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Nichts ist den Menschen fremder als das Nahe. 1989 fiel die Berliner Mauer, doch noch weitere 14 Jahre sollte es dauern, bis auch der Eiserne Vorhang der Ignoranz fallen sollte und die erste osteuropäische Nachrichtenagentur für Kultur, Zeitgeist und Architektur ins Leben gerufen wurde. Gegründet wurde diese Initiative weder von einem großen Medienkonzern noch von einem Riesenverlag, sondern von zwei jungen Journalistinnen, Manuela Hötzl und Antje Mayer, die seit drei Jahren das Redaktionsbuero in Wien betreiben. Von Boro Petric.

„Dichand soll den Falter übernehmen “

Boro Petric: Wem kann man heute noch vertrauen, wenn Politiker sich nur nach Meinungsumfragen richten, die Wirtschaft Dinge verkauft, die wir gar nicht brauchen und Medien nur über Dinge schreiben, die nicht dem Anzeigenverkauf schaden?

Manuela Hötzl: Sich selbst.

Antje Mayer: Die Antwort, sich selbst zu trauen, ist keine dumme.

Manuela Hötzl: Danke! Dadurch traue ich auch der Antje wieder.

Antje Mayer: Mediale Inhalte werden heutzutage als Produkte gesehen. Ob wir Kaffee verkaufen, Red Bull oder eben Inhalte und Text ist doch inzwischen egal.

Boro Petric: Sind Inhalte und Sprache nicht doch etwas anderes?

Antje Mayer: Klar. Wer erinnert sich noch daran? Mit Sprache kann ich meine Bedürfnisse, Ängste und Träume artikulieren, für meine Freiheit kämpfen und meine Zukunft gestalten. Mit Kaffee und Red Bull garantiert nicht, auch wenn man dir das gebetsmühlenartig einreden will. Aber dir selbst und deiner Zukunft Flügel verleihen kannst du nur, wenn du erfinderisch bist.

Boro Petric: Ist ein Journalist nicht in erster Linie ein Berichterstatter und kein Erfinder?

Antje Mayer: Das erzähle mal einem Augstein, einem Bronner oder einem Huemer! Erfinderisch kannst du nur sein, wenn du autonom, visionär und nicht an vermeintliche Zielgruppen denkst. Deswegen haben wir auch vor drei Jahren in Wien unser unabhängiges Journalistenkollektiv „Redaktionsbuero“ gegründet.

Manuela Hötzl: Uns ist damals klar geworden, dass auch der Kulturjournalismus und die Architekturkritik inzwischen nur noch als eine Art PR-Maschinerie fungieren. Was bringen die branchenüblichen Gebäudebeschreibungen über drei verwechselbare Hochglanzseiten und was eine reine Berichterstattung über ein Event ohne Reflexion, ohne es in einen größeren Kontext zu stellen? Nichts. Das sind dann Texte als Füllmaterial für die Anzeigen rundherum.

Antje Mayer: Unser Redaktionsbuero ist aus der Idee entstanden, keinem großen Medienkonzern angehören zu wollen, sondern selbstständig Inhalte und Texte zu entwickeln. Wir entscheiden, was wir verkaufen, wie und an wen. Vor drei Jahren war das eine ziemliche Pionierarbeit für Österreich. Jeder sagte uns damals, mit kulturellen Inhalten könnt ihr kein Geld verdienen, macht doch Webdesign. Die Webdesign-Firmen sind pleite, uns gibt es immer noch.

Boro Petric: Geht es noch jemandem darum, etwas zu erzeugen, egal, ob es verkaufbar oder produktfähig ist?

Antje Mayer: Um ein realistisches Beispiel zu geben, Magazinjournalismus -wie beim Format etwa, für das ich in der Kulturredaktion eineinhalb Jahre gearbeitet habe- ist ein reiner Systemerhaltungsjournalismus. Keiner, der neue Meinungen oder neue Utopien erzeugt, sondern ein Marktforschungsjournalismus, der genau die Inhalte produziert, die der User vermeintlich hören mag. Hollein, Hollaender und Heller! Den Leuten wird nur geliefert, was sie kennen, sie somit beruhigt. Aber das sind keine Inhalte, die sie aufwecken. Wenn der News-Verlag Inhalte produziert, dann so, als ob er ein Fitnessgetränk entwickeln würde.

Manuela Hötzl: Das Ergebnis ist dann aber mehr eine inhaltliche Schlaftablette.

Antje Mayer (lacht): Inhaltliches Opium für das Volk. Zeitungen waren ja mal ursprünglich als demokratisches Regulat zum Staat oder herrschenden System gedacht. Diese Funktion erfüllen die Medien definitiv nicht mehr. Sie sind als Wirtschaftskörper zu sehr Teil desselben geworden.

Manuela Hötzl: Opium ist keine schlechte Metapher, weil wir einer Zeit der geistigen Lethargie leben, obwohl überall Hektik propagiert wird.

Antje Mayer: Genau. Viel Wind um nichts und Dieter Bohlen. Die Journalisten sollten mal wieder ihre verbalen und intellektuellen Knarren entrosten und sonst muss Cowboy Dieter stattdessen mit seiner heißen Luft die Seiten füllen. Aber wir geben zu, es ist verdammt schwer, schneller als sein eigener Schatten zu schießen, soll heißen, als Teil des Systems, immer wieder neue unabhängige mediale Strukturen zu schaffen, die das System unterwandern.

