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Von Uwe Mattheiss.

Theatermond über der Donau

Das Theatercombinat zu Gast im Palais Donaustadt

Im September 2005 stand vier Monate lang ein Teil der unbebauten Donau-City unter dem Theatermond von „theatercombinat“ und seinen Gästen.

Das „palais donaustadt“ findet sich in keinem Wiener Reiseführer und es wird den kommenden Winter nicht überstehen. Der temporäre Kunstraum der Gruppe theatercombinat um die Regisseurin Claudia Bosse ist zunächst nichts weiter als 10.500 Quadratmeter noch unbebauter Fläche zwischen den Gebäuden der Wiener UN-Organisationen und der Donau und bot von Juni bis September einen kurzen Sommer der Reflexion über performative Praxis im öffentlichen Raum.

Nach seiner Gründung 1996 in Berlin widmet sich das theatercombinat bei personeller Fluktuation, aber mit hoher inhaltlicher Konsequenz dem Projekt einer an Bertolt Brecht und Heiner Müller geschulten materialistischen Theaterarbeit. Diese verabschiedet sich von der szenischen Illusion ebenso wie von der interpretierenden subjektivistischen Spekulation. Seit Ende der neunziger Jahre mit Schwerpunkt in Wien tätig, vertritt die Gruppe um Claudia Bosse eine Theaterauffassung, die den gesprochenen Text in seiner Eigengesetzlichkeit als Widerstand begreift, an dem sich nicht Darsteller, sondern forschende, ihrer Methoden bewusste Spieler und Spielerinnen abarbeiten. Eine Praxis, die die Zuschauer aus ihrer Passivität löst und zu verantwortlichen Teilnehmern werden lässt.

In seinen früheren Arbeiten untersuchte das theatercombinat vielfach die räumlichen und zeitlichen Dimensionen des Theatersettings und deren Belastbarkeit. Claudia Bosse:
„Bisher war jede Arbeit immer das Suchen nach einem Raum; wobei der Raum immer ein architektonischer war, der durch seine Lage im städtischen Zusammenhang, immer Gebrauch, Funktion oder auch Geschichte oder Spuren von Geschichte reflektierte.“ Neuere Projekte verlagern ihr Interesse zur Frage des sozialen oder gesellschaftlichen Raums.

palais donaustadt liegt in einem Gebiet, das vor wenigen Jahren noch Brache war, die zeitweise sogar zur Müllentsorgung genutzt wurde. Mit der Donau-City entsteht hier ein neuer städtischer Raum fernab vom historischen Zentrum, das die Expansion Wiens in nordöstlicher Richtung weitertreibt. 7.500 Menschen leben und arbeiten hier, im Endausbau werden es 15.000 sein. Das vom theatercombinat genutzte, mit weißer Farbe und durch weiße Containeraufbauten markierte Gelände gehört mittlerweile zu den letzten verbliebenen Freiflächen des Areals; ein Gebäude von 200 Metern Höhe wird hier entstehen. Die immobilen Ressourcen sind verteilt. Die temporäre kulturelle Nutzung durch das theatercombinat will und wird daran nichts ändern. Der Vorstoß der Gruppe in die Expansionszone der Stadt zielt nicht darauf ab, künstlerische Praxisformen etwa durch einen neuen Standort singulär zu etablieren, sondern als kritische Masse in den urbanistischen Diskurs einzuführen, die Frage nach dem öffentlichen Raum neu zu stellen, nach seinen kommunikativen Qualitäten, vor allem aber nach dem Potenzial künstlerischer Praxis öffentlichen Raum zu generieren.

Wesentliche Ingredienzien, die vom Theater genutzte Räume im Allgemeinen aufweisen, fehlen am palais donaustadt: bühnentechnische Apparaturen, ein Abschluss nach außen, der eine Sphäre besonderer Konzentration vom profanen Leben trennt, die Gewichtung des Raums und die Ausrichtung des Blicks durch architektonische Hilfsmittel. Einzig ein illuminierbarer Gasballon, eine Art Theatermond, schwebt als Anspielung an die reiche Tradition szenischer Illusionsmittel neuzeitlichen Theaters allabendlich über dem Areal. Stattdessen bietet der Ort eine radikale, bisweilen unbarmherzige Transparenz. Die künstlerische Praxis vermag sich nicht mehr wohl geordnet hinter die allgemeinen akzeptierten Markierungen zwischen Kunst und Nichtkunst zurückzuziehen. Sie rückt ungeschützt in die umgebende Alltagssphäre vor, provoziert Kollisionen mit nicht immer vorhersehbarem Ausgang. Der Ansatz des theatercombinats unterscheidet sich damit grundsätzlich etwa von der Praxis eines site specific theatre in den neunziger Jahren, das letztlich ein doch traditionelles Theatersetting an ungewöhnliche Orte transportierte, um die atmosphärische Aufladung oder den popkulturellen Symbolwert alter Fabrikhallen und devastierter Stadtviertel auch in der Hochkultur zu konsumieren.

Die tägliche Arbeit auf dem palais-Gelände bei Wind und Wetter wurde selbst zum Readymade, das die am Ort vorhandene alltägliche Praxis zwischen den umgebenden Bürotürmen, der Vorort-Vergnügungsmeile Copa Cagrana, zufälligen Passanten und umherschweifenden Jugendgruppen durch ein zusätzliches ungewohntes Moment verfremdet. Im Zentrum steht die choreografische Arbeit „ballet palais", die über den Sommer vor Ort entstanden ist. Sechs Spieler und Spielerinnen durchmessen den Raum – ausgestattet mit einem jeweils unterschiedlichen Bewegungsvokabular, das in einer komplexen, aber regelmäßigen Abfolge variiert und wiederholt wird. Die Choreografie zeichnet nicht in den Raum, sie nimmt ihn in sich auf, sie stellt keine Handlungen vor, sondern skizziert Handlungsmöglichkeiten, performative Potenziale. Die Betrachter, die sich während des Spiels zwischen den Spielern in der Offenheit des räumlichen Arrangements ihren Platz erst suchen müssen, teilen mit ihnen das Glück der Wiederaneignung oder einer kollektiven Erfahrung des Raums.

Artikel erschienen in: REPORT. Magazin für Kunst und Zivilgesellschaft in
Zentral- und Osteuropa,Oktober 2005



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