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Moskau erlebt seit etwa einem halben Jahr einen Hype, der seines Gleichen sucht. Man kann sich die Aufbruchstimmung in dem russischen 10-Millionen-Moloch annähernd so vorstellen, wie während der Achtziger in New York die "Andy Warhol-Ära". Von Antje Mayer.

Die Mode-Perestrojka von Moskau

Im Osten viel Neues

Während sich die Kunstszene, nach dem großem Boom Anfang der Neunziger, derzeit in einer Identitätskrise befindet, überholt sie in der russischen Hauptstadt derzeit eine innovative Mode-, Musik- und Designszene, die mit anderen Metropolen endlich mithalten kann: neue Clubs, Magazine, Labels und Modeateliers wachsen in der russischen Hauptstadt derzeit, wie die Pilze aus dem Boden. Nach über zehn Jahren Anbiederung an den Lifestyle des Westens, geht die Genera-tion der Dreißig- und Vierzigjährigen ihren eigenen, ver-blüffend "russischen" Weg.

Ganz besonders lebendig ist zur Zeit die Modeszene in Moskau. "Im Westen gibt es große Vorurteile gegenüber russischer Mode. Dort denkt man immer noch, wir würden hier lediglich dekorativen Kitsch oder schlechte Kopien west-licher Designer produzieren", ärgert sich die freie Mode-journalistin Svetlana Komissarova. "Wenn man bedenkt, wie bescheiden die Mittel der Designer sind, daß es hier so gut wie überhaupt keine verarbeitende Industrie gibt, ganz zu schweigen von einem Netzwerk", meint die engagierte Mode-journalistin, "dann kann man vor den Designern nur den Hut ziehen."

Zu einer der bekanntesten Szenestars in Moskau gemausert, hat sich Lena Kvadrat, die mit ihrem Label "artpoint", nicht zuletzt wegen ihrer schrägen konzeptuellen Präsentationen, in Zusammenarbeit mit Schauspielern, Laienmodels und Elec-tronic-DJs, die sich zwischen Theater-, Mode- und Musik-performances bewegen. Angefangen hat das Label vor knapp acht Jahren als Künstlergruppe. Damals bedruckte Lena Kvadrat noch vornehmlich billige Accessoires wie Seiden-schals mit urbanen Piktogrammen, wie Verkehrs- oder Verbots-schildern, die am Beginn eher als Popart-Ausstellungsobjekte,
denn tragbare Mode gedacht waren.

Viel klassischer als "artpoint" arbeitet der bekannte Petersburger Designer Oleg Birykov (Label B!rykov und 2B!). "Ich bin ein Minimalist", bekennt Birykov. Seine Leidenschaft gilt dem Stoff, dem er mit seiner neuen Herbst/Winter-Kollektion ein Art Liebeserklärung gewidmet hat. Schnitt ist alles für den jungen Star. Auch wenn er bei sich keinen russischen Stil erkennen mag, findet Birykov, daß es so etwas wie ein slawisches Markenzeichen gibt:
"Unsere Art zu arbeiten ist smarter, femininer, nicht so aggressiv wie bei britischen und belgischen Modedesignern. Wir mögen warme Farben und weiche Formen." Allerdings derlei feinsinniges Understatement à la Jil Sander und Helmut Lang, wie es Birykov mag, kommt bei den russischen Kunden gar nicht so gut an: "Die stehen auf schrille Klamotten. Die gehen bei uns weg wie die warmen Semmeln", weiß Birykov.

Die Lust auf abgedrehtes Zeug kann da schon eher Irina Licina (Label "Nash Fashion") erfüllen, die wie Lena Kvadrat auf dem Moskauer Boulevard "Arbat" eine kleine, aber feine Boutique unterhält. Ihre Kollektion für Herbst/Winter nimmt die Bewerbung Moskaus für die Olympischen Spiele 1988 auf die Schippe. Die blau-roten Strickkreationen mit der skur-rilen Melange aus Olympialogo und Sowjetstern verstehen sich als eine Persiflage auf die russische Adaption westlichen Logo- und Sportfetischismus. Ob West, ob Ost: auf den Arm genommen werden von Licina beide Systeme. "Früher war es für uns noch ein Festtag, wenn wir über dunkle Kanäle aus dem Westen eine alte Ausgabe der Vogue ergattern konnten", erklärt der Petersburger Modemacher Oleg Birykov. "Die Zeiten sind längst vorbei: Jetzt inspirieren wir uns endlich selbst."



erschienen in Kunstzeitung Nr.58/Jun.01,S.36 und in Kunstjahr 2001,S.302