Aktuell *Ost Über Uns Archiv Impressum English




Von Bernhard Odehnal.

Harte Zeiten für einen Musterschüler

Sie gehören zu den Besten des Neuen Europa, sie erhalten von der EU ausgezeichnete Zensuren für die rasche Anpassung ihrer Gesetze, die strikte Budgetdisziplin und das hohe Wirtschaftswachstum. „Musterschüler unter den Beitrittsländern“ – die Slowenen arbeiteten hart, um diese Auszeichnung zu bekommen, und noch härter, um sie zu behalten und den Lohn dafür zu ernten: Während Ungarn und Tschechien die Einführung des Euro auf den Sanktnimmerleinstag verschieben müssen, konnte Slowenien termingerecht am 1. Januar 2007 dem gemeinsamen Währungsraum beitreten. Und seit
1. Januar 2008 hat die Regierung in Ljubljana den Vorsitz im Europäischen Rat inne.

Für die junge Demokratie, die sich vor 17 Jahren von Jugoslawien lossagte, stellt die Führungsrolle in der Europäischen Union eine späte Genugtuung dar. Europäische Politiker, die die zwei Millionen Slowenen bisher stets dem „Balkan“ zurechneten (gibt es für Slowenen eine größere Beleidigung?), müssen jetzt den zungenbrecherischen Namen der Hauptstadt „Ljubljana“ erlernen und können es sich nicht mehr leisten, Slowenien, Slawonien und die Slowakei zu verwechseln. Selbstverständlich ist das nicht: Vor wenigen Jahren noch begrüßten der US-Präsident George W. Bush und der italienische Ministerpräsident Silvio Berlusconi slowenische Spitzenpolitiker als Vertreter „der Slowakei“. Und in Bukarest spielte man bei einem Staatsbesuch die slowakische anstelle der slowenischen Nationalhymne.

Doch seltsam: Seit Slowenien in der Mitte Europas angekommen ist, läuft für den Musterschüler gar nichts mehr rund. Abhör- und Korruptionsskandale erschüttern die Regierung, Journalisten protestieren gegen Zensur und Einschüchterungsversuche, das Wirtschaftswachstum verlangsamt sich, die Preise steigen deutlich stärker an als in den meisten EU-Ländern. Vergangenen November demonstrierten 70.000 Menschen gegen die steigenden Lebenskosten und für mehr soziale Gerechtigkeit. Die „Neue Zürcher Zeitung“ schrieb damals von der „bedrohten Idylle in Slowenien“. Seither steigt die Inflation weiter an – von 5,7 Prozent im Dezember 2007 auf 6,4 Prozent im Januar 2008. (Der Durchschnitt in der EU lag im Dezember bei 3,1 Prozent.) Ein Liter Milch kostete im Januar 2008 in Ljubljana um 40 Prozent mehr als ein Jahr zuvor.

Die Unzufriedenheit bekam auch einer der beliebtesten Politiker des Landes zu spüren. Lojze Peterle war erster Ministerpräsident des unabhängigen Slowenien, später Außenminister und danach christdemokratischer Abgeordneter im EU-Parlament. Als er im Herbst 2007 für das Amt des Staatspräsidenten kandidierte, glaubte er an ein leichtes Rennen. Zur Überraschung vieler Beobachter, und auch zu seiner eigenen, unterlag Peterle jedoch in der Stichwahl dem von den Sozialdemokraten unterstützten Völkerrechtler Danilo Türk. Dabei galten die Prügel, die Peterle bezog, eigentlich dem unbeliebten Regierungschef Janez Janša.

Janša, ein ehemaliger Journalist der Jugendzeitung „Mladina“, wurde über die Landesgrenzen hinaus 1989 bekannt, weil er wegen des angeblichen Verrats von Geheimnissen der jugoslawischen Armee hinter Gitter musste. In der ersten Regierung der neuen Republik war er Verteidigungsminister, musste jedoch nach einer Misshandlungsaffäre in der Armee zurücktreten. Von seinen sozialdemokratischen Wurzeln ist bei Janša heute nichts mehr zu merken. Seine Partei SDS positioniert sich am rechten Rand des Parteienspektrums, er selbst gibt sich als Wirtschaftsliberaler mit einem starken Schuss Nationalismus.

Nach einem guten Start der Mitte-Rechts-Koalition 2004 bescherten umstrittene Privatisierungen, die höchste Inflationsrate in der EU und politische Interventionen in den Medien Janša zuletzt ein Umfragetief. Auch Außenminister Dimitrij Rupel schlitterte Anfang Februar in die Krise, als die linksliberale Zeitung „Dnevnik“ geheime Protokolle slowenisch-amerikanischer Gespräche veröffentlichte, aus denen hervorgeht, dass Slowenien in der Kosovo-Frage den Kurs der USA nachvollzieht. Als erste Reaktion entließ Rupel jene Diplomaten, die des Kontakts mit der Zeitung verdächtigt wurden. Und Regierungschef Janša sah sich wieder einmal von einer linken Verschwörung bedroht.

Janša ist überzeugt, dass die „alten kommunistischen Seilschaften“ nur mittels einer konservativen Revolution von der Macht vertrieben werden können. Diese Predigt haben die Slowenen schon zu oft gehört, um sie noch ernst zu nehmen. Doch das Grundproblem hinter den Kampfparolen wird das Land tatsächlich noch lange beschäftigen: Über 60 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs geht durch die slowenische Gesellschaft ein tiefer Riss – zwischen den Nachkommen der Tito-Partisanen und jenen der mit den Nazis kollaborierenden „Domobranci“ (Heimatschützer).

Wer heute sagt, dass Slowenien noch viele Leichen im Keller liegen hat, meint das keineswegs nur metaphorisch. Beim Bau neuer Häuser und Autobahnen werden immer wieder Massengräber entdeckt. Wie viele slowenische Domobranci, kroatische Ustaschas, serbische Tschetniks und Angehörige der deutschen Minderheit in den ersten Tagen und Wochen nach Kriegsende auf slowenischem Boden von den Tito-Partisanen ermordet wurden, ist noch immer unbekannt. Eine von der slowenischen Regierung einberufene Historikerkommission für „verheimlichte Massengräber“ listet 540 Gräber auf. Im größten, in einem Wald nahe der österreichischen Grenze, sollen bis zu 15.000 Tote liegen. Die Exhumierung aber lässt auf sich warten. Die Historikerkommission klagt über Behinderungen ihrer Arbeit: Der 1980 verstorbene Marschall Tito hat noch viele Anhänger, die sich gegen die Aufarbeitung der Vergangenheit wehren. Die „Jugo-Nostalgie“ ist auch in Slowenien ein weit verbreitetes Phänomen.



Bernhard Odehnal (geboren 1966) ist seit 1964 Mitteleuropa-Korrespondent der Schweizer Tageszeitung „Tagesanzeiger“. Er studierte Slawistik und arbeitete für die Zeitschriften „Falter“, „profil“ und „Weltwoche“.

Artikel erschienen in: REPORT. Magazin für Kunst und Zivilgesellschaft in
Zentral- und Osteuropa, Februar 2008
> REPORT online