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Am 25. Mai hätte Marschall Tito seinen 112. Geburtstag gefeiert. Hätte? Hat! Denn: Tito lebt! Oder auch nicht. Oder noch so halb. Was aus Titos Erbe wurde oder wie man mit Sammelwut Unsterblichkeit erlangt. Ein Lokalaugenschein in Belgrad... Von Antje Mayer.

Titos Ramschladen

Das alte Hotel Slavija steht im Zentrum von Belgrad und ist eine Perle sozialistischen Designs. Jeden Moment erwartet man dort den teiggesichtigen Slobo und seine Frau mit ihren Betonfrisuren auf dem Flur zu begegnen. Braune Sesselgarnituren, vergilbte Plastikblumenarrangements umgeben von Respekt einflössenden Musterkompositionen, die sich über Teppiche, Vorhänge und die Blusen der Kellnerinnen wuchern. Gelsenkirchener Turbo-Barock trifft Raumschiff Enterprise. Zimmer 216. Kofferboy Dragan ist es offensichtlich peinlich, dass im Aufzug die Taste „2“ für die zweite Etage herausgebrochen ist. Egal. Wir fahren stattdessen in den dritten Stock. Improvisation ist derzeit das Gebot der Stunde in Belgrad. Seit der Nato-Bombardements im Frühjahr 1999 und der darauffolgenden politischen und wirtschaftlichen Isolation geht derzeit kaum mehr etwas in Serbien seinen geraden Weg. „Teško je nama bez tebe, Tito“, seufzt Dragan als er das sperrige Gepäck vom dritten in den zweiten Stock zehrt: „Schwer haben wir es ohne dich, Tito.“
Der einstige jugoslawische Staatspräsident hatte fast vierzig Jahre ein geeintes Jugoslawien regiert, die Ökonomie des Landes dem Westen geöffnet und mit sicherer Hand und Coca-Cola das Land sozialistisch, aber blockfrei, durch den kalten Krieg geboxt. Josip Broz, genannt Tito, hatte die Serbenfrage so wenig wie Slobodan Milošovic gelöst. Immerhin besser. Man ehrt den vormaligen Partisanenführer heute in Serbien, keine persona non grata, aber verehrt ihn nicht. Die Serben brauchen vielmehr einen Neuanfang. Zukunft derweil unbekannt.
So zeugen heute nur noch ein paar abbröckelnde Repräsentationsbauten und das vernachlässigte Tito-Mausoleum vom einstigen großen Führer. Dort liegt er seit 1980, zehn Autominuten vom Hotel Slavija entfernt, in einem Marmor-Sarkophag. Daneben ein Bund vertrockneter Blumen, ein voll gekritzeltes Kondolenzbuch. Keine Ehrengarde mehr, nur ein grimmiger Bodyguard und ein respektloser Gruß der Nato: große Bombensplitter, direkt neben dem Schrein. Überreste des Friedensbeschusses im April 1999 auf die Villa der Milošovics. Die gehörte einst Titos und steht nur ein paar hundert Meter hinter der letzten Ruhestätte des einstigen Partisanenführers.
Während nach 1989 im Osten die Mauern fielen, hatte Slobodan Milošovic das Erbe Titos geschändet und sie in Jugoslawien wieder Stück für Stück errichtet. Auch eine für sich persönlich. Eine, die ihm den Ausblick von seiner privaten Residenz zur letzten Ruhestätte des Marschalls versperrte, zu Titos geliebten, weil von duftenden Nadelholz umschlossenen Sommer-Bungalow, dem „Haus der Blumen“. Milošovic Mauer war letztlich ein Glück: Während der Nato-Bombadierungen trug das Mausoleum nur kleine Schrammen davon und die riesengroßen Fensterfronten des anschließenden Tito-Memorial-Centers blieben heil.
Das Memorial Center wurde schon 1996 von Milošovic per Gesetz offiziell geschlossen. Heute heißt es Museum der jugoslawischen Geschichte. Es ist leer. Gänzlich leer. Zehn Tennisplätze hätten dort heute in den großen Hallen ohne Probleme Platz. Für einen im radikal raumnutzungs-optimierten Westen Aufgewachsenen ein berührendes Raumgefühl.
In einem winzigen Kämmerchen neben dem großen Eingangsvestibül sitzt Momo Cvijoviæ. 25 Jahre arbeitet er schon als der Kurator und Archäologe für das Haus. Momo hat Zeit. Hauptsache sein türkischer Kaffee wird nicht kalt. Nach dem zweiten Slibowitz holt er seinen Schlüsselbund aus der Schublade und zeigt, warum das Museum unbemerkt doch das Tito-Memorial-Center geblieben ist, und dass es üppig bestückt ist. Sehr üppig.
