Aktuell *Ost Über Uns Archiv Impressum English




Wie klingen Räume? Ist Sound das Baumaterial der Zukunft? Nach Jahren des visuellen Overkills erlebt das Sinnesorgan Ohr wieder ein Comeback. Sechs Positionen zur akustischen (Un-)Kultur oder klangvollen Zukunft von Architektur und Design. Von Antje Mayer.

Die Ohren auf Standby

Hört! Hört! Der Mensch nimmt räumliche Dimensionen nicht nur durch das Auge, sondern vor allem durch das Ohr wahr. Das Ohr ist ein Sinnesorgan zur Schallwahrnehmung sowie zur Gleichgewichtsorientierung Unter den Sinnesorganen ist diese Vereinigung zweier verschiedener Organe einmalig. Das einzige Sinnesorgan, das im embryonalen Zustand übrigens schon voll ausgebildet ist.
Die Waden gelten schwerhöriger als die Knie. Man hört selbst mit der Brust und den Fußsohlen. Töne werden nicht nur vom klassischem Gehörorgan, sondern auch vom Körper gehört. Der Klang eines Raumes hat damit eine große Wirkung auf das vegetative Nervensystem. Herz, Atemfrequenz und Blutdruck werden beeinflusst.
Während man in der Vergangenheit, von der Antike bis in den Barock, bewusst akustische Wirkungen von Räumen und Materialien einzusetzen verstand, wurde dem Aspekt der klanglichen Qualität eines Raumes in den vergangenen 200 Jahren immer weniger Beachtung geschenkt.
Durch Normraumhöhen, billige Materialien und nicht zuletzt durch Lärmschutzfenster „verstummten“ die Räume zunehmend. Die Gesellschaft erlebte gleichzeitig einen visuellen Overkill, der einherging mit der Produktion von immer mehr akustischen Mülls durch laute Haushaltgeräte, Verkehr und Audiogeräte. Stille mutierte zu einer finanziellen Kategorie. Leise Autos, ein Haus in einer ruhigen Gegend, wandelten sich zu den Luxusgütern des 21. Jahrhunderts. Der Mensch sah zu und stellte dabei seine Ohren auf Standby.
Langsam scheint unser Sinnesorgan Ohr wieder ein Revival zu erleben. Audiodesigner feilen inzwischen an schicken Motorsurren, Lebensmittelforscher am verführerischen Knusperpegel oder das Militär an der Schlagkraft des Tons, nicht nur auf diplomatischer Ebene.
Psychologen und die HiFi-Branche forschen auf akustischen Fremdgebieten und immer mehr Designer, Künstler und Architekten beschäftigen sich mit der Frage, wie Sound die räumliche Wahrnehmung verändert, wie dieses „Material“ neue Räume schaffen und verändern kann und welche Einflüsse er auf neuropsychologische Vorgänge ausübt.

Antje Mayer diskutierte mit den sechs international bekanntesten Experimentalisten auf diesem Gebiet: Künstler, Architekten und Musiker, die seit Jahrzehnten Pionierarbeit auf diesem Gebiet leisten. Deren Thesen im Überblick.


Bernhard Leitner
„Ich bin mir sicher, dass man in zehn bis fünfzehn Jahren in der Architektur auch obligat Soundspezialisten zu Rate ziehen wird.“

