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In der 30 Meter hohen, zylinderförmigen Entstickungshalle im thermischen Kraftwerk Theiß der EVN (Energie Versorgung Niederösterreich) realisiert Franz Pomassl im Auftrag des EVN-Kunstrates seine erste permanente Klanginstallation „Permanentes Soundsystem für die Halle der DENOX-Entstickungsanlage, EVN Kraftwerk Theiß, 9.457,2 m3, 20–20.000 Hz, 90 dB“. Pomassls Installation ist die erste Arbeit in der seit 1995 bestehenden EVN-Sammlung internationaler, zeitgenössischer Kunst, in der das Material Klang im Zentrum steht. Von Wolfgang Kos.

Mit dem Körper hören

Zu einer Klang/Raum-Installation von Franz Pomassl für ein Kraftwerk

Bisher waren die raumbezogenen Hör&Spür-Interventionen des „Psycho- und Physiomusikers”, der an der Schnittstelle zwischen bildender Kunst und Sound agiert, stets an die Dauer von Ausstellungen gebunden. Wie immer ging Pomassl bei seinem Werk für die Entstickungsanlage im Kraftwerk Theiß (Architekt: Paul Katzberger) von den physikalischen Parametern des konkreten Raumes aus, wie immer werden Tonanlage und Generatoren diskret angebracht. Das Fehlen visueller Eindrücke dient dem Ziel einer möglichst neutralen Wahrnehmungssituation. Intendiert ist, dass die Besucher von Plattform zu Plattform hinuntersteigen und dabei ein Hörfeld durchqueren, das von ultrasonaren Hochtönern bis zu infrasonaren Basstiefen reicht.

„Immersion – Versunkenheit, Eintauchen – ist eines der Schlüsselworte des späten 20. Jahrhunderts. Bass ist immersiv, Echoeffekte sind es, und Lärm ist es sowieso.” David Toop schreibt das im Buch „Ocean of Sound”, das von Klang, Geräusch und Stille handelt und von immersiven Entgrenzungen in ganz unterschiedlichen Bereichen berichtet – von den kakophonen Phantasien der Futuristen bis zum „heiligen Schwingen” des Dub, vom „White Noise” des Lärmcollageurs David Vorhaus bis zu den Resonanzexperimenten der Physiker, von Techno bis Ambient, vom Minimalismus bis zu den Burundi-Trommlern, vom Feedback-Dröhnen à la Jimi Hendrix bis zu den meditativen „Deep Listening”-Exerzitien von Pauline Oliveros. Bei einer bestimmten Lautstärke und ab einem gewissen Intensitätsgrad seien die musikalischen Kategorien egal, meint Toop: „Wenn Musik vor allem über Schwingungen wahrgenommen wird, die jede Zelle durchdringen, jeden Knochen durchschütteln, dann entgleist der bewusste analytische Verstand.”

Es war dieses Verlieren der rationalen Bodenhaftung, was in der elektrischen Rockmusik seit Beat und Psychedelia immer wieder erlebt, gefeiert und propagiert wurde. Der Underground-Lyriker Chester Anderson hob in einem in den späten Sixties verfassten Manifest („Notizen zur neuen Geologie”) die besondere Rolle sehr tiefer Töne hervor: „Tiefe Noten – besonders am Bass und besonders rein, wenn sie elektrisch verstärkt werden – werden im Unterleib als lokalisierte Vibration erfahren, eine überraschend private Sensation, unmöglich zu widerstehen.” Alle Abwehrmechanismen seien ausgeschaltet, Herz, Muskeln und Nerven seien beteiligt, eine Intensität entstünde, „die viele Leute nicht einmal beim Sex erreichen”.

Die Klangräume Franz Pomassls generieren auch sensorische Extremsituationen. Anfangs stellt sich zumeist ein Gefühl von Destabilisierung und Enträumlichung ein, dem eine Phase des Eintauchens und der gesteigerten Selbstwahrnehmung folgen kann (sofern man nicht abblockt und nur darauf achtet, das Schild „Notausgang” zu finden). Besucher werden „so mit Klang umhüllt, dass ihre Fähigkeit, den eigenen Standpunkt im Raum auszumachen, infrage gestellt wird” (Katalog „Frequenzen/Hz”, Schirn Frankfurt, 2002). In der Wiener Zeitschrift „Skug“ war von sonarer „Vollkörpermassage” die Rede.

