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Viktoria Platowa ist ein neuer Star am Himmel der russischen Kriminalliteratur. Die Autorin hat das Filminstitut in Moskau absolviert und als Szenaristin für verschiedene Studios gearbeitet. Ihre Bücher erreichen Millionenauflagen in Russland, ihre Serie um die rothaarige Eva läuft äußerst erfolgreich im russischen Fernsehen. Viktoria Platowa lebt in St.Petersburg. Bisher im Aufbau Taschenbuch Verlag erschienen: "Die Frau mit dem Engelsgesicht" (2002) und "Ein Püppchen für das Ungeheuer" (2003). Von Redaktionsbuero.

Buchpräsentation 5/

Inhalt

Rein zufällig findet Eva einen neuen Job als Casting-Assistentin bei einem ebenso genialen wie filmbesessenen Regisseur. Dessen Team ist total abgedreht: Junkies, Alkoholiker, allerlei Spinner und Frauen, die ihn vergöttern, eine ehemalige Striptease-Tänzerin, ein ehemaliger KGB-Mann. Als man die Hauptdarstellerin ermordet in ihrer Garderobe findet, will der Regisseur das Verbrechen vertuschen, um seinen Ruf und den Film nicht zu gefährden. Unfreiwillig wird Eva zur Mitwisserin und somit zur Komplizin. Und wieder einmal wird es gefährlich für sie.

