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Im Geschäftslokal des Sigmund-Freud-Museum im 9. Wiener Bezirk waren schon namhafte Künstler zu Gast: Joseph Kosuth mit seiner Fotoinstallation „Ansicht der Erinnerung“ oder Louis Bourgeois mit der sechsteiligen Arbeit „Das verschlossene Kind“. Nun gibt sich das Künstlerpaar Glegg & Guttmann mit ihrer Arbeit „Sha’at’nez oder die verschobene Bibliothek“ noch bis 19. September die Ehre, vorerst mit dem letzten Projekt im Rahmen der Installationsreihe des Museum. Von Antje Mayer.

Verschobene Bibliothek

Clegg & Guttmann im Sigmund-Freud-Museum

Die in New York und San Francisco lebenden Künstler Martin Guttmann (1957 in Jerusalem geboren) und Michael Glegg (1957 in Dublin geboren) sammelten für das Sigmund-Freud-Museum aus drei verschiedenen Freud-Institutionen Bücher, die ursprünglich in Freuds Privatbesitz standen. Aus London, wohin der jüdische Psychoanalytiker 1938 wegen der Nationalsozialisten emigrieren musste. Aus dem psychoanalytischen Institut in New York, an das einst ein Wiener Antiquar Freuds Bücher verzockte. Und eben aus Wien. Das Künstlerteam brachte symbolisch wieder zusammen, was durch tragische Umstände auseinander gerissen wurde.
So ironisch-traurig klingt dann auch der Titel der Installation, den der biblische Begriff „Sha’at’nez“ aus dem Buch Levitikus beschreibt: Das Verbot, gewissen Dinge zu vermischen. „Unter deinem Vieh sollst du nicht zwei Tiere verschiedener Art sich begatten lassen. Dein Feld sollst du mit zweierlei Arten besäen. Du sollst kein aus zweierlei Fäden gewebtes Kleid anlegen.“ „Du sollst keine über Jahre mühsam zusammengetragene Bibliothek in alle Welt zerstreuen und mit anderen Büchern vermischen“, könnte man hinzufügen.
Glegg & Guttmann gaben ihrer Arbeit noch eine zusätzliche Sinnebene, indem sie sich nur Bücher ausliehen, die über das Thema der „Verschiebung“ handeln, das in der Traumdeutung Freuds eine wesentliche Rolle spielt. Außerdem wollten die Künstler von den jeweiligen Bibliotheken wissen, welche Bücher neben ebenjenen stehen und wie die Bücherregale aussehen würden. Die Rechercheergebnisse wurde dann in Wien zu einem Bibliotheks-Splitter zusammengefügt, bei dem nichts recht zusammenpassen mag: nachgebaute Bücherregale von damals und heute, originale Bücher, daneben Styropor-Dummies. Ein kleiner Zettelkatalog, in denen die Karteikarten, der verschobenen Bücher stecken, gibt Auskunft über den Bestand. Der kann einmal in der Woche angesehen werden.
Glegg & Guttmann setzten sich schon früher in ihren Arbeiten mit dem Thema des Buches auseinander, etwa in der Arbeit „Offene Bibliothek“, die 1991 auf Initiative des Grazer Kunstverein errichtet wurde. Sie bestand aus drei Büchervitrinen, die an den verschiedenen Orten in der steirischen Hauptstadt errichtet wurde. Jeder konnte zu jeder Zeit eine gewisse Anzahl von Büchern entlehnen, und sie nach einer angemessenen Zeit wieder zurückbringen. Es war auch möglich, den Bücherbestand der Bibliotheken zu erweitern.
Zwei konträre Bibliotheken, die klagend „verschobene“ und die kommunikative „offene“. Büchersammlungen als seltsame Zeugen von Geschichte.



erschienen in Kunstzeitung Nr.93/ Mai 04, S.6