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Guggenheim in Polen

Über 50 Jahre lang wurden in Polen keine neuen Museen geplant. Nun eröffnete im Sommer dieses Jahres ein Zentrum für zeitgenössische Kunst in Torun. In Krakau, Lodz und Warschau sind ebenfalls neue Ausstellungsgebäude in Planung. Der Museumsbauten-Boom wirft in Polen aber nicht nur architektonische Fragen auf, sondern auch inhaltliche.

Am 14. Juni 2008 wurde in der polnischen Stadt Torun, die rund 180 Kilometer nordwestlich der polnischen Hauptstadt Warschau liegt, ein Zentrum für zeitgenössische Kunst eröffnet. Es ist das erste neu gebaute staatliche Kunstmuseum seit 1939 in Polen. Umgerechnet circa 14 Millionen Euro kostete das gesamte Projekt, das zu 90 Prozent mit Mitteln der Europäischen -Union realisiert wurde. Die restliche Summe wurde von der Stadtverwaltung bezahlt. Nun ist inmitten der Altstadt ein Areal von 4000 Quadratmetern auf fünf Etagen entstanden – die bis dahin größte Ausstellungsfläche in Polen. Außer den vielen Präsentationsräumen für Kunst sind in dem Haus eine Buchhandlung sowie ein Kino und Veranstaltungssaal untergebracht. Der Entwurf stammt vom Architektenteam Edward Lach aus Wroclaw. Ein großer Zylinder aus Glas mit einer aufgesetzten Stahlkonstruktion markiert den Eingang. Die Fassade dagegen wurde mit Ziegeln verkleidet, um an den Charakter der Toruner Altstadt mit den vielen Gebäuden im Stil norddeutscher Backsteingotik anzuknüpfen. Einzig die verglaste Erdgeschoßzone vermittelt nach außen hin Transparenz und Modernität. Trotz dieser Bemühungen wirkt die quadratische Anlage eher funktional als aufsehenerregend. Es hat den Anschein, als ob bei dem Entwurf die Vernunft über Innovation und außergewöhnliche Formensprache gesiegt hätte. Und man könnte vermuten, dass die Verantwortlichen aus Sorge um die lokale Bevölkerung, die ohnehin wenig Kontakt zur gegenwärtigen Kunst hat, auf eine mögliche Provokation durch eine spektakuläre Architektur verzichtet haben. Das Konzept ging auf und wurde ohne große öffentliche Diskussionen realisiert. Nun gleicht der Bau mit drei Hauptetagen mehr einem Handelszentrum denn einem Ort für Auseinandersetzung mit gegenwärtigen Positionen der Kunst.
Anders in Warschau: In der Hauptstadt ist ein Museum für moderne Kunst bereits viel länger in Planung. Eröffnet werden soll es allerdings erst im Jahr 2013. Im Winter des vergangenen Jahres hatte der für die Ausschreibung eines internationalen Architekturwettbewerbs berufene Programmrat wegen unlösbarer Unstimmigkeiten seine Arbeit niedergelegt und war zurückgetreten. Der Grund: Das Konzept des Schweizer Architekten Christian Kerez, für das sich laut Meinung des Programmrats die Jury zu voreilig entschieden hatte, fand keine uneingeschränkte Zustimmung. Man warf dem Entwurf von Kerez Fantasielosigkeit und fehlenden Einfallsreichtum vor. Schmucklos sei der Bau, fanden viele Kritiker. Ebenso sei die Gestaltung durch Kerez nicht im Sinne der vorgeschriebenen Kriterien des Wettbewerbs gewesen. Viele hatten sich im Gegensatz zu Torun gerade in der Hauptstadt ein zweites Bilbao erhofft, das nicht nur die Stadt durch einen imposanten Bau zum Publikumsmagneten machen sollte, sondern auch den riesigen Kulturpalast (das berühmte „Geschenk Stalins“ an die Warschauer), vor dem sich das neue Gebäude befinden wird, architektonisch ein wenig zurückdrängen würde. Dennoch musste die Stadtverwaltung trotz Diskussionen die Jury-Entscheidung akzeptieren. Joanna Mytkowska, die neu gewählte Programmkoordinatorin, will nun bis 2013 den Entwurf von Christian Kerez umsetzen. In zwei weiteren Städten setzt sich die Planung von Museumsbauten in Polen fort: Krakau und Lodz sollen ebenfalls bis zum Jahr 2013 eine Reihe von Ausstellungsgebäuden für Kunst bekommen.
Die meisten sind Neubauten. Wenige erfahren einen Funktionswandel wie die neuen Ausstellungsräume des Kunstmuseums in Lodz, im Oktober 2008 wird hier in einer renovierten Textilfabrik aus dem Jahr 1895 die zweite Niederlassung eröffnet. Das neue Kunsthaus steht auf einem riesigen ehemaligen Fabrikkomplex aus dem 19. Jahrhundert. Das Museum in Lodz, eine traditionsreiche Institution, beherbergt die drittwichtigste Sammlung von Avantgarde-Kunst weltweit. Arbeiten von Künstlern wie Pablo Picasso, Hans Arp, Kurt Schwitters, Piet Mondrian sowie polnischen Avantgarde-Künstlern wie Wladyslaw Strzeminski und Katarzyna Kobro finden hier erstmals einen dauerhaften Platz. Ein geeigneter Ort für diese Bestände war lange überfällig.
In Lodz bleibt die Textilfabrik für das Kunstmuseum nicht der einzige Ort für solch eine Umgestaltung eines riesigen industriellen Areals. Hinsichtlich eines weiteren Kulturzentrums, einem 90 Hektar großen Areal hinter dem Hauptbahnhof, ist bereits der luxemburgische Architekt und Stadtplaner Rob Krier mit der Umgestaltung beauftragt worden. Für den Umbau eines dort befindlichen Elektrizitätswerks lud man den Stararchitekten Frank O. Gehry ein. Hier hofft man nun auch, dank einer spektakulären Architektur die Stadt zur Touristenattraktion werden zu lassen. Zwar hat Gehry sich noch nicht für Lodz entschieden, doch viele erwarten seine Unterstützung.