Leseprobe

"Guck dir mal an, was er mit diesem alten Luder macht", flüsterte Lenotschka mir mit bebenden Lippen zu."Er arbeitet!" versuchte ich sie zu beruhigen. "Das ist pervers! Er ist pervers, das hab ich doch gleich gewusst." "Ein Regisseur muss in seine Schauspieler verliebt sein, sonst dreht er keine guten Filme." "Red keinen Blödsinn ... Wenn er nur einmal zu mir so wäre. O Gott, warum hab ich mich nur darauf eingelassen, in diesem Scheißladen zu arbeiten!" sagte Lenotschka wütend und fügte leise hinzu: "Aber ich kann nichts dagegen tun, nichts ..." "Alles wird gut." "Mit ihm wird nichts gut. Er zerstört, er frisst deine Seele auf, hast du das immer noch nicht begriffen? Er stiehlt dir deine Seele ..." Nachdem die Dreharbeiten zu Ende waren, wurde unverzüglich mit dem Saufen begonnen. Bratny und Krawtschuk verzogen sich nach dem ersten Glas Sekt, sie mussten noch die Alexandrowa nach Hause bringen. Das Trio verschwand unauffällig aus dem Studio. Bratny führte die Alte sanft am Ellbogen. Lenotschka, die wie immer versuchte, sich in der Nähe des Objekts ihrer Begierde aufzuhalten, folgte ihnen mit einem Blick, der nichts Gutes verhieß. Das Team zerfiel ohne seinen Regisseur sofort in diverse lautstarke Grüppchen. Der konzeptualistische Komponist Bohomil Stojanow pfiff auf sein experimentelles Schaffen, legte Eros Ramazotti auf und drehte die Lautstärke voll auf. Fjodor frönte seiner Hoffnung, die zauberhafte Landpomeranze Dascha Kostromejewa zu verführen, die von der beachtlichen Menge Cognac, die sie intus hatte, noch zauberhafter geworden war. Wowan Trapesnikow zeigte der keuschen Maskenbildnerin Irene, wie man Haschisch raucht und mit Wodka feucht hält. Sergej Woloschko war als erster sternhagelvoll und längst friedlich eingeschlafen, den Kopf auf einen Gerätekoffer gelegt. Ich schlenderte langsam mit meinem halbvollen Glas Cognac durch das Studio, inmitten von all der Drehtechnik, und dachte darüber nach, wie schnell dieses erstaunlichste aller Filmteams, seines Regisseurs beraubt, sich in einen Haufen banaler Säufer verwandelt hatte. Die Jungs von Krawtschuk entdeckte ich ganz zufällig, in der hintersten Ecke des Studios, in der Nähe einer abschüssigen Rampe. Hier befand sich hinter einem Eisentor eine Ausfahrt zur Straße. Jetzt war das Tor halb geöffnet, und die schneidende Kälte der Novembernacht drang herein. Direkt an der Ausfahrt stand ein kleiner Transporter mit der Aufschrift »Filmaufnahmen«. Die Jungs luden konzentriert irgendwelche Kisten in den Transporter. Diese Kisten hatte ich schon vorher im Studio gesehen. In ihnen lag, liebevoll in Wachspapier gewickelt, der ganze antike Firlefanz, den Bratny der vertrauensseligen Bevölkerung aus dem Kreuz geleiert hatte. Da haben wir die Kehrseite der Medaille, dachte ich traurig. Wie soll man jetzt noch daran glauben, dass Genie und Verbrechen unvereinbar wären. Bis auf die Knochen durchgefroren, ging ich zum Team zurück und nippte an meinem Cognac. Ich war noch nicht bei den Jupiterlampen angekommen, die die lautstarke Festgesellschaft beleuchteten, als ich hinter einem chinesischen Wandschirm (Lotosblüten, Lackmalerei auf schwarzem Holz, Qing-Dynastie, 18. Jahrhundert) Gepolter und Gekeuche hörte. Kurz darauf kamen drei Personen hinter dem Schirm hervor: der technische Assistent Sadikow, der Fahrer Tjoma und Lenotschka Gankjewitsch. Die Jungs machten sich im Gehen die Jeans zu, Lenotschka rückte ihre halboffene Bluse zurecht (ein schickes Teil, sie hatte so gehofft, Bratny darin zu gefallen). Lenotschka starrte mich an, ihr Blick irre von Alk und groben Zärtlichkeiten. Sie nahm mir das Glas aus der Hand und leerte es in einem Zug. Die Jungs drucksten verlegen und machten sich schleunigst aus dem Staub.»Sehr zu empfehlen, die beiden.« Lenotschka sah ihnen gleichgültig nach. "Bumsen wirklich gut, die reißen dich auf bis zum Hirn. Sex zu dritt hat einen gewissen Reiz." "Glaubst du vielleicht, wenn du sämtliche Männer bumst, die bei Mosfilm rumlaufen, wird Bratny dir mehr Aufmerksamkeit widmen?" "Ich glaube gar nichts ... Doch, ich glaube, dass er impotent ist, gerontophil, ein Päderast und ein Frauenhasser." "Du bist betrunken." "Verpiss dich doch!" Lenotschka stieß mit dem Fuß wütend nach einer der Jupiterlampen, und sie stürzte mit furchtbarem Getöse um. "Was verstehst du schon davon? Ich liebe ihn, diesen bescheuerten Polen." "Sehr seltsam, wie du das zum Ausdruck bringst." Ich konnte mir diese Stichelei nicht verkneifen." Das geht dich überhaupt nichts an ... Ich hatte eine irre Karriere vor mir, wenn du's wissen willst, Lagerfeld höchstpersönlich wollte mich haben, was glaubst du wohl, was für Männer alles hinter mir her waren." "Geh zurück zu Lagerfeld." "Nein ... Ich kann nicht. Ich hab es dir doch gesagt. Ich will bei ihm sein. Sonst brauche ich nichts." "Beruhige dich. Willst du noch Cognac?" "Ich will ihn. Diesen Mistkerl, dieses Gesocks ... Du hast überhaupt keine Ahnung. So hat noch nie eine Frau einen Mann gewollt. "Darüber ließ sich streiten. Ich hatte Frauen gekannt, die von Männern besessen waren. Vor gar nicht langer Zeit war ich selbst eine von ihnen gewesen. In der Regel führte das zu nichts Gutem. Bei mir hatte es ja auch zu nichts Gutem geführt..."Man muss abwarten, vielleicht kommt alles in Ordnung." Ich nahm Lenotschka vorsichtig am Ärmel." Nichts kommt in Ordnung. Er kommt nicht los von dieser Alten, er ist bis über beide Ohren in sie verliebt. Ich hasse sie. Warum ist sie nicht schon vor zehn Jahren gestorben? Wenn ich sehe, wie er diese Froschhaut, diesen Schädel berührt, will ich sie am liebsten umbringen, und ihn dazu. Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie sehr ich das will. In so einem Moment erschrecke ich vor mir selber. "Lenotschka vermied es ängstlich, den Namen Andrzej Bratny auszusprechen, als würde die Erwähnung seines Namens sie an Händen und Füßen fesseln und ihr jeden Willen rauben." Wenn das so weitergeht, drehe ich durch", sagte sie mit Weltuntergangsstimme. "Ich bin jetzt schon nicht mehr normal im Kopf, ich bin einfach verrückt vor Eifersucht." "Meiner Meinung nach bist du wirklich verrückt. Was soll diese Eifersucht, die Alte ist vierundsiebzig." "Du kapierst überhaupt nichts! Das hat damit gar nichts zu tun. Es geht nicht um alt oder jung, hässlich oder schön. Er denkt in vollkommen anderen Begriffen, er kann alles lieben ... Er kann einen Gegenstand genauso lieben wie einen Menschen, auf die ehrlichste, wahrste, natürlichste Art und Weise." Ihr aufgewühltes, hoffnungslos verliebtes Herz kam Bratnys Geheimnis wohl am allernächsten. Natürlich, er liebte. Er war in alles verliebt - und sei es nur für eine Sekunde, für einen Augenblick -, aber es war echte Liebe. Genau diese Liebe verlieh allem, was Bratny tat, dieses zauberhafte innere Licht. Das Licht, von dem seine Filme und auch seine Beziehungen zu den Menschen durchdrungen waren. Und sogar seine Diebereien, die kleinen wie die großen. Sogar seine Treulosigkeit, sein Verrat...



erschienen im Aufbau Taschenbuch Verlag, ISBN: 3-7466-1965-3, 8,50.- Euro

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