Dreistufensystem Bakkalaureat, Magisterium und Doktorat eingeführt. Kürzlich wurde schließlich Kopf auf Fall annähernd die komplette Professorenschaft –unter harscher Kritik vieler Studenten und Lehrkräfte - ausgewechselt.
An der Universität für Angewandte Kunst verfolgt man eine andere Taktik. Das Dreistufensystem, insbesondere das dreijährige Bakkalaureat, findet Direktor Gerald Bast „nicht sachgerecht“ und „zu schulisch“. „Wir halten an unseren Diplomstudien fest. In den Fächern Design und Architektur etwa benötigt man für eine qualifizierte Ausbildung, meiner Meinung nach, mehr Zeit, mindestens vier bis fünf Jahre.“ Ob das Meisterklassen-Konzept, das die Angewandte nicht offiziell, so doch durch die Verpflichtung großer Namen von Zaha Hadid, Erwin Wurm, Greg Lynn bis Wolf D. Prix (von Coop Himmelb(l)au) inoffiziell pflegt, nicht obsolet geworden sei? Bast antwortet gewohnheitsgemäß diplomatisch: „Wir wollen den Studenten durch die besten Lehrer bestmöglich in seiner Persönlichkeitsentwicklung unterstützen. Aber natürlich wollen wir schon eher das Prinzip des Teams forcieren.“
Fragt man Lehrende aus dem Mittelbau, bekommt man andere Antworten. Man hätte auf der Angewandten kaum die Karrierechancen, wie sie zum Beispiel an holländischen Lehreinrichtungen geboten würden. Eigeninitiative würde nicht wirklich gefördert, die hierarischen Strukturen verböten eigenständiges Denken, nicht nur bei den Lehrenden, sondern somit leider auch bei den Studenten, die für den Arbeitsmarkt damit nicht gerüstet seien. Der bürokratische Apparat, nicht zuletzt durch unkündbare Beamte, verhindere jedwede Spontaneität, ganz abgesehen von notorischen Platzmangel und schlechten Zustand der Räumlichkeiten.
Gegen letzteres Problem soll bald Abhilfe geschaffen werden. Die mittlerweile insgesamt 1.800 Studenten der Angewandten Platz, die meisten übrigens davon Österreicher, gefolgt von Deutschen und Osteuropäern, vorderhand Bulgaren, brauchen 10.000 Quadratmeter mehr Platz als vorhanden, wie kürzlich evaluiert wurde. Nun wird bis Anfang 2007 darüber entschieden, ob man einen Teil des Hauptgebäudekomplexes am Oskar-Kokoschka-Platz abreißt und wieder neu aufbaut, neue Räume in der Nähe anmietet oder gar einen kompletten Neubau in der Innenstadt hinstellt.
Bedarf besteht. Immer mehr junge Menschen, so scheint’s, zieht es zur Kunst. Fast die Hälfte mehr Studenten verzeichnet die Angewandte die vergangenen fünf Jahre. Leicht ist es immer noch nicht, in den elitären Kreis der Kreativen aufgenommen zu werden. Vergangenen Herbst hatten knapp 1.400 Ambitionierte eine Aufnahmeprüfung versucht, wovon gerade mal 283 die Chance erhielten, fast zum Nulltarif, „überbetreut ein familiäres Ambiente zu genießen“, wie ein Student es ausdrückt. Die steigende Bewerberzahl ist für Direktor Bast ein Signal für das wachsende Interesse der Jugend an der Beschäftigung mit zeitgenössischer Kunst, Architektur und Design: „Wenn die Politik nur den technologischen Fortschritt fördert, denkt sie zu kurz. Ohne Kunst kein Fortschritt!“. Bast, seines Zeichens übrigens Rechtswissenschafter und Wirtschaftswissenschafter, gibt sich sportlich: „Man muss die Taktik ändern! Wenn man in der Mitte abgeblockt wird, ist das Spiel über die Flanken die Lösung. Am besten beide gleichzeitig: Wissenschaft und Kunst. Auf internationalem Niveau. Mit gemeinsamer Strategie und modernster Spieltechnik.“
Die Qualität und die Modernität der Studienrichtungen divergieren stark an der Angewandten. Als besonders gutes Institut gilt das für Architektur, an dem Prix, Lynn und Hadid das Zepter schwingen. Dass mancher dieser Stars, besonders Zaha Hadid, eher selten einfliegen und wenn, dann ihre Allüren freien Lauf lassen, hat die öffentliche Diskussion um die Frage entfacht, ob große Namen auch immer gute Lehrer sind? Dass im Jänner 2006 der britische Stardesigner Ross Lovegrove (Bereich Industrial Design) nach nur einem Semester das Handtuch schmiss, war äußerst peinlich. Die Trennung erfolgte „einvernehmlich und aus Zeitgründen“, so Direktor Gerald Bast. Gerüchten zufolge war auch ein Grund, dass Lovegrove in Wien nicht die Flexibilität vorfand, mit der er zu arbeiten gewohnt war. Unterdessen werkelte man in der herrenlosen Abteilung ohne Professor. Im aktuellen Wintersemester steht interimistisch der bekannte deutsche Produktdesigner Hartmut Esslinger (frodesign GmbH) der Klasse vor. Eine sesshaftere Nachbesetzung als Lovegrove steht noch nicht in Aussicht, man sei dabei, so Bast.
Man hätte einiges zu bieten, vor allem Tradition: Das Haus, das 1867 als Wiener Kunstgewerbeschule gegründet wurde, angeschlossen an das benachbarte Museum für Kunst und Industrie (heute MAK), kann auf eine glorreiche Geschichte zurückblicken. Schließlich unterrichtete ebenda die Avantgarde der Zeit, wie die Wiener Secessionisten Josef Hoffmann, Kolo Moser oder Arthur Strasser um die Jahrhundertwende. Der Entwicklungsplan 2005-2009 der Universität für Angewandte Kunst lässt vermuten, an diesem Level will man sich messen: In Zukunft auch wirklich „angewandt“ zu sein, auf hohem Niveau, nachhaltig, interdisziplinär, dem Arbeitsmarkt angepasst, mit einem Schwerpunkt auf Forschung, so der ambitionierte Plan. Mit großen Namen ist es dahingehend nicht getan, auch wenn das lange die heilsversprechende Strategie schien. Eher noch zaghaft versucht man derweil den Studenten und Abgängern durch Ausstellungen und Publikationen unter die Arm zu greifen und dahingehend mit anderen öffentliche Institutionen wie etwa der Kunsthalle Wien, dem Technisches Museum, heuer im Herbst etwa durch eine Kooperation mit der Architektur Biennale in Venedig zu kooperieren.
Eine Studentin sieht es realistisch. „Auch wenn ein Student, der einen Studiumsplatz an der Angewandten ergatterte, von seinesgleichen beneidet wird, so wird er von schon im Berufsleben Stehenden, eher herablassend als ‚kunstsinnig ambitioniert’, aber nicht einsetzbar eingestuft. Nach langem Bewerbungsfrust als schlecht bezahlter Grafikersklave hinter den Bildschirm zu versauern, ist die große Gefahr.“ In Zukunft soll ja nun alles besser werden.

Antje Mayer