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Danzig, 18. Juli 2003, Bezirksgericht Danzig: Die polnische 30jährige Künstlerin Dorota Nieznalska wird wegen Verletzung religiöser Gefühle zu 20 Wochenstunden unbezahlter Sozialarbeit und begrenztem Freiheitsentzug verurteilt. Ihr Vergehen: Nieznalska hatte in der Danziger Wyspa Galerie im Januar 2002 im Rahmen der Ausstellung „Passion“ ein Kreuz mit einem Foto eines männlichen Genitales gezeigt.

Von Antje Mayer.

Provinzpossen um zwei Penisse

Ortswechsel. Salzburg, ebenfalls 18. Juli 2003. Die österreichische Künstlergruppe Gelatin beginnt ihre, auf Einladung des Museum der Moderne Salzburg (Rupertinum) konzipierte, Skulptur „Arc de Triomphe,“ auf dem Max-Reinhardt-Platz vor dem Festspielhaus aufzubauen. Sechs Tage später fordert der ressortzuständige Bürgermeisterstellvertreter Siegfried Mitterdorfer (FPÖ) die Museumsdirektorin Agnes Husslein-Arco auf, diese „Skulptur wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses unverzüglich zu entfernen.“ Ein Tag später rückt die Berufsfeuerwehr nebst Polizei mit Kranwagen und Tieflader an, um das Kunstwerk zu schleifen. Nach der Ablehnung von Husslein und Gelatin, das Werk in den Innenhof des Rupertinum zu verlegen, wird es mit einem Bretterverschlag verhüllt, um den Ärger der anrückenden Festspielgäste nicht zu „erregen“.

Was galt es diesmal den Blicken der Öffentlichkeit zu entziehen? Frauenfeindliches? Nackte Brüste? Kinderporno? Nein, viel schlimmer, wiederum ein Penis. Aus diesem, erigiert, spritzte auch noch Wasser in den Mund seines Besitzers, einer pinken Skulptur, die eine Brücke schlägt, splitternackt, bis auf Tennissocken und einem verrutschten T-Shirt.

Man müsste meinen, dass doch ein wenig Stolz bei den Herren der Stadtverwaltung angebracht gewesen wäre, angesichts der Demonstration solch kühner männlicher Akrobatik. Aber nein, die gaben sich, so schien’s beleidigt, weil das Plastilinzipfelchen wohl schon etwas verschrumpelt anmutete und ein gänzlich unrealistisches Bild von Männlichkeit vermittelt hätte. Also transportierten sie die Skulptur Anfang August kurzerhand ab.

Offiziell wurde freilich mokiert, dass die genehmigten Pläne von Gelatin nicht mit der Ausführung übereinstimmten. Der rote Bürgermeister Heinz Schaden (SP) ist so sauer, dass er sogar den Kopf der Museumsdirektorin Agnes Husslein-Arco forderte. Die wollte freilich ihren Job behalten und verhielt sich auch akrobatisch. Beugte sich und gab sich gleichzeitig kämpferisch, klagte die Stadt und forderte zu einer Unterschriftenaktion auf (www.arcdetriomphe.at).

Nicht kämpferisch, sondern dilletantisch hätte Agnes Husslein in der „Salzburger Pimperlaffäre“ reagiert, ätzte Wolfgang Lorenz, Intendant der Kulturhauptstadt Graz 2003, bald danach: "Hätte Husslein diese Aktion medial vorbereitet, inhaltlich geschickt begleitet und sich nicht lausbübisch versteckt, dann wäre Salzburg diese Provinzposse, in der es nur Verlierer und keine Sieger gibt, erspart geblieben."

Einer der „Verlierer“, die Künstlergruppe Gelatin, gibt sich gelassen. Kalkül hätte hinter der Eskalation nicht gesteckt. Dass ihr Mäniken Piss vor dem Festspielhaus für Aufregung sorgen würde, so Gelatin, wäre ihnen schon bewusst gewesen, aber eine derartige Reaktion seitens der Stadt (Einkasteln) und eine solch große mediale Aufregung fänden sie schlicht und einfach unnötig.



erschienen in Kunstzeitung Nr.85/Sept.03,S.26