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Seit Ende vergangenen Jahres rockt einmal im Monat der RUS KLUB mit Bands, DJs, Kunst und Mode aus dem ehemaligen Ostblock. Das Motto des unbeschwerten Ost-West-Austausches an wechselnden Orten: „Kak pa masslu“: Wie geschmiert! Von Antje Mayer.

„Wohnungspartys nach russischer Art“

„Wenn man zu lange Zeit im Ausland lebt, kompostiert mit der Zeit die Erinnerung an das russische Lebensgefühl, dann wird sie durchlöchert wie die Tickets von den Entwertern in russischen Bussen“, meint die in Petersburg geborene und in Wien lebende Künstlerin Anna Ceeh, die an der Akademie der Bildenden Künste Malerei studiert. Um die Löcher der Erinnerung zu stopfen, hat sie im vergangenen Herbst die Idee geboren, monatlich an wechselnden Orten einen Russentreff in zu veranstalten: den RUS KLUB. Freilich nicht allein, sondern mit der russischen Medizinerin Alla Edwabny und dem österreichischen Soundkünstler Franz Pomassl. Das „Triumvirat“ nennt sich „Schwedskaja simja“, schwedische Familie. Ein russischer Ausdruck für eine Dreiecksbeziehung.
„Ein bisschen Sexappeal muss schon verbreitet werden – und wenn es nur mit unserem Namen ist. Ein Russenclub ist ja kein Tanztee“, frotzelt Anna Ceeh. Das Clubmotto der drei klingt dann höchst selbstironisch: „Kak pa masslu“. Übersetzt: Wie geschmiert!
Denn wer schon einmal eine Ost-West-Veranstaltung organisiert hat, weiß: Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs geht zwar prinzipiell viel, dennoch läuft kaum was „wie geschmiert“. Die „Gruppa podjerschki“ (die „Unterstützungsgruppe“) des Clubs – in Wien lebende Russen, Ukrainer, Weißrussen, Slowaken und natürlich Österreicher –, die ehrenamtlich Türsteher spielt, CDs verkauft, auflegt und Wodka ausschenkt, weiß davon ein schwermütiges Lied zu singen: Die Einladungen, Visa, Flüge und Unterkünfte für die ausländischen Künstler zu organisieren, kostet zuweilen, allein schon wegen der bürokratischen Hürden, den allerletzten Nerv.

Musikalische Frischware aus Russland

„Wir wollen, dass sich in unserem Club nicht nur Österreicher, sondern auch russische und osteuropäische Emigranten treffen, Bands und DJs aus dem ehemaligen Ostblock auftreten und zeitgenössische Kunst und Mode von dort gezeigt werden. Zudem soll wie bisher für jeden RUS CLUB-Abend eine CD auf dem österreichischen Elektronik-Label Laton, das Clubmitbegründer Franz Pomassl betreibt, produziert werden. Der Mix kommt an. Die Leute standen Schlange, als die in Wien und Moskau lebende Modedesignerin Lena Kvadrat den Gästen am ersten Abend im Partykeller der Wiener Secession Fliegenmotive auf ihre Kleider bügelte. Auch Anna Ceeh selbst ist regelmäßig mit von der Partie, mit eigenen Fotoarbeiten: laszive Selbstporträts mit russischem Schnickschnack.
Musikalisch setzt das Clubkombinat auf „tanzbar Experimentelles“. Die Moskauer Techno- und Industrial-Kultband „Notschnoi Prospekt“ gab schon ihre schwermütigen Sounds zum Besten. Ende März stöpselte der litauische Psycho-Elektroniker Richardas Norvila alias Benzo seine alten, selbst reparierten Synthesizer „made in Russia“ zusammen. Ende April pilgerte der RUS CLUB in den Kunstraum Innsbruck, um dort eine orthodoxe Messe zu feiern. Mitte Juni geht’s nach Linz ins O.K Centrum für Gegenwartskunst.
Nach den Konzerten legt rituell das RUS Dj-Team Kommanda (Franz Pomassl, Nik Hummer, Armin Steiner) brandneu gelieferte Scheiben aus dem Osten auf. „Irgendjemand ist immer auf Besuch zu Hause in Russland und kann konspirativer Bote für musikalische Frischwaren spielen“, so Anna Ceeh. Das Programm, so scheint’s, kommt an: Vor sieben Uhr morgens kam die „schwedische Familie“ bisher selten zum Aufkehren der nach alter russischer Tradition zerschmissenen Wodkagläser.

Private Zusammenrottungen à la russe

Aber nicht nur russische, auch tschechische, serbische oder slowakische Musiker, wie etwa der in Bratislava lebende Künstler und Punkrocker Boris Ondreička stehen demnächst auf der Einladungsliste. In Zukunft plant die „schwedische Familie“ sogar auf Entdeckungsreise in die grauen sibirischen Industriestädte aufzubrechen. Dort wollen sie neue Talente für den RUS KLUB ausfindig machen. „Es wird gemunkelt, dass es da verdammt gute Leute geben soll“, so Ceeh. „Man sieht, es geht uns um das Heute in Russland, nicht um das, was war. Und: Wir wollen bei uns keine Klischees! Wir sehen uns weit entfernt von einer peinlichen Russlandnostalgie. Unser Club stellt sozusagen die intimere Gegenantwort zu Vladimir Kaminers viel kopierter ‚Russendisko’ dar, die ja derzeit in jeder größeren Stadt Nachahmer findet. Ich als Russin finde dessen Oktoberfestniveau schrecklich. Mit dem RUS KLUB wollen wir ein privates Territorium des Ost-West-Austausches schaffen, angelehnt an eine ‚Tussowka’, das russische Wort für Zusammenrottung, eine Wohnungsparty nach russischer Art.“
Die Idee zu einem Club kam dem flotten Trio übrigens vergangenen Herbst, auf einer gar nicht flotten, langatmigen Zugfahrt im Schlafwagen von der Frankfurter Buchmesse (mit Schwerpunkt Russland) Richtung Wien. „Wir zelebrierten den russischen Stil des Zugfahrens“, erinnert sich Anna Ceeh. „Unsere Köpfe waren vom Wodka ein wenig benebelt, die Lippen fettig von den gegrillten Hühnchen in Alufolie, die Stirn rot vom Zerschlagen der hart gekochten Eier, der Magen von Kalbasa schwer und die Seele schwer vom Heimweh nach Russland.“



Nächster RUS KLUB: O.K Centrum für Gegenwartskunst in Linz am 17. Juni 2004, ab 21 Uhr
Kontakt: laton@t0.or.at>