„Die Akustik wurde in unserer stark visuell geprägten Gesellschaft in den vergangenen Jahrzehnten in der Architektur und Bautechnologie völlig vernachlässigt. Wir reden hier nicht von bauphysikalischen und anderen Lärmschutzvorkehrungen, durch die jene für unsere Zivilisation typischen Lösungen entstanden: Einbetonieren der Bewohner in Betonzellen bei gleichzeitiger Entwicklung einer höchst raffinierten Stereo- oder Quadro-Hifi-Technologie, damit in diesen Räumen irgendetwas zum Klingen kommt.
In der gesamten Theorie der modernen Architektur ist nur wenig, so gut wie nichts, über die Beziehung Klang – Raum-Körper ausgesagt. Der Klang eines Raumes hat Wirkung auf das vegetative Nervensystem; weitgehend der bewussten Kontrolle entzogen, werden Herz, Atemfrequenz, Blutdruck samt der psychosomatischen Implikationen beeinflusst. Dadurch, dass die moderne Architektur diese Phänomene unterbewertet, ist sicher großer Schaden angerichtet worden.
Es geht mir nicht um musikalisch inszenierte Räume, ich meine vielmehr Ton und Klang, die ich in meinen Arbeiten, wie etwa einer Ton-Liege oder einem Ton-Würfel als Material, nicht als Accessoire begreife, als skulpturalen „Baustoff“.
In Hinsicht auf Raumakustik leben wir in einer revolutionären Periode. Erstmals in der Geschichte ist es möglich, Akustik von der Architektur zu lösen. Man kann – bei entsprechenden Bedingungen - praktisch jede Form mit jeder Akustik überlagern. Wir können einerseits Räume akustisch vergrößern, sie andererseits ruhiger und enger werden lassen oder gar in wellenartigen Rhythmus vergrößern und zusammenziehen.
Ich bin mir sicher, dass man in zehn bis fünfzehn Jahren in der Architektur nicht nur Lichtspezialisten, sondern obligat auch Soundspezialisten zu Rate ziehen wird. Akustiker werden derzeit immer nur geholt, wenn etwas korrigiert werden soll. Sie sind aber so gut wie nie als Gestalter miteinbezogen.“

Carl Michael von Hausswolff
„Wir leben in einer Art akustischen Klassengesellschaft.“

„Ich glaube, dass Sounddesign in der Baubranche der Zukunft einen großen Stellenwert einnehmen wird. Seit der industriellen Revolution gibt es im Haus mehr und mehr Geräusche: Denken wir an den Kühlschrank, die Waschmaschine. Die meisten dieser neuen lauten Geräte sind bereits in die Wände eingebaut, wie Lüftung oder die Klimaanlage, denken wir an Lichtschalter oder Türöffner. Man beobachte die Inflation von Audiogeräten in den vergangenen Jahren vom CD-Player bis zur Computer-Soundkarte. Architekten und Bewohner gehen damit nicht bewusst um, erkennen nicht, welche große psychische und physische Anstrengung mit diesem Soundmüll teilweise verbunden ist. Ist es nicht signifikant, dass leise Haushaltsgeräte teurer als laute sind? Stille ist eine Frage des Geldes. Ist Luxus. Wir leben in einer Art akustischen Klassengesellschaft.
Dass Sound neue Räume bilden kann, glaube ich nicht, aber er kann den Körper und damit die Wahrnehmung von Raum manipulieren.
In meinen sehr lauten Konzerten hat der Hörer das Gefühl, der Sound komme von allen Seiten und umarme ihn, wie das auch ein sehr schönes Gebäude tut. Nur wenn man es verlässt, kann man sich ihm entziehen. Manche der Besucher erzählten, sie hätten während meiner Performance tatsächlich ihr Knochengerüst klappern gehört. Andere fühlten sich angenehm massiert.

Wolfgang Tschapeller
„Wir sollten uns nicht nur fragen, wie Oberflächen aussehen, sondern auch wie sie klingen. Welche Elemente hören sich in einem Haus wie an?“

„Jede Organisation von Elementen ist eine architektonische Konstruktion. Ob das nun Ziegel oder Geräusche sind. Es ist interessant für mich, Geräusche, die ohnehin vorhanden sind, wie Steinmaterial zu bearbeiten, zu modulieren, zu präzisieren, zu dämpfen oder zu vergrößern. Nicht als korrigierendes Element, sondern als bildendes.
Neu ist das freilich nicht. In japanischen Gärten ist das Klacken des Wasserrads etwa ein klares raumbildendes Element, mit dem der Spaziergänger die Position innerhalb des Garten angezeigt bekommt. Leitsysteme, die auf Sound basieren, machen durchaus Sinn.
In der modernen Architektur wird das Sinnesorgan Ohr zu stiefmütterlich behandelt. Die gängigen Zeichenprogramme der Architekten berücksichtigen zwar das Licht, nicht aber akustische Aspekte. Wir sollten uns nicht nur fragen, wie Oberflächen aussehen, sondern auch wie sie klingen. Welche Elemente hören sich in einem Haus wie an? Die Architekten sollten sich dabei nicht nur auf schalldämmende Methoden reduzieren. Bei meinem, erst kürzlich fertiggestellten Projekt der Bezirkshauptmannschaft in Murau (die für den Mies van der Rohe Preis 2003 nominiert wurde, Anm. d. Red), habe ich etwa bewusst auf harte Oberflächen in den Arbeitsräumen geachtet. Ich bezweckte damit einen hellen, belebenden, klaren kristallenen Klang.“