Während nämlich im ersten Stock die Ausstellungsräume gänzlich leer stehen, verstauben unbemerkt in den verschlossenen Archiven im Erdgeschoss weit über 300.000 Exponate. Geschenke über Geschenke für den Balkan-Chameur von seinen „Brüdern und Schwestern“ aus 106 Nationen in der ganzen Welt. Allein über 20.000 Stafetten mit Grußbotschaften des Volkes, die Tito traditionell zu seinem Geburtstag am 25. Mai überreicht wurden, zählt die Sammlung. Dazu wertvolle Kunstgegenstände aller Epochen, die in den Kammern, kaum gesichert, verstauben. Schmuck, Fotos, Waffen, Textilien, technische Prototypen von der Nähmaschine bis zum Computer. Und ein Haufen skurriler Kitsch: Minipanzer mit eingravierten Liebesschwüren an den Marschall, Sowjetstern-Kissen mit Rüschenrand, auch ein Miniatur-Atomkraftwerk aus Elfenbein. Ein Sammelsurium der Alltags- und Kunstgeschichte von unschätzbar dokumentarischem Wert.
All dieser Schnickschnack, dessen Besonderheit größtenteils darin besteht, alles, nur nicht irgendeinem praktischen Zweck zu dienen, gehörte einmal Tito. „Gebe, damit du mir gibst!“ war das Motto, nach dem der Marschall lebte. Jede kleinste Aufmerksamkeit, die er bekam, wurde auf Karteikarten vermerkt und das was er selbst dafür zurückgab auch. Tito war ein Popstar, der zwischen Glamour und Sozialismus tänzelte, der bewusst den Personenkult um sich zelebrierte. Er war beliebt in allen Schichten des Volkes und über die Grenzen des Landes hinaus. Das war freilich auch so, weil er das so autoritär bestimmte. Auch Sammelwut kann Denkmal sein.
Dieser Krempel stapelt sich in Kisten, Schränken und Regalen bis zur Decke. Lediglich ein paar sporadisch übergeworfene Bettlaken schützen vor dem Staub. Es riecht nach Schimmel und Mottenkugeln. Wären alle Teile nicht feinsäuberlich mit einer Inventarnummer versehen und zeigten die Mäusefallen in den Ecken nicht von kuratorischer Aufsicht, man würde meinen, sich eher in einem Ramschladen verirrt zu haben, als in einem Museumsarchiv.
„Tito konnte nichts wegwerfen“, erzählt der Kurator Momo Cvijoviæ. „Parfums, selbst Schokolade und Bonbonieren bewahrte er über zehn Jahre auf. Wichtige Geschenke behielt er jedoch in seiner Villa: ein Schreibset von US-Präsident J.F. Kennedy auf seinem Arbeitstisch oder ein Kaffeeset von Sadam Hussein, Auch Kinderzeichnungen. Die waren ihm nicht weniger wert.“ Das wertvollste Stück von Titos Sammlung lagerte allerdings sicher im Safe: Ein Stein vom Mond. Den hatten Armstrong, Aldrin und Collins mitgebracht.
Alles Überbleibsel einer glorreicheren Zeit: Wenn Josip Broz Tito sein Belgrad heute gesehen hätte, er drehte sich in seinem Grabe um: Die vom Bombenfeuer rußgeschwärzten Gebäuderuinen der Ministerien, die in den Belgrader Maihimmel ragen. Zeugen des Versagens seines Nachfolgers Milošovic. „Godzilla Stepps“ nennen die Einheimischen die präzisen Bombenkrater, die aussehen, als wäre ein tapsiges Riesenmonster mit großen Plattfüßen einmal quer über die serbische Hauptstadt getrampelt. Vor den Bauzäunen stehen bewaffnete Soldaten, die den Schergen des alten Regimes nicht die Korruption, aber den Touristen das Fotografieren dieser nationalen Schande verbieten sollen. Die schiessen trotzdem Bilder. Heimlich. Die Magazinwerbung mit einem sich küssenden Liebespaar und den Trümmern dahinter kommt optisch einfach zu gut. „Make love, not war“ und „Tito živy!” (Tito lebt) steht an einer Wand gegenüber gesprayt. Eine posthume Verehrung dieser Art hätte sich der eitle Marschall wohl nicht erträumt.
Aber immerhin 20 Millionen Pilger sollen seit seinem Tod am 4. Mai 1980 aus der ganzen Welt seinen Sarkophag besucht haben, meint der Tito-Archivar Momo Cvijoviæ. Wie viel auch immer. Es waren viele. Die vollgeschriebenen Kondolenzbücher im Tito-Archiv stapeln sich augenscheinlich bis zur Decke. Heute kommen vielleicht noch ein paar Hundert Titofans pro Woche. Viele Touristen aus Kroatien, wo er geboren wurde, einige von Übersee. Serben schauen selten vorbei. Zum Feiern ist ihnen am 25. Mai, an Titos Geburtstag, nicht zumute. „Für diesen Tag wird bestenfalls das Blumenwasser im Mausoleum gewechselt und der Boden aufgewischt“ meint die junge serbische Journalistin Jelena Bjelica. „Titos Witwe wird kommen, vielleicht ein paar Dutzend, vielleicht ein paar Hundert Fans. Den Marschall kennen wir bestenfalls noch von den Nostalgie-Balkan-Clubbings. Da spielen sie noch die alten Tito-Hymnen, ohne jedoch noch etwas mit ihnen zu verbinden. Für uns jüngeren Serben ist das Tito-Mausoleum ein cooler Ort. Mehr nicht.“



erschienen in "Datum", Juni 04, Ausgabe 1, S.40ff
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