Aktuell *Ost Über Uns Archiv Impressum English




Der Autor Miroslav Prstojevic (geboren 1946) ist gebürtiger Bosnier und inzwischen eingebürgerter Österreicher. Seit 1995 betreibt er in Wien das Buchgeschäft „MI“, das sich auf „jugoslawische“ Literatur spezialisiert hat. Treffpunkt und ein bisschen Zuhause für viele seiner Landes- und Leidensgenossen. Von Manuela Hötzl.

Lesen in den Geschichten, und erzählen, erzählen ….

„So viel schicksalhafte Geschichten kann jeder von uns erzählen, dass es nur einen Sinn hat, zu erzählen und zu erzählen“ (Željko Ivankoviæ, serbischer Schriftsteller 1968-1995)

Am 2. Mai 1992, 18.00 machte der Fotograf Milomir Kovaèevic auf der Sarajevos, Hauptstraße Maršala Tita, das Bild eines Paares, das vor dem ausbrechenden Krieg flüchtete. Ein Foto, das in die Welt hinausging und viele Titelblätter internationaler Zeitungen zierte. Für Miroslav Prstojevic und seine Frau, die darauf zu sehen sind, fliehend vor den Granaten, den herabfallenden Fassaden, zwischen Verwundeten, Blutlachen und Wracks, keine Erinnerung für das Familienalbum, die man gerne betrachtet. Und doch hat Prstojeviæ es später in seinem Buch „Sarajewo. Die verwundene Stadt“ selbst wieder veröffentlicht. Als Teil einer Geschichte, die das Schicksal einer Stadt und seiner Bewohner dokumentiert.

Ortswechsel. Wir sitzen uns im Hinterzimmer seiner Buchhandlung „MI“ in der Wiener Burggasse im siebten Bezirk gegenüber, bei Schnaps und Kaffee. Seit 1995 verkauft Miroslav Prstojeviæ dort Bücher in kroatischer, serbischer, bosnischer, slowenischer und natürlich deutscher Sprache. Eine Schatzkiste, die in Europa, wie er stolz erzählt, „einmalig ist“. Zwischen Koch-, Kinder- und Liebesromanen finden sich dort auch kaum bekannte literarische Kleinode, die die Geschichte des Balkans auf die unterschiedlichsten Art und Weisen erzählen. Romane, Stadtgeschichten bis Dokumentationen der Pop-Kultur in den Ländern Ex-Yugoslawiens. Besonders lustig; „Das Lexikon der YU-Mythologie“, eine Art „Wickie, Slime und Paiper aus Jugoslawien oder eine Art fiktiver Reiseführer (Originaltitel: „sfrj za ponavljace“), der die „sozialistisch, föderative Republik Jugoslawiens für ‚Sitzengeblieben’“ erklärt und ein Besteller wurde. Dazwischen Kataloge mit akademischer Malkunst, und in Sichtweite – eine Tito-Büste an der Tür. Prstojevic schmunzelt hinter seinem großen Schnurrbart: „Ich bin jugo-nostalgisch. Warum auch nicht? Diese Zeit war die Beste in meinem Leben.“