Petteri Nisunen & Tommi Grönlund
„Spreche einem Bauherren gegenüber nie über akustische Aspekte, er wird dich für verrückt halten.“

„Die Soundspezialisten, mit denen Architekten zu tun haben, agieren eher wie Kontrolleure, die überprüfen, ob das Haus akustisch richtig ist, nicht über die Strenge schlägt und der Norm entspricht.
Wir glauben, dass es auf alle Fälle Sinn macht, Soundbildner in den baukünstlerischen Prozess zu integrieren, nur wollen doch die meisten Bauherren aus Erfahrung letztlich neutrale Räume. Spreche einem Bauherren gegenüber nie über akustische Aspekte, er wird dich für verrückt halten!
Die Leute leben heute mitten in einer Lärmmüllhalde und reagieren bei sauberem und präzisem Sound verstört. In einem staatlichen Museum in Petersburg streikte das Personal, weil es glaubte, die niedrigen Frequenzen einer unserer Sound-Installation würden die alten Skulpturen zerstören und ihre Libido und Arbeitsfähigkeit negativ beeinflussen. Und das angesichts der Tatsache, dass vor der Tür ein ohrenbetäubender Verkehr brüllte.
Sound und Raum gehören zusammen, wie Licht und Farbe. Mit dem Ohr nehmen wir präzise räumliche Dimensionen war. Man stelle sich nur einmal in einen gänzlich dunklen Raum. Die Ohren können die Dimensionen ohne Schwierigkeiten „sehen“. Ton wird innerhalb des Raumes erzeugt, ohne Raum ist Ton nicht möglich. Deswegen können unsere Sound-Installationen auch ausschließlich für eine bestimmte räumliche Situation geschaffen sein. Man glaube uns, es gelingt tatsächlich, mit akustischem Material Raum zu vergrößern oder ihn sogar zu erwärmen.“

Peter Kogler
„Bester Beweis, dass Sound eine räumliche, visuell-psychische Funktion besitzt, ist der Kinofilm“

Mein Schwerpunkt liegt ohne Frage auf der visuellen Gestaltung von Raum, dennoch ist Sound für mich ein gleichwertiges raumbildendes Element, das ich fallweise in meinem Arbeiten einsetze. Bester Beweis, dass Sound eine räumliche, visuell-psychische Funktion besitzt, ist der Kinofilm. Sound erzeugt dort die eigentliche Spannung, teilweise gänzlich autonom zur Haupthandlung, die ohne Ton gar nicht ihren Effekt hätte, vielleicht sogar nicht einmal einen Sinn ergäbe.
Ich spreche definitiv nicht von Musik, sondern von Sound, da ich diesen Begriff mehr mit Material assoziiere. Ich verwende beispielsweise akustisches Ready mades als Material, synthetische Computergeräusche, oder auch naturwissenschaftliche Audiostücke, wie das Krabbelgeräusch von Ameisen, das ich minimal manipuliere. Ich stelle es zu meinem visuellen Arbeiten, wohlgemerkt autonom, parallel und gleichwertig. Dem Sound kommt dabei keine narrative oder gar untermalende Aufgabe zu und ist absolut autark. Ob das eine künstlerische Methode ist, die in nächster Zukunft in die Architektur Einzug hält, bezweifle ich jedoch.

