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Im TQ fand eine zweiwöchige „Academy“ mit dem Titel OstWest statt. Nein, kein Druckfehler, der durchgestrichene Titel ist gleichsam die Infragestellung seiner Bedeutung. Denn: Gibt es so etwas wie den Osten und den Westen? Waren oder sind die Grenzen der Kunst den politischen Grenzlinien angepasst? Es scheint so. Nicht so sehr in der bildenden Kunst, als im modernen und zeitgenössischen Tanz und der Performance. Zeitgenössischer Tanz war von 1945 bis 1989 im Osten weitestgehend inexistent... Von Birgit Ziegler.

Sehnsucht im Bauch

OstWestTanz/Performance/Film/Academy beabsichtigt, den neuen Künstlern und Choreographen ein Forum zu geben und hierzulande unbekannte Filmarbeiten erstmals zu präsentieren.
Künstler wie Tanja Ostojic (SCG/D), Mihai Mihalcea (RO), die Gruppen Weekend Art (CRO), BADCo. (CRO), Philipp Gehmacher (A), Josse De Pauw & Victoria (B) u.a. performten und treffen sich bis Freitag zum Dialog, einem „Open Lab“, das am Freitag auch dem interessierten Publikum vorgestellt wird.
Als „offenes Forschungsprojekt“ sieht Martina Hochmuth, Kuratorin der Veranstaltung im TQ Wien die Academy. Diese „…soll die Möglichkeit für einen konstruktiven Dialog schaffen, in dem auch Wissenschaftler Performern konstruktives Feedback geben.“ So wird die Academy eingerahmt von einer Vortragsreihe mit Theoretikern wie Rastko Mocnik (SLO), André Lepecki (P/USA), Svetlana Slapsak (SLO) und Boris Buden (CRO/A).
Während in Westeuropa seit den Sechziger Jahren Avantgardeströmungen wie Concept-Art, Body Art oder die Performance boomten, gab es dazu parallele Bewegungen im sozialistischen Europa. Diesen „Parallel Movements“ war ein Schwerpunkt im Filmmuseum gewidmet. Gezeigt wurden Filme, Videos und Dokumentationen performativer Kunst aus dem (post)sozialistischen Europa 1960-1989.

Zurück zum Tanz. Zurück zur Gegenwart.
Der junge Tänzer Mart Kangro aus Estland erzählt, dass es bis 1945 Einflüsse der deutschen Avantgardisten Kurt Joos und Rudolf von Laban gab, die mit der Herrschaft des Sowjetregimes über Estland schlagartig endete. Im gesamten Raum der ehemaligen Ostblockstaaten war Tanz nach 1945 auf Klassisches Ballett reduziert. Anderes wurde nicht praktiziert. Wenn etwas Modernes aufgeführt wurde, so Kangro „…war es eigentlich klassisch, wurde aber modernes Ballett genannt.“ Der Tanz im ehemaligen Osten war vom Westen vollends abgeschnitten. Ein persönlicher Tanzstil konnte nicht entstehen, denn „…alles was persönlich, intim war, wurde unterdrückt“, meint Mihai Mihalcea, Choreograph aus Rumänien. „Wir waren kein unabhängiges Gehirn, sondern ein Allgemeines in einem sozialen Körper.“

Der Riss, der da in der Entwicklung des Tanzes in Osteuropa entstand, ist nahezu absolut. Bis heute gibt es im gesamten osteuropäischen Raum keine Ausbildungsstrukturen für zeitgenössischen Tanz. Dazu kommt, so Martina Hochmuth, eine katastrophale finanzielle Situation. Es wird von einzelnen Persönlichkeiten abhängen, eigene Strukturen aufzubauen. Generell gehe die Tendenz aber dahin, dass osteuropäische Künstler ihre internationale Erfahrung wieder verstärkt in ihren Heimatländern umsetzen wollen.

Das „Open Lab“ soll nun hier ansetzen und einen konstruktiven Dialog, einen Erfahrungsaustausch, gegenwärtiger Performance-Künstler ermöglichen. Die spannendste Frage, so die Kuratorin, seien „die parallelen Bewegungen - was beschäftigt die Künstler in Prag, in Bukarest und in Wien heute?“
Das Alltagsleben wird zum Ausgangspunkt der Recherche. Die sozialen Veränderungen, die die Gesellschaft seit den späten 1980er Jahren durchmacht, sind sowohl im Westen als auch im Osten massiv spürbar. Im Osten ungleich
„…virulenter, weil das Überstülpen von westlichen Bildern noch viel massiver ist.“
Mihai Mihalcea, bringt das Alltagsleben auf die Bühne. Verständlich, dass Mihalcea als Rumäne mit dem Spektakulären, dem theatralen Pendent zum Monumentalen nichts zu tun haben will. Zu gut kannte man sich selbst als unwichtigen Teil eines großen Ganzen. Er setzt seine sensibel-witzige Performance „Stars high in Amnesia´s Sky“ im individuellen Raum dreier Personen an, die im Wirrwarr neuester Konsumangebote nach einem eigenen Lebensentwurf suchen. Man weiß sich zu helfen: Drei weiße Klebestreifen am rechten Platz ersetzen die Adidas Badehose. Im Hintergrund laufen Filmszenen aus der Ära Ceausescu. Große Plätze, große Gesten. Im Vordergrund ein Mädchen, ein Junge, blinkende Leuchtschnüre in Herzform. Sie schaltet den Strom im Rhythmus von Abba, Madonna und Halliwel ein und aus. Kleine Geste, große Wirkung.

Das ehemalige Jugoslawien war gleich mit einigen interessanten Arbeiten vertreten.
Der Filmkünstler Tomisla Gotovac (CRO) beispielsweise. 1971 führte er eine seiner Performances im Zentrum von Tito’s Belgrad nackt aus, und kam damit durch. Etwas, das in Rumänien unmöglich gewesen wäre.

Tomislav Gotovac ist heute neben den Künstlern Aleksandar Battista Ilic und Ivana Keser, Teil der Performancegruppe Weekend Art. Gemeinsam gastierten sie mit der Performance (oder Installation?) „Hallelujah the Hill“ in der Halle G im Museumsquartier.

Weekend Art entstand zu Beginn des Krieges. Regelmäßige Sonntagsausflüge auf den Berg Medvednica unweit von Zagreb, photografisch dokumentiert mit Selbstauslöser. Um dem Alltag zu entkommen, mit therapeutischem Ansatz und - weil keiner sich im Krieg mit Kunst beschäftigen wollte.

Präsentiert werden die unzähligen Dias als Projektionen auf den Oberkörper der Künstler. Mal dominieren die Naturaufnahmen und drängen die Körper in den Hintergrund, mal wird die Lebendigkeit der Projektionsfläche jäh bewusst durch die sanften Bewegungen eines sich sachte um die eigene Achse bewegenden Individuums. Das Spiel zieht den Zuseher in die Realität einer anderen Welt, der eines Ausflugs in die Berge bei Zagreb und lässt Sehnsucht aufkommen, nach, nun, einer heilen Welt der Natur? Der Freundschaft?

Drei Projektoren, drei Künstler, ein Ort, vier Jahreszeiten und eine Musik, die immer wiederkehrt. Nur die Musik wirkt wie eine esoterische Endlosschleife in einem Kaufhaus im Irgendwo – und das könnte heute überall sein - in Ostwest. Der Bauch als Metapher. Alles was wirklich im Kopf stattfindet findet auch im Bauch statt.



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