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Claudia Caviezel sorgt in der Schweizer Designszene für Aufruhr. Vor kurzem erst hat das blutjunge Nachwuchstalent ihr Diplom hingelegt, schon wird es mit Preisen überhäuft. Von Antje Mayer.

„Kettenredaktion als Methode“

Claudia Caviecel

Claudia Caviezel ist Schweizerin und nicht nur deswegen ausgesprochen gelassen. Die 26jährige Textildesignerin wird derzeit als einer der großen Nachwuchstalente der Schweizer Designszene gefeiert und mit Preisen überhäuft. Die Presse überschlägt sich angesichts ihrer fulminanten Arbeiten vor Begeisterung. Doch Claudia Caviezel, ganz Schweizer Understatement, bleibt am Teppich: „Das ist alles ganz toll und überwältigend. Aber ich renne nun nicht hektisch einer Karriere nach, sondern nehme mir Zeit zur Orientierung.“
Die Götter haben vor dem Erfolg den Schweiß gesetzt und den hat die Wahlzürcherin für ihre Diplomarbeit geschwitzt, um die sich im Grunde all der Aufruhr dreht. „Auf die Idee dafür bin ich eines Abends gekommen. Ich wollte unbedingt einen neuen Rock zum Ausgehen tragen. Ich besitze jedoch keine Nähmaschine und ich bin furchtbar ungeduldig“, gesteht Caviezel. „So habe ihn mir kurzerhand aus einem Stück Stoff mit einem Klebeband zusammenbastelt. Gott sei Dank hatte ich das Klebeband mit dabei. Es löste sich immer wieder ab“, lacht sie. „Das müsste doch besser gehen, dachte ich mir daraufhin. Ich habe dann an der Entwicklung eines Patents getüfftelt. Mein Ziel: Ohne Nadel und Faden, nur durch Einwirkung von Hitze und Druck, waschbar, zugfest und dauerhaft, Stoffe miteinander zu verbinden.“
Daraus entstand dann ihre grandiose „tape it“ - Kollektion. Bizarre Strumpfmanchetten, schräge Rockkonstruktionen, Lampenschirme, Fenstergitter, Tapeten. Alles „getaped“, nur aus Klebeband und Stoff. Das Grundmaterial dafür grub Claudia Caviezel auf Flohmärkten und in „Brockenstuben“ aus, so nennen die Eidgenossen Trödelgeschäfte.
Beeindruckend, welchen Variantenreichtum Caviezel aus einem Klebeband rauszuholen versteht. Das fand dann auch die Jury der Reymond Loewy Stiftung und verlieh der jungen Designerin für ihre Arbeit kurzerhand den Lucky Strike Junior Designer Award 2002. „Kleben statt nähen. Das könnte die Bekleidungsindustrie auf den Kopf stellen“, heißt es in der Begründung. Mit 30.000 Schweizer Franken ist der Wettbewerb dotiert. Eine satte Preissumme, von der man in Österreich nur träumen kann und Caviezel nun die nötige Ruhe gibt, ihre grandiose Klebeband-Idee weiterzuentwickeln.
„Mir geht und ging es gegen den Strich, wieder das zigste Designerröckchen für reiche Damen auf den Markt zu hauen. Ich wollte etwas gestalten, das sich jeder leisten kann, mit wenig Geld und den einfachsten Mitteln. Recycling ist dabei kein Thema für mich, sondern eher die Idee eines intuitiven und auch humorvollen Gestaltens für jedermann“, erklärt die junge Preisträgerin. „Ich will die Menschen dazu animieren, selbst kreativ zu sein. Und das geht nur, wenn man -auch ohne ein Spezialist zu sein- etwas bauen kann. So sind meine Arbeiten dann auch eine Mischung aus Installation, Kunst, Objekt, Mode und Design: Aus der Technik entsteht das Volumen.“
Die Schweizer Designerin, die ihr Label ©© nennt, versucht dabei grundsätzlich einmal nicht an den ersten Realitätshürden zu scheitern, „für die sind Spezialisten zuständig“, so Caviezel selbstbewusst, sondern propagiert die Kettenredaktion als ihre Methode: „Übers Machen stoße ich auf neue Fragenstellungen. Ich reagiere, assoziiere, hinterfrage, entwickle weiter und lasse mich überraschen. Deswegen wende ich auch nicht die klassische Schnitttechnik an, sondern arbeite direkt an der Büste und Negativform.“
Eine sinnliche und unmittelbare Herangehensweise, die dem Charakter von Claudia Caviezel entspricht. In ihrer Freizeit tanzt sie gerne, schaut „doofe Soaps“ und „geht gerne abrocken bis fünf Uhr in der Frühe“. Mit der snobistischen Zürcher Designer- und Modeszene hat sie hingegen nicht viel am Hut. „Das ist nicht meine Welt.“
Ihre Entscheidung, Textildesign zu studieren, kam genauso aus dem Bauch: „Als ich an der Hochschule für Gestaltung und Kunst in Luzern in der Webstube stand und die Hunderten schönen bunten Fäden sah, da hatte ich mich letztendlich entschlossen, Textildesign anzugehen. Freilich auch, weil mich schon immer besonders das Handwerk interessiert hatte“, erinnert sich Caviezel.
Auch sonst war Caviezel bei ihrer Karriereplanung eher inspirativ. Noch während ihres Studiums machte sie sich eines Tages auf den Weg nach Paris und klopfte ohne Vorankündigung bei dem weltbekannten Trendforschungsbüro Li Edelkoort an die Tür. Fortan arbeitete sie dort als Stylistin für das Magazin „In View“. „Das war eine wunderschöne Zeit.“ Kleinere Kunstausstellungen folgten, dann die Mitarbeit als Stylistin im noblen Designerkaufhaus Departmentstore Quartier 206 in Berlin.
Tapeten von Caviezel gibt es auch schon zu kaufen. Für das Designerkollektiv Berlin Tapete (Motto: Die Zukunft der Wand. Soll doch endlich jeder leben, wie er will!) entwarf sie Wandpapier, bei dem sie Maschendraht oder Telefonkabel verfremdete und die an Peter Koglers Riesenmodule erinnern (www.berlintapete.de).
Claudia Caviezel will so in Zukunft weitermachen: „Ich sehe mich als Ideenlieferantin, Sammlerin oder Erfinderin, die alltägliche Sonderheiten verknüpft, aufgreift und umsetzt.“ Um originell zu sein, muss man schließlich nicht unbedingt vom allgemein Bekannten abweichen. Wichtig ist nur, dass man sich ihm nicht anpasst. In diesem Sinne ist Claudia Caviezel ein Talent mit dem Zeug zum Durchstarten.