Franz Pomassl
„Ich plädiere für eine neue akustische Kultur, in der nicht jeder seinen akustischen Müll auf die Straße schmeißt.“

„Ich verzichte, im Gegensatz zu den meisten anderen Kollegen, gänzlich auf optische Eindrücke und versuche die Räume, in denen ich arbeitete, möglichst a-visuell oder dunkel zu halten, um die Ohren, die ja heutzutage für gewöhnlich auf Standby stehen, wieder zu sensibilisieren. Die Optik hat meiner Meinung nach ausgedient. In den Neunzigern haben wir einen derartigen visuellen Overkill erlebt, dass ich eine neue auditive Kultur im ersten Jahrzehnts des 21. Jahrtausends prognostiziere. Man werfe nur einen Blick, oder besser nur ein Ohr in die aktuellen Kunstausstellungen: kaum mehr eine Schau ohne ein Soundarbeit. Ich plädiere für eine neue akustische Kultur, in der nicht jeder seinen akustischen Müll auf die Straße schmeißt.
Mein Baumaterial ist der Ton, beziehungsweise verschiedene Frequenzen, mit denen ich Raum virtuell erweitere, verkleinere, oder an einen anderen Ort versetze. Bei meiner permanenten Architektur-Installation im Kraftwerk Theiß in Niederösterreich, die die Sammlung EVN angekauft hat, wende ich 20 Hertz, die tiefste Frequenz, die das menschliche Ohr hören kann und die höchste 20.000 Hertz an. Der Klang ist vollends statisch. Man sieht nichts, außer dem 30 Meter hohen Raum. Allein der Besucher, dessen Körper ja, wie das Ohr als akustisches Rezeptionsmembran fungieren kann, verändert die Skulptur durch seine Wanderung durch das menschliche Hörspektrum.
Bei meinem Projekt „Architectronics“ mit dem bekannten Medienkünstler Kowdo Eshun, gingen wir sogar so weit, allein über den Kopfhörer futuristische Räume erzeugen zu wollen. Viele Hörer bezeugten, dass das tatsächlich gelungen ist. In der virtuellen, allerdings ausschließlich visuellen Computerarchitektur passiert das ja längst.“

Der Architekt und documenta-Künstler Bernhard Leitner untersucht seit annähernd 25 Jahren den Einsatz von Ton als raumbildendes Element. Der Österreicher gilt als einer der Pioniere auf diesem Gebiet. Leitner realisierte zahlreiche permanente Soundarchitekturen im In- und Ausland, wie etwa den „Raumquellen“-Brunnen im Atrium Berlin Friedrichstraße Berlin.

Der schwedische Künstler und Musiker Carl Michael von Hausswolff ist einer der Kultfiguren unter den architektonisch orientierten Sound-Experimentalisten. Hausswollf will die Physikalität und Plastizität von Sound erfahrbar machen. Neben zahlreichen Ausstellungsbeteiligungen kuratiert er heuer die Biennale in Göteborg.

Der Tiroler Architekt und Architekturtheoretiker Wolfgang Tschapeller beschäftigt sich im Rahmen zahlreicher Ausstellungsbeteiligungen seit längerem intensiv mit akustischen Aspekten von Architektur.

Die finnischen Architekten Petteri Nisunen & Tommi Grönlund arbeiten seit 1993 gemeinsam in ihrem Studio „a.men“ in Helsinki an Architektur- und Ausstellungsprojekten, bei denen Sound als konstruktives Element eine wichtige Rolle spielt. Die Teilnehmer zahlreicher internationaler Ausstellungen, u.a. der Biennale in Venedig, arbeiten mit „Zivilisations-Sound-Mobiliar“ wie etwa Parabolantennen oder Mikrophonen.

Das Markenzeichen des documenta-Künstlers Peter Kogler sind große Kunststoffplanen, die er mittels Siebdruckverfahren mit riesigen, sich immer wieder wiederholenden Modulen (u.a. Röhren und Ameisen) bedruckt. Dadurch schafft er irritierende Environments, denen er Sound gegenüberstellt und damit die gewohnten visuell-architektonischen Grenzen erweitert. Derzeit ist in der Grazer Bahnhofshalle im Rahmen der Kulturhauptstadt Graz 2003 eine Arbeit zu sehen.

Der österreichische Musiker, DJ und Sound-Künstler Franz Pomassl befremdet mit seinen klanglich extrem körperlichen, strikt anti-visuellen Soundinstallationen auf internationalen Ausstellungen (zuletzt etwa „Frequenzen“, 2002, in Frankfurt/Main). Für die Kunsthallen-Ausstellung „Attack!“ wird er den Wiener Karlsplatz mit einem sogenannten „Vibrascan“ in Schwingung versetzen.












erschienen in H.O.M.E,03/02