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Manch Ergreifendes gräbt sich tief in die eigene Erinnerung. Sechs Jahre ist es nun schon wieder her und ganze sechs intensive Sommertage im hatte es damals gedauert, das bisher letzte Orgien Mysterien Theater von Hermann Nitsch (*1938) auf seinem Schloss im niederösterreichischen Prinzendorf nahe Wien. 1998 war das. Unerbittlich stach damals die Sonne vom Himmel, stets der eiserne Geruch von Blut in der Luft. Von Antje Mayer.

Nitsch’s Orgien Mysterien Theater heuer in Prinzendorf

Hin- und hergerissen zwischen Ekel und Faszination taumelte man zwischen den „Eigenweiden-Altaren“, den weiß gewandeten Darstellern, den vielen Besuchern aus der ganzen Welt, die sich im tranceähnlichen Dauerzustand befanden, wie man selbst. Die Fackelzüge durch die verbrannten Hügel, das wilde Tanzen unterm dem Sternenhimmel im Dorf. Irgendwo unter einem Baum legte man sich für ein paar Stunden erschöpft zur Ruhe, bis die Kapelle oder der hohl klingende Ton eines Gongs zum Sonnenaufgang über der malerisch kargen Weinviertler Landschaft rief. Der Körper leicht und der Kopf klar, nicht trotz, sondern wegen der intensiven sinnlichen Eindrücke, dem naturreinen Wein, der nie ausging, vom guten Essen und den Gesprächen, mit Menschen, denen man sonst nie so nahe gekommen wäre.
Heuer wird der österreichische Aktionskünstler Herrmann Nitsch (documenta V, VII) vom 31. Juli bis zum 2. August wieder ein solches dionysisches „Existenzfest“ auf dem Schloss Prinzendorf veranstalten, das diesmal der Gralslegende und Parsifal gewidmet ist, und damit seine insgesamt 120. Aktion begehen. Heuer 48 Stunden lang, von einem 10stündigen nächtlichen Vorspiel begleitet.
Wer damals 1998 die lautstarken Proteste der Tierschützer vor den Toren des Schlosses, die nervösen Sicherheitsvorkehrungen und den Medien-Aufruhr erlebt hatte, kann verstehen, warum Nitsch heuer auf die Schlachtungen verzichtet. Er sei müde „erneut auf den der Skandal der Tötung reduziert zu werden“. Eine gute Entscheidung, nicht nur in strategischer Hinsicht. Empfanden doch viele, die der Nitsch-Kunst grundsätzlich wohl gesonnen sind, letztendlich die Live-Exekution des Stieres im Rahmen einer Kunstperformance, als die man das karthasische Fest dann letztendlich doch wahrnahm, als genau den einen (un)sensiblen Schritt zu weit gegangen. Töten ist Töten, immer, auch im Kunstkontext und auch im Ritus, der auf diese Art eben heutzutage weder gesellschaftlich oder religiös mehr verankert ist und deswegen kein Ritual mehr sein kann. So denkt jedenfalls die Autorin und verzichtet, wie der religiöse Tierliebhaber Nitsch, ebenfalls gerne darauf. Es gibt eben Menschen, die nicht nur „entweder für oder gegen“ Nitsch (Süddeutsche Zeitung) sind, sondern differenzieren wollen.
Mit Prozessionen und Aktionen mit Speer beginnt das Fest, es folgen Ausweidungsaktionen mit einem -vom Metzger geschlachteten- Schwein, Stier und Schafen, Streichquintett, dazwischen immer wieder Prozessionen und Aktionen mit Speer, dazu „üppiges Essen“, „überschwängliches Feiern“, zuletzt „meditatives Begreifen der Nacht“ und „Schauen in den Sternenhimmel“ bis zum „offenen Ende“.



erschienen in Kunstzeitung Nr.95/ Juli 04, S.16
> Hermann Nitsch