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«Tito živy! Teško je nama bez tebe“ (Tito lebt! Schwer haben wir es ohne dich!), steht in krakeliger Schrift im Kondolenzbuch des Tito-Mausoleums in Belgrad. Fast vierzig Jahre hat der einstige Partisanenführer ein geeintes Jugoslawien regiert und mit sicherer Hand sozialistisch, aber blockfrei, durch den kalten Krieg geboxt. Nun liegen neben seinen Sakropharg die Bombensplitter der Nato als gemahnten sie zum Frieden. Der Krieg und seine Politik ist heute immer noch allgegenwärtig in Serbien, besonders in der Kunst... Von Antje Mayer.

„Schwer haben wir es ohne dich!“

Die Kunstszene in Belgrad

So hat der österreichisch-serbische Künstler Alexander Nicolic -anlässlich einer Ausstellung in Belgrad des Internationalen Künstler Gremiums im vergangenen Herbst - kurzerhand das Tito-Museum wiedereröffnet. Symbolisch freilich. Mit drei Exponaten aus dem unter Slobodan Milosevic verschlossen gebliebenen Archiv: ein Satinherz, ein Minipanzer und ein Teppich mit Sowjetstern. Drei Teile von sage und schreibe annähernd 300.000 Exponaten, allesamt Geschenke und Fanartikel von seinen „Brüdern und Schwestern“ aus der ganzen Welt: Erich Honecker, auch Sophia Loren oder Orson Wells. Eine Kunstsammlung von großem Wert: Zeitgeschichtliche Fotografien, griechische Skulpturen und Vasen, Gemälde aller Epochen, sogar ein Stein vom Mond.
Kunst kann etwas ändern, so scheint’s, selbst in Serbien noch. Alexander Nicolic hat die Museumsleitung mit seiner Arbeit jedenfalls zum Umdenken gebracht. Die will in Hinkunft nun ihre Sammlung für einheimische Künstler öffnen, auf dass diese sich mit der Geschichte auseinandersetzen mögen. Wenn’s denn schon die Politik nicht vermag.
Szenewechsel: Das alte Hotel Slavija steht im Zentrum von Belgrad und ist eine Perle sozialistischen Designs. Jeden Moment erwartet man dort Slobo und seiner Frau mit ihren hochtoupierten Betonfrisuren auf dem Flur zu begegnen. Braune Sesselgarnituren, vergilbte Plastikblumenarrangements umgeben von Respekt einflössenden Musterkompositionen, die sich über Teppiche, Vorhänge und die Blusen der Kellnerinnen wuchern. Gelsenkirchner Barock trifft Raumschiff Entersprise.
Zimmer 216. Kofferboy Dragan ist es offensichtlich peinlich, dass im Aufzug die Taste „2“ für die zweite Etage herausgebrochen ist. Egal. Fahren wir halt in den dritten Stock. Improvisation ist derzeit das Gebot der Stunde in Belgrad.
Seit der Nato-Bombardement im Frühjahr 1999 und der darauf
folgenden politischen und wirtschaftlichen Isolation geht derzeit kaum mehr etwas dort seinen geraden Weg.
„Anders als in vielen ehemaligen kommunistischen Ländern, hatten wir in Jugoslawien schon einmal westlichen Standard“, entschuldigt sich Dragan und deutet auf den schnicken neuen Glaskasten des Hotel Slavija gegenüber. „Wir konnten ohne Visum fast überall in die Welt reisen. Das Durchschnittseinkommen lag bei rund 750 Euro. Heute sind es gerade einmal 100 Euro, wenn man Arbeit hat. Wir sind deprimiert.“
Einen Steinwurf vom Hotel ragen immer noch die vom Bombenfeuer rußgeschwärzten, Gebäuderuinen der Ministerien in den grauen Belgrader Winterhimmel. Viel ist nicht seit dem Regierungswechsel im Jahr 2000 passiert. „Godzilla Stepps“ nennen die Einheimischen die präzisen Bombenkrater, die aussehen, als wäre ein tapsiges Riesenmonster mit großen Plattfüßen einmal quer über die serbische Hauptstadt getrampelt. Vor den Bauzäunen stehen bewaffnete Soldaten, die den Touristen das Fotografieren dieser nationalen Schande verbieten. Die tun es trotzdem. Heimlich. Die neue Zigarettenwerbung mit einem sich küssenden Liebespaar und den Bombentrümmern dahinter kommt optisch einfach klasse. „Make love not war!” steht an einer Wand gegenüber gesprayt. „Wer hätte das gedacht, dass einem so ein Hippiespruch Anfang des 21. Jahrtausends wieder verdammt aktuell vorkommt“, meint Svebor Midzic.
Der 29jährige ist Leiter des Belgrader Center of Contemporary art (www.dijafragma.com, auf Englisch): Das Zentrum hat immerhin schon ein Jahrzehnt überlebt. Es veranstaltet regelmäßig Ausstellungen und Seminare über zeitgenössische Kunst, publiziert kunsttheoretische Bücher und Zeitschriften und hat inzwischen ein umfangreiches Archiv über jugoslawische Kunst aufgebaut, sein Schwerpunkt: Neue Medien. Gerade erst ist das Zentrum aus Synergiegründen in das Museum für zeitgenössische Kunst nach Neu-Belgrad am Flussdelta zwischen Save und Donau übergesiedelt. Das kristalline Museumsgebäude (www.msub.org.yu, auf Englisch) gehört zu einer der Perlen jugoslawischer Sechzigerjahre-Architektur. Immerhin 1958 wurde das Kunsthaus schon gegründet. Es befände sich im Moment, so der dortige Kurator Branislav Dimitrijevic, in einer bereits „eingeleiteten Wiederbelebungsphase“.
Die sieht bezüglich der Ausstellungsdramaturgie im internationalen Vergleich noch etwas wie Kraut und Rüben aus, aber immerhin hat schon ein Milica Tomic- Video Eingang in die heiligen Hallen gefunden. Auch wenn es sich zwischen den Gemälden noch ein wenig wie ein Alibi für Zeitgenössisches ausnimmt.
„Die wenigen international agierenden serbischen Künstlerinnen, wie die in Belgrad lebende und arbeitende Milica Tomic, fungieren für uns Daheimgebliebenen als Botschafter“, erklärt Svebor Midzic. „Die Balkanausstellungen, die in Westeuropa derzeit wie die Pilze aus dem Boden wachsen, empfinden wir jedoch eher als kontraproduktiv.“ Midzic ist wütend; „Bitte keinen Exotismus! Herr Szeemann, das ist retro. Wir jungen Serben definieren uns nicht über den Balkan, sondern über das neue Europa. Die internationale Isolation trifft die Belgrader Kunstszene derzeit hart. Wenn wir nicht reisen können, heißt das, auch nicht kommunizieren zu können. Ein intellektuelles Gefängnis.“ Bevor Midzic geht, dreht er sich noch einmal um und ruft zum Abschied: “In Belgrad lässt die Zukunft eben länger auf sich warten.“



erschienen in Kunstzeitung Nr.90/Febr.04,S.8
> link: Belgrader Center of Contemporary art