Bei der Entstehung einer neuen Institutionslandschaft wird nicht außer Acht gelassen, dass neben einem attraktiven Gebäude auch inhaltliche Veränderungen notwendig sind. So wollen die neuen Konzepte für Museen weg vom alten Image verstaubter Exponate und Besuchern in Filzpantoffeln. Dies jedenfalls war Thema der Konferenz „In Richtung eines modernen Museums“, die im März dieses Jahres in der Nationalbibliothek in Warschau stattfand. „In Polen“, so hieß es bei der Konferenz, „sollte man das Jahr der Fußball-Europameisterschaft 2012 nutzen, um auch Museen darauf vorzubereiten und einladender zu gestalten.“ Damen und Herren, die einem mit der Bemerkung „Nicht anfassen!“ oder „Bitte Abstand halten!“ hinterherlaufen, seien sicher nicht mehr zeitgemäß.
In Museen für moderne Kunst wie dem CSW (Zentrum für zeitgenössische Kunst) in Warschau sowie dem Kunst-Bunker (Bunkier Sztuki) in Krakau hört man solche Äußerungen des Aufsichtspersonals zumindest immer weniger. Die historischen Museen brauchen hingegen dringend neue Konzepte. Das neue Museum für jüdische Geschichte in Warschau, das auf dem Boden des ehemaligen Warschauer Ghettos im Viertel Muranów entstehen wird, könnte als Beispiel für eine moderne Präsentation von Geschichte dienen. Gebaut wird es von den finnischen Architekten Ilmari Lahdelma und Rainer Mahlamäki und es soll bis zum Jahr 2010 fertiggestellt werden. Mit ihrem unbefangenen Entwurf haben die beiden so renommierte Architekten wie Daniel Libeskind ausgestochen. Hier bekommt man zunächst durch den Ort, an dem es errichtet wird, einen direkten Bezug zur Geschichte. An der Stelle, wo das künftige Museum stehen soll, hatten die Nationalsozialisten im Jahr 1940 mehr als 500.000 Juden in ein Ghetto zusammengetrieben. 300.000 von ihnen kamen in Treblinka um. Nach dem Warschauer Aufstand 1943 brannten die deutschen Besatzer das Ghetto nieder. Stehen wird das Museum direkt vor dem Denkmal des damaligen Aufstands. Der Schwerpunkt liegt jedoch weniger auf dem Holocaust als auf der jüdischen Kultur in Polen. Die Besucher werden wie in einem Theater durch die Kulissen einer untergegangenen Welt gehen, darunter eine Synagoge und ein „Stedtl“, eine typisch ostjüdische Siedlung. Auch historische Museen haben erkannt, dass sie modern sein müssen, um das Publikum anzulocken.
Zunächst stehen die neuen Häuser jedoch vor einer anderen Herausforderung. Die Fragestellungen rund um die neuen Architekturentwürfe und die innovative Präsentation der Exponate sind ein wichtiges Thema, man muss jedoch gleichzeitig überlegen, was man im Inneren überhaupt zeigen soll. Warschau hat noch keine Sammlung oder Konzept für sein Museum moderner Kunst. In Torun hat man bereits ein Budget zugewiesen bekommen, um neue Einkäufe machen zu können.
Bei solchen inhaltlichen Diskussionen verwundert es nicht, dass so mancher architektonische Entwurf enttäuschend ausfällt. Die Schwierigkeit, ein Museum zu gestalten, ohne zu wissen, welche Sammlung dort überhaupt präsent sein wird, ist für jeden Architekten eine große Herausforderung. Tatsache ist: Einen Picasso, Matisse oder Cézanne kann man sich in Polen nicht leisten, diese Meister haben außerdem schon in anderen Museen ihren Platz gefunden. In Torun will man einen regionalen Schwerpunkt setzen und dabei gleichzeitig den internationalen Kontext berücksichtigen. Viele befürchten aber gleichzeitig eine Regionalisierung der Sammlung, die über die Grenzen des Lokalen nicht hinausreicht. In Warschau hingegen will man zunächst bei dem Aufbau einer Sammlung den Schwerpunkt auf Kunst aus Ostmitteleuropa setzen. Zu Recht: Zeitgenössische Sammlungen von Kunst aus diesem Teil Europas nach 1989 gibt es in der Museumslandschaft so gut wie gar nicht. Als gutes Beispiel könnte das Museum in Ljubljana, Slowenien, genannt werden. Junge polnische Kunst zu sammeln, ist auch gar nicht so verkehrt, zumal in den letzten Jahren durch einzelne Künstler wie etwa Wilhelm Sasnal, Artur Zmijewski und Katarzyna Kozyra die Preise auf dem Kunstmarkt so gestiegen sind, dass polnische Museen sich die Ankäufe dieser Namen sehr bald nicht mehr leisten werden können. Der Schwerpunkt auf der zeitgenössischen Kunst aus diesem Teil Europas könnte etwas Spezifisches sein, wodurch sich einzelne polnische Museen aus der Vielzahl der europäischen Museen hervorheben könnten.
Viele Städte würden ihr neues Museum gern als Aushängeschild sehen und könnten mit neuen Museumskonzepten vor allem ausländisches Publikum in die Städte locken. Die Direktoren und Kuratoren sehen sich jedenfalls bereits jetzt vor eine große Aufgabe gestellt. Sie müssen versuchen, weitgehend unabhängig von der Politik ihre Projekte zu realisieren, die lokale Bevölkerung miteinzubeziehen, jedoch gleichzeitig wettbewerbsfähig mit anderen europäischen Museen zu werden. Vor dem Hintergrund einer Gesellschaft, die größtenteils der zeitgenössischen Kunst immer noch sehr skeptisch gegenübersteht, wird dies nicht immer einfach sein.