Pomassl geht es um körperbezogene Hör-Totalität, bei der der ganze Körper zur Membran wird – „um das, was man spürt, aber nicht mehr hört”. Damit stellt er sich in bewussten Dissens zur Vereinbarung der abendländischen Musik, das Hören ganz auf das Ohr zu fokussieren und damit einzuengen. Indem er sich jene infra- und ultrasonischen Niedrig- und Hochfrequenzen zu Nutze macht, die außerhalb des mit dem Ohr wahrnehmbaren Spektrums von 20 bis 20.000 Hertz liegen, zielt das von ihm initiierte Klanggeschehen unmittelbar auf das audiotaktile System des menschlichen Körpers (Membranen in der Haut, innere Organe etc.) Aber Pomassl legt großen Wert darauf, und das ist ein entscheidender Punkt, bei seinen Klang-Installationen statische, also undramatische, non-narrative und musikalisch unorganisierte Situationen zu kreiieren. Das Hörgeschehen ist nicht zielgerichtet, sondern ambiental und abstrakt. Musik wird zu „purer Schwingung”. Eine betont nüchterne und laborartige Herangehensweise – Pomassl ist Experimentator in einer fast naturwissenschaftlichen Wortbedeutung – belegt diese Intention.

Mit der Bereitstellung statischer Hör-Erlebnisräume, in denen das „musikalische” Material keine Veränderungen erfährt (die Dynamik der „Komposition” ergibt sich ausschließlich aus der Durchquerung des Schallraumes), vertritt Pomassl eine radikale Position in einer im späten 20. Jahrhundert immer wichtiger gewordenen Gegen-Tradition einer nicht zielgerichteten, formfreien Musik. John Cage und Brian Eno können als Bezugspunkte ebenso genannt werden wie in sich kreisende implosive Rockdröhnungen in Punk und Post-Punk (z. B. „Sonic Youth“, die Songstrukturen mit Lärmclustern verknüpfen). Biografisch noch wichtiger ist im Fall Pomassl sicher die Erfahrung mit Techno und den elektronischen Maschinensounds der Dancefloor-Szene mit ihren inversiven, monoton-statischen Bass-Vibrations und auf das Minimum reduzierten Strukturen. Die Tonsysteme in den Klubs sind speziell auf tiefe Töne ausgerichtet, die Musik ist rein funktional und ganz auf Psychoaktivierung hin ausgerichtet. Es handelte sich um einen quasi extremistischen Zwang zum Ich, um eine geradezu autistische Wahrnehmung. Gespräche waren keine mehr möglich.

Wenn ich an durchquerte Pomassl-Klangräume, ob im Keller der Wiener Sophiensäle (im Rahmen der Wiener Festwochen) oder in einem unterirdischen Raum in einem ehemaligen Bad in Luxemburg (im Rahmen der „Manifesta“) zurückdenke, komme ich nicht umhin, auch Worte wie „Schmutz” oder „Schmerz” zu assoziieren. Für Ethnologen wie Lévi-Strauss stehen lärmende Rituale oft für Tod, Zerfall und Riten der Finsternis. Pomassls amorpher, gefährlich wummernder Klang umhüllte mich nicht nur als Vibrieren im Raum, sondern geradezu materiell und haptisch, ähnlich einer tatsächlichen Skulptur. Der Höhlencharakter der Resonanzräume – Pomassl präsentiert gleichsam ins Dunkle gewendete Kathedralen – mag die Impression einer Beengung verstärken, die in gewisser Weise am anderen Ende einer Skala der Entgrenzung steht.

Nach frühen prägenden Eindrücken gefragt, erzählt Franz Pomassl davon, dass er als Kind in seinem kleinen Ort im nördlichen Niederösterreich das dumpfe Grollen von Artillerie-Abschüssen auf dem nahen Truppenübungsplatz hören konnte. Diese extrem tiefen Schallwellen pflanzten sich über 20 oder 30 Kilometer hinweg fort, als unheimlicher, infrasonischer Wahrnehmungsimpuls. Wenn man weiß, dass Pomassl während eines Forschungsaufenthalts in Japan die technischen Mittel eines Erdbeben-Simulationsraumes dazu benützt hat, um mit extremem Klangpotenzial zu arbeiten, muss man davon ausgehen, dass sich der Radius von Pomassls Klanginstallationen in Zukunft in Richtung Unendlichkeit erweitern könnte.



Wolfgang Kos (geboren 1949, lebt in Wien), Kulturhistoriker, Radiojournalist (ORF/Ö1) und Ausstellungsmacher. Kos gehört dem EVN-Kunstrat an, gemeinsam mit Brigitte Huck, Georg Kargl, Paul Katzberger, Hans Ulrich Obrist. Der Beirat baut seit 1995 für die EVN AG eine Sammlung zeitgenössischer internationaler Kunst auf.
erschienen im Protoptype-Katalog, Okt.2002