Boro Petric: Wie kann ich mir denn so eine Munition vorstellen, die da abgefeuert wird?

Manuela Hötzl: Wir bauen gerade zusammen mit Christian Bretter, Stefan Leitner-Sidl und Herman Redlingshofer von Code Vienna eine Kultur-Nachrichtenagentur auf. Sie integriert übrigens von vornherein Osteuropa als gleichwertigen Kulturraum gegenüber Westeuropa. Die Idee dabei war, ein unabhängiges Kulturmedium zu gründen, das sich unbedingt auch wirtschaftlich selbst trägt und zwar nicht mit Anzeigen und riesigen Marketingbudgets, sondern mit der Sache, um die es eigentlich geht, nämlich mit den Inhalten.

Boro Petric: Wie soll das funktionieren?

Manuela Hötzl: Wir verkaufen kulturelle Inhalte an internationale Medien, wie die klassischen Nachrichtenagenturen APA oder DPA, am Anfang aus Österreich und Osteuropa später auch aus ganz Europa. Wir nutzen also wie Parasiten die bereits vorhandenen Strukturen, quasi nebenbei fällt ein Online- später ein Print-Kulturmagazin ab.

Boro Petric: Aber die Kulturressorts werden zusehens verkleinert, da angeblich kein Geld dafür da ist.

Antje Mayer: Deswegen haben wir auch die Struktur der Nachrichtenagentur gewählt, aber eben nicht nur für Wirtschafts- und Politiknachrichten, sondern ausschließlich für kulturelle Inhalte im weitesten Sinne. Wir helfen den Redaktionen sozusagen beim Outsourcing und liefern die Kulturnachrichten frei Haus. Produziert werden sie von einem Netz freier Journalisten und Korrespondenten, qualitativ hochwertig, aber günstiger und vor allem aus einem Kulturraum, der der Realität entspricht. Einem, der nicht kurz hinter Berlin und Wien endet, sondern bestenfalls am Uralgebirge, jenseits des Kosovo und hinter Istanbul, aus dem neuen Europa eben.

Boro Petric: Ist das nicht eine etwas großzügige Interpretation von Europa?

Manuela Hötzl: Nein. Das neue Europa als Vision endet nicht an nationalen Grenzen und nicht an geografischen. Unsere Generation will sich Europa weder von Rumsfeld noch von Brüssel definieren lassen. Die Idee von Europa kann doch nicht auf einer reinen Wirtschaftsgemeinschaft gründen. Deswegen ist es ist für uns das Gebot der Stunde, Europa über kulturelle Inhalte breitenwirksam zu kommunizieren – und durchaus nicht immer unkritisch.

Boro Petric: Wie empfindet ihr Eure Rolle des Kritikers eigentlich? Ist Architektur und moderne Kunst so unverständlich, dass es eines Übersetzters bedarf?

Manuela Hötzl: Die Kunst- und Architekturszene glaubt manchmal sie sei eine Heilige Kuh, die man nicht angreifen darf, nur füttern, also als Journalist vor allem bewerben soll. Manche empfinden Kritik an der Kunst- und Architekturszene als geradezu unmoralisch.

Antje Mayer: Die Kreativen präsentieren sich uns zuweilen als eine Art Mischung aus den "Ewig-Zukurzgekommenen" und den "Unantastbaren". Viele in der Kulturszene sind fest überzeugt, sie seien sowieso schon so arm dran, dass man sie nicht auch noch kritisieren darf. Alle fordern den Diskurs, nur keiner will sich die Hände verbrennen. Welche Furcht greift da um sich? Dass man damit unverzüglich dem rechten kulturkonservativen Lager zugeordnet wird. Das passiert dann im übrigen meist prompt.

Boro Petric: Ich bitte zum Abschluss noch um eine kurze Bestandsaufnahme des österreichischen Journalismus.

Antje Mayer: Wir plädieren im Sinne der Medienvielfalt und einer Belebung der öden österreichischen Medienszene dafür, dass Dichand für ein Jahr den Falter übernimmt und Thurnher die Kronenzeitung.

Boro Petric: Der Falter sollte als Donnerstagsbeilage der Krone erscheinen.

Manuela Hötzl: Gute Idee. Denn Hans Dichand und Armin Thurnher schreiben im Grunde auch nur ihren jeweiligen Zielgruppen hinterher. Vor allem im kulturellen Sinn glauben beide noch an das „Tafelbild“.
Aber, das muss man anerkennen, bilden sie die einzige wirkliche journalistische Ausbildung, die sich aber dadurch in diese zwei Lager gliedert. Wir wollen uns endlich nicht über das „Gegen“, sondern über das „Für“ definieren und ein Gefühl für unsere Generation, über die Grenzen Österreichs hinaus, vermitteln.



Boro Petric (*1971) war Wissenschaftsredakteur beim Wochenmagazin Format, danach Textchef bei Kurier Online. Derzeit entwickelt er ein neues Lifestyleformat.
erschienen im S/T/A/R, Zeitung für Städtebau, Architektur, Religion, Neuerscheinung, Dez.03