Adressen der neuen Museen

TORUN´
CSW, Centrum Sztuki Współczesnej
(Zentrum für Zeitgenössische Kunst) Torun
ZZK („Znaki Czasu“, „Zeichen der Zeit“) Torun
Architektonische Konzeption: Edward Lach (Wroclaw, PL)
Adresse: ul. Waly gen. Sikorskiego 13
Eröffnung: 14. Juni 2008
www.csw.torun.pl

Warschau
Muzeum Sztuki Nowoczesnej w Warszawie
(Museum moderner Kunst in Warschau)
Architektonische Konzeption: Christian Kerez (CH)
Adresse: Plac Defilad
Provisorische Niederlassung des Museums bis zur Fertigstellung: ul. Panska 3
Eröffnung: voraussichtlich 2013 oder früher
www.artmuseum.waw.pl

Muzeum Historii Z ydów Polskich
(Museum der Geschichte polnischer Juden)
Architektonische Konzeption: Ilmari Lahdelma und Rainer Mahlamäki (FI)
Adresse: ul. Warecka 4/6
Eröffnung: voraussichtlich im Jahr 2011
www.jewishmuseum.org

Krakau
Muzeum Sztuki Wspólczesnej Krakow
(Museum für Kunst der Gegenwart in Krakau)
Architektonische Konzeption: Claudio Nardi, Leonardo Maria Proli, Annalisa Tronci (IT)
Adresse: voraussichtlich auf dem ehemaligen Gelände der Email-Fabrik Oskar Schindler (Zablocie) ul. Lipowa 4
Eröffnung: voraussichtlich 2011
www.fabrykaschindlera.pl

LODZ
Muzeum Sztuki w Łodzi ms2
(Kunstmuseum Łódź ms2)
Architektonische Konzeption: 
Ferdzynowie (PL)
Adresse: ul. Ogrodowa 17
Eröffnung: Oktober 2008
www.msl.org.pl

Lodz Manufaktura
Culture-entertainment-trade centre of Łódz´
Adress: ul. J. Karskiego 5, 91- 071 Lodz
www.manufaktura.com

Artikel erschienen in: REPORT. Magazin für Kunst und Zivilgesellschaft in
Zentral- und Osteuropa, Oktober 2008
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