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Die Tschetschenin Saira, Mutter dreier heranwachsender Söhne, hat einen Wunsch: “Ich will lieber heute als morgen zurück.“ Ihre Heimatstadt ist nicht weit weg: Nicht einmal hundert Kilometer liegt das völlig zerbombte Grosni entfernt. Doch die 42-jährige Englischlehrerin ist eine Vertriebene, eine von über 300.000, die vor dem Krieg in Tschetschenien in die angrenzende Nachbarrepublik Inguschetien flüchten mussten. Von Antje Mayer.

Fotografieren gegen den Krieg

Lomobotschaft im Kaukasus

Seit drei Jahren nun schon wartet sie -von der Weltöffentlichkeit und Politik weitgehend im Stich gelassen-in einem Flüchtlingslager auf ihre Rückkehr.
In ihrem, mit Teppichen ausgelegtem Armeezelt, hat es sich Saira offensichtlich für einen längeren Zeitraum gemütlich gemacht: „Ich habe wenig Hoffnung, dass sich in naher Zukunft etwas ändert.“ Verwandte haben ihr erzählt, dass ihre Dörfer immer noch bombardiert werden. „Meine drei Söhne, 14, 17 und 19 Jahre alt, müssten längst wieder in die Schule und studieren. Aber für junge Männer ist es momentan zu gefährlich.“ Wegen der Russen, sagt sie. Wegen der Säuberungsaktionen der Miliz.

„Viel gibt es in Inguschetien nicht, mit dem sich die Flüchtlinge hier ihren Unterhalt selbst verdienen könnten“, erzählt die 32jährige deutsche Unternehmerin Stefanie Weber, die vor eineinhalb Jahren mit ihrem Hund und ihrem alten Wolga von Petersburg nach Inguschetien übersiedelt ist. Mit Hilfe der deutschen Wirtschaftskammer und des deutsch-russischen Austausches, hatte die Couragierte im vergangenen Jahr in einem Ausbildungskurs, über zwölf Flüchtlingen den Weg in die Selbstständigkeit als Bäcker, Friseur oder Grafiker ermöglicht.

Nun hat sich Stefanie Weber, die bereits Anfang der Neunziger mit der Gründung ihrer Firma Ost-West-Service in Petersburg unternehmerischen Pioniergeist in Russland bewiesen hatte, selbst ein Herz gefasst: Im Sommer vergangenen Jahres eröffnete sie, mit Hilfe tschetschenischer Arbeiterinnen und ihrem Partner Umar Bek, als erste ausländische Investorin im inguschetischen Karabulak, einen eigenen Billardsalon mit Kino, nebst eigener Lomobotschaft.

„Richtig austoben können sich junge Leute in Inguschetien bestenfalls auf Hochzeiten“, weiß Stefanie Weber. „Aber da eine kaukasische Kleinfamilie aus wenigstens vier Kinder besteht, finden solche Feiern ziemlich oft statt. Sonst herrscht ein ungeschriebenes Versammlungsverbot: Waffen, Blutrache und eine Menge ethnischer Konflikte bieten gefährliche Reibungsflächen. Billardsalons jedoch sind – selbstverständlich nur für Männer- erlaubt.“

Extra aus Wien angereist, kamen zur Eröffnung die Gründungsmitglieder der Lomographischen Gesellschaft, Matthias Fiegl, Wolfgang Stranzinger und Bernhard Winkler, alte Freunde von Weber aus Petersburger Zeiten. Die schießen seit nunmehr zehn Jahren mit der Petersburger Lomo Kompakt Automat Kamera „aus der Hüfte“. Durch den Sucher gucken, ist nach den Lomoregeln verboten. Der Zufall ist Gesetz. Das kleine Wunderding mit 32 Millimeter-Linse der Lichtstärke 2,8 und deren technischen Modifikationen, wie zum Beispiel der sogenannte „ActionSampler“, der vier Fotos auf einen Klick auf dem Zelluloid bannt, verzocken die Wiener geschäftstüchtig auf der ganzen Welt, via Internet und über die „Lomo-Botschaften“ von Kairo bis Tokio.

Es war eine Lomo-Botschafteröffnung mit „fast ohne Frauen“ in Inguschetien, mit Derwisch tanzenden Bodyguards und Polizisten in Uniform vor bunten Lomowänden und damit die erste ausgelassene öffentliche Feier in Inguschetien. Die Lomos staunten und spendeten Kameras und Filme. Die Fotos sollen im großen Welt-Lomoarchiv, mit mittlerweile 32.000 Shoots aus der ganzen Welt, konserviert werden. Periodisch werden davon Auszüge auf großen Lomowänden mit tausender solcher Dilettanten-Schnappschüsse ausgestellt.

„Unser Mittel sind Fotos des alltäglichen Lebens“, hofft der österreichische Lomopräsident Matthias Fiegl. „Wenn die Bilder von Leichen, zerstörten Häusern und Flüchtlingslagern nicht ihre Wirkung zeigen, dann vielleicht Aufnahmen, die die Menschen hier selbst von ihrem Alltagsleben machen. Wenn die Welt sieht, dass hier Menschen wie Du und ich leben.“ Ein tschetschenischer Flüchtling hält die Lomokamera etwas ungläubig in den Händen. Als er jedoch hört, dass es weltweit fast eine halbe Million Lomomitglieder gibt, hellt sich sein Gesicht ein wenig auf: „So viele Menschen haben viel Macht. Und wenn damit der Krieg auch nur einen Tag früher beendet wird und nur ein Mensch weniger stirbt, dann sind wir unserem Ziel ein Stück näher.“ Bleibt nur ernsthaft zu hoffen, dass die Lomographen -entgegen ihrer Lifestyle-Attitüden- sich ihrer Verantwortung auch bewusst sind.



erschienen in Kunstzeitung Nr.79/März 03,S.21
> Lomographische Gesellschaft