Als Sohn eines Offiziers, der noch im Zweiten Weltkrieg gekämpft hat, ist er schon als Kind viel gereist und umgezogen. Alle zwei bis drei Jahre wurde sein Vater woanders stationiert. Was für Prstojevic ständiger Schul- und Sprachenwechsel innerhalb Jugoslawiens bedeutete. Erst als er sein Jura-Studium begann, zog er nach Sarajewo. Heute reist er wieder viel, um nach neuen Büchern zu fahnden, zu kaufen und zu bestellen. In allen Sprachen und in kyrillischer Schrift. „Fast 300.000 Ex-Jugos leben hier in Wien“, behauptet der Buchhändler. Auf die Frage, warum das Geschäft bei dem großen Kundestamm dann so klein geblieben sei, meint Prstojeviæ: „Die meisten flüchten vor der eigenen Sprache und wollen, dass ihre Kinder nur deutsche Bücher lesen.“ „Kyrillisch lesen kann fast keiner mehr“. Für Prstojeviæ eine falsch verstandene Integration, denn „Die Sprachenvielfalt sollte gepflegt werden und eben auch die Muttersprache, egal in welchem Land man lebt!“ Europaweit wird via Internet bei ihm immer wieder bestellt. „Unser Volk ist über die ganze Welt verstreut. Von Alaska bis Neuseeland finde ich immer einen ‚Hotelplatz’ bei Freunden oder Verwandten.“ Um ein literarisches Gastgeschenk dürfte er nicht verlegen sein.
Ein zweiter Schnaps wird in die kleinen, stilvollen Trink-Fläschchen nachgegossen. Ein Schluck Balkan und man sinkt ein wenig tiefer ins Sofa und in die Vergangenheit. Allerdings: „Über den Krieg spreche ich nur mit Freunden, die ihn auch erlebt haben“, stellt Prstojevic klar. Muss er auch nicht, hat er schon.
Schon während seines Studiums veröffentlichte Prstojeviæ erste Novellen und betätigte sich als Journalist. Danach, von 1982 bis zum Kriegsjahr 1992, war er Redakteur im Verlagshaus „Oslo-boðenje“. 1992 erschien sein erstes Buch „Vergessenes Sarajewo“, das ihm nach zwanzig Kriegmonaten indirekt auch die Flucht aus Sarajewo ermöglichte. Österreichische Helfer, die sich für das Buch interessierten, besorgten ihm einen der seltenen Flüge aus der Stadt. Die Zeit des Krieges blieb dennoch nicht ungenutzt. 1993 erschien der englischsprachige „Kriegs- und Stadtführer“: „Survial Guide – Sarajewo“ (FAMA, 1993). Die Idee des -durchaus ironisch gemeinten- Führers entstand, weil Prstojeviæ sich über die Journalisten damals ärgerte. Die flogen aus der ganzen Welt zu einem Kurzbesuch nach Sarajevo ein, um sich im Anschluss mit einer Biografie mit „ihren Kriegerfahrungen“ zu brüsten. So stehen in dem Überlebens-Lexikon etwa unter „D“ wie „Drinking“ nicht die üblichen Tipps für Cocktail- und Bierbars, sondern folgendes: „Das Wasser aus Sarajewo war immer schon berühmt. Heute ist es gekocht und von Tabletten gereinigt. Wir haben eine weiße für zwei Liter und eine grüne für fünf Liter. Die Probleme fangen an, wenn man eine grüne Tablette hat, aber keinen Topf, der groß genug ist …“
Ende 1993 erschien sein letztes Buch über seine persönliche Erfahrungen während seiner zwanzig Kriegsmonate in Sarajewo. Von 1992 bis 1993 sind Tagebucheintragungen neben offiziellen Meldungen in Zeitungen und Magazinen gestellt. So muss Prstojevic über diesen Krieg nicht mehr sprechen, er hat sich ihn schon therapeutisch währenddessen von der Seele geschrieben.
Als Künstler und Mitglied des österreichischen PEN-Club darf Miroslav Prstojevic zwei Pässen haben, einen bosnischen und einen österreichischen. Er musste sich nicht entscheiden. Zurück will er nicht mehr – er ist ohnehin oft auf Reisen und seine Freunde werden hauptsächlich über Email kontaktiert. Seine jüngere Tochter dagegen, die in Wien an der Sozialakademie war, will auch in ihrer ehemaligen Heimat helfen und fährt oft nach Bosnien.

Während wir den vierten Schnaps trinken und über unsere Familien plaudern, kommt ein Freund seines Sohnes (Jahrgang 72) in das Buchgeschäft. Er hält uns stolz seine neue Aufenthaltsgenehmigung vor die Nase. Eine typisch europäische Biographie. Er ist frisch verheiratet, mit einer Österreich-Iranerin. Kennengelernt haben sie sich in Rotterdam, wo er nach Kindheit in Sarajewo und elf Jahren Jerusalem, hingezogen ist. Er ist gekommen, um eine Grußkarte zu kaufen. Er und seine Freunde fliegen morgen nach London, zu einer bosnisch-englischen Hochzeit. Prstojevic empfiehlt zwei Bücher, schenkt noch einen Schnaps „für den Weg“ ein und sagt nur: „Das nächste Mal sprechen wir über die Generation meiner Kinder, die sich über die ganze Welt verstreut hat.“



Knjizara & Gelerija Mi
Burggasse 84
A-1070 Wien.
Tel.: +43 1 524 63 99

Webtipp:
www.leksikon-yu-mitologije.net

Dank an Maja Lorbek, die uns zu diesem Kontakt verholfen hat.

Miroslav Prstojevic
Sarajewo. Die verwundete Stadt.