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Sie sitzen im Zug, um Herrn K. von der Firma X zu treffen. Aber die Bahn hat Verspätung und Sie möchten Herrn K. anrufen, dass sich das Meeting voraussichtlich um eine Stunde verschieben wird. Außerdem hätten Sie gerne im Internet kurz noch einmal auf der Webseite der Firma X geschmökert, den Lagerbestand des eigenen Unternehmens durchgesehen und ein paar dringende Mails beantwortet. Die Handynummer von Herrn K? Gekritzelt auf dem Post-it, das an ihrem Bürocomputer klebt. Der nächste Internet-Terminal? Im Internetcafé im Zielbahnhof, vielleicht. Die Sekretärin anrufen? Die hat ausgerechnet heute ihren freien Tag. Von Antje Mayer.

Filofax ade!

Digitale Assistenten für Menschen mit guten Nerven

Für solche des modernen digital allzeit vernetzten Menschen unwürdige Szenarien geben es nun seit etwa gut drei Jahren Abhilfe: Die sogenannten Persönlichen Digitalen Assistenten (PDAs), auch Handhelds genannt, die die Lücke zwischen mobilen und stationären Geräten füllen sollen. Geliebtes Filofax, Manager-Statussymbol der Neunziger, Ade?! ? Die Palette der neuen „digitalen Filofaxe“ ist auf den ersten Blick überzeugend: Kalender, Adress- oder Notizbuch-Verwaltung, E-Mail, Internetzugang, Handy-Modem, Spiele, Textverarbeitung, Tabellenkalkulator, integriertes Diktiergerät, seit neuesten auch Routenplaner, Übersetzerfunktionen oder integrierte Kamera. So oder so ähnlich versprechen es zumindest die PDA-Hersteller: vom Marktführer Palm angefangen, über Hewlett Packard, IBM, Siemens, Sony oder Casio. Die machen nämlich mit den handtellergroßen Tausendsassas der neuesten Generation derweil Riesenumsätze, Tendenz steigend. Laut einer Umfrage der Meta Group haben inzwischen 84 Prozent aller Unternehmen mobile Grundgeräte in ihrer Grundausstattung. Computer in Westtaschenformat (PDAs), Tablet-PCs, Notebooks mit Stifteingabe, Handys oder Laptops.

Mobil und ein fulminantes All-in-One-Angebot dazu. Was will man mehr, denkt sich der Technikoptimist und zögert nicht beim Kauf, selbst angesichts stolzer Businessklasse-Preise ab annähernd 500 Euro für aktuellere PDAs. Für diesen Betrag bekommt man immerhin schon stationäre leistungsstarke PC-Gesamtlösungen der neuesten Generation. Ob die PDA-Hersteller allerdings das einhalten können, was sie versprechen, ist – zumindest derzeit noch- fraglich.

Geben Sie es zu! Haben Sie es ohne professionelle Hilfe geschafft, Ihren neuen Persönlichen Digitalen Assistenten mit dem Handy und dem Büro-PC zu synchronisieren und das auch selbst einzurichten? Haben Sie sich gar für ihren PDA eigens ein teures Handy mit Bluetooth (Funk) oder Infrarotschnittstelle kaufen müssen? Haben Sie die Setups Menüs bezwungen, „erkannten“ sich die Geräte von Anfang an? Haben Sie die spezielle Software dafür selbst im Internet gefunden? Haben Sie innerhalb eines Nachmittags erreicht, Ihren Email-Account auf Ihren kleinen Assistenten selbst einzurichten? Verzweifeln Sie regelmäßig daran, dass Sie zwar ihre Attachments runterladen können, Sie aber nicht lesen können? Haben Sie sich schon blau geärgert, dass beim Batteriewechsel alle Daten verloren gingen? Haben Sie ein einfaches Word-Dokument mit ihrem kleinen Assistenten erstellt, es im Büro schnell auf den PC übertragen wolle. In der Zeit bis zur Festzustellung, dass es letztlich an der Kompatibilität der Programme scheiterte, hätten Sie es auch gleich neu eingeben können.

Die Hersteller überbieten sich derweil mit immer mehr und aufwendigeren technischen Spielereien, grundsätzlich technische Probleme wie Kompatibilität, einfache Einrichtung und leichte Handhabung und letztlich auch ein angemessener Preis, scheinen derweil immer noch nicht umfassend gelöst.

So gibt es PDAs, die etwa mit einer Kamera chinesische Zeichen lesen können und übersetzen. Im Afghanistan kommt bei den US-Truppen angeblich bereits ein sogenannter "Phraselator" (Phrasenübersetzer) zum Einsatz, der eine einfache Kommunikation mit den Einheimischen ermöglicht. Das Gerät bellt Befehle wie „Hände hoch!“ Oder „Wie kann ich Ihnen helfen?“ in nahezu perfektem Urdu.

Casio bietet beispielsweise ein Elektronisches Wörterbuch an, das den kompletten Inhalt des PONS Großwörterbuch für Experten und Universität, Oxford Advanced Learner’s Dictionary und des DUDEN Deutsches Universalwörterbuch ausspukt (EW-G2000, EW-G100). Besser wäre es freilich, man bräuchte dafür kein zusätzliches Gerät, sondern würde es in die gängigen kleinen Mobil-PCs integrieren können.

Sony setzt mit seiner Clié-Serie auf Unterhaltung mit Digitalkamera und Audioplayer. So etwa mit dem seit Jänner in Österreich erhältlichen Clié Modell mit dem sperrigen Namen PEG-NX7OV. Hinter dem eleganten gebürsteten Aluminiumgehäuse mit zugegeben brillantem Display und Miniaturtastatur versteckt sich aller Büro-Pipapo auf Basis von Funknetztechnik (Bluetooth), vom Kalender bis zum Diktiergerät, inklusive Walkmanfunktion und Kamera.

Nun sollten diese Wundergeräte nur noch funktionieren, für Menschen, die sich nicht zur Kategorie „Computerfreaks“ zählen (wollen), also die Mehrheit. Und vielleicht besinnt sich ja der eine und andere Entwickler wieder auf eine uralte Weisheit, die man im stetig neue Bedürfnisse zu schaffenden Kapitalismus von Zeit zu Zeit zu vergessen scheint: „Weniger ist mehr“.



erschienen im Büro_magazin1/02