Daten in Kürze:

Label ©©
Claudia Caviezel
Sihlfeldstraße 57, Ch-8003 Zürich,
Tel.: +41 76 525 41 01
claudia1@gmx.ch

1977 geboren in Zug
1998-2002 Fachklasse für Textildesign Hochschule für Gestaltung und Kunst Luzern
2000 Trendforschungsbüro Li Edelkoort, Magazin „In View“
2001 Illustrationsagentur „Illux“
2001 Stylistin für Departmentstore 206 in Berlin

Preise
2002 Weiterbildungspreis des Kantons Zug
2002 Hochparterre Sonderpreis
2003 Lucky Strike Designer Award 2002
2003 Eidgenössischer Preis für Design 2003

Ausstellungen (Auswahl)
2002 Ausstellung Weiterbildungspreis Kanton Zug
2003 „tape it / scotch the plastic fantastic bag“, Shop Museum Bellerive Zürich
2003 “Designers Saturday* Berlin” Ausstellung für Tapetendesign, Berliner Backfabrik
2003 Eidgenössische Designausstellung Mudac, Lausanne
2003 Tapete, Landesmuseum Schweiz, Zürich
2004 Talente, Internationale Handwerksmesse, München

erschienen in H.O.M.E Nr.02/Febr.04,S.56ff