Aktuell *Ost Über Uns Archiv Impressum English




„Je suis sang". Ich bin Blut. Böses Blut. Herzblut. Junges Blut. Ich schwitze Blut und Wasser. Es geht ins Blut. Er hat das Tanzen im Blut. Blut ist dicker als Wasser, weil „Blut ist ein ganz besondrer Saft.“... Von Antje Mayer.

Ich bin Blut - Jan Fabres neues Stück in Wien

„Je suis sang". Ich bin Blut. Böses Blut. Herzblut. Junges Blut. Ich schwitze Blut und Wasser. Es geht ins Blut. Er hat das Tanzen im Blut. Blut ist dicker als Wasser, weil „Blut ist ein ganz besondrer Saft.“ Letzteres sagt Mephisto bekanntlich im Faust. Aber ich quäle Sie nicht länger bis aufs Blut. Eben unendlich sind die Assoziationen zu diesem Körpersaft, von dem man in der älteren Mythologie dachte, er sei der Sitz der Seele und des Lebens. Ein bedeutungsgeladener Stoff mit bekanntlich visuellen Qualitäten, wie geschaffen für den belgischen „Absurdisten“ Jan Fabre (geboren 1958 in Antwerpen).
Der widmete ihm deswegen auch sein neueres Stück, ein „mittelalterliches Märchen“ mit dem Titel „Je suis sang“ (Ich bin Blut). Der Multi-Choreograph Fabre hatte es vor zwei Jahren für das Festival von Avignon 2001 geschrieben. Nun lässt er im Wiener Tanzquartier am 11. und 12. November das „Blut strömen“ oder eben gerade nicht, das erst Mal jedenfalls in Österreich.
Das Tanzstück, für das Fabre die Choreographie und mit Daphne Kitschen das Bühnenbild schuf, ist letztlich ein langes Gedicht, das ähnlich aufgebaut ist wie polyphone mittelalterliche Gesänge und Bibelpsalmen. Die ungebundenen Verse schwingen wie Mantras. Eine Idee wird aufgegriffen, wiederholt und langsam erweitert. Dessen wesentliche Aussage: Seit dem „dunklen Mittelalter“ gibt es keinen Fortschritt. Der Mensch ist wie eh und je so blutrünstig wie vom Blut abhängig, kein Übermensch in Sicht.
„Ein hitziges Meisterwerk aus Popsongs und Priestergesängen“ schreibt die Kritik, bei dem das „Blut zum Kochen“ gebracht wird und sich die Tänzer, die „Kämpfer für die Schönheit“, wie sie Jan Fabre gerne nennt, ihre Füße im wahrsten Sinne des Wortes blutig tanzen. Alles in allem ein gigantischer, „fiebriger Tanzwahn“, der an Alptraumvisionen eines Hieronymus Bosch und Jan Brueghel erinnert.
Solche dramaturgischen Extreme sind Jan Fabres Markenzeichen ebenso wie sein gesamtheitlicher Anspruch, mit dem er die Theater- und Tanzszene in den vergangenen zwanzig Jahren wie kein anderer geprägt hat. Die flämische Antwort auf den coolen Robert Wilson sozusagen, reüssiert genauso als Bildhauer und Zeichner auf internationalen Bühnen von der documenta 8 bis zur Venedig Biennale, wie als Autor, Choreograph, Kostümbildner und Maler. Manchmal malt Fabre übrigens nicht nur mit seinem eigenen Urin und Sperma, sondern auch mit seinem eigenen Blut. Um die Unmittelbarkeit geht es ihm.
Das klingt alles reichlich „psycho“, schwer, dramatisch, indes Fabre kann umwerfend komisch sein. Unvergessen sein Video, in dem er mit den Philosophen Dietmar Kamper und Peter Sloderdijk spazierengeht. Sie rollen dabei in einem Frosch-Mistkäfer-Kostüm(!) große Kugeln vor sich her und philosophieren. Solche Dinge seien dann eben der Tanz, meint Fabre, auf der Grenzlinie zwischen Kunst und Leben.



erschienen in Kunstzeitung Nr.87/Nov.03,S.23
> Tanzquartier Wien