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Von Antje Mayer.

Raffgier oder gerettete Kultur?

Waltraud Bayers neues Buch über das Kunstsammeln in der Sowjetunion

Der 7. Juli 1988 war ein bedeutender Tag für die russische Kunst. An jenem sommerlichen Donnerstagabend trafen sich 2.000 Kunsthändler- und Sammler aus dem In- und Ausland um 19 Uhr im Sovincentre in Moskau, wo die erste Sotheby’s Versteigerung in der UdSSR stattfinden sollte. Als die Sonne an diesem Tag untergegangen war, hatte sich die jahrzehntelang isolierten Kunst- und Sammlerszene des Landes binnen weniger Stunden sozusagen rehabilitiert. Solch riesiges internationales Interesse, nicht nur an moderner, sondern auch an Gegenwartskunst, und die hohen Preise, die sie erzielte, hatte niemand erwartet. Die Londoner Galerie Annely Juda legte das Doppelte des Schätzmarktpreises, 330.000 Pfund, für Alexandr Rodschenkos Bild „Linie“ hin. Die Arbeit des späteren documenta IX- Künstlers Ilya Kabakow „Antworten der Experimentellen Gruppe“ konnte für immerhin 22.000 Pfund versteigert werden. Sogar der britische Popstar Elton John war als Sammler damals mit von der Partie und erwarb das die Arbeit „Landschaft“ der zeitgenössischen Künstlerin Svetlana Kopystjanskaja für 44.000 Pfund (statt 2.000-2.500).
„Möglich war die Versteigerung freilich nur durch das politische Tauwetter. Als tatkräftige Unterstützerin der ‚kollekcionery’ tat sich in den Jahren zuvor auch Frau Raisa Gorbatschowa hervor. Die Sammler waren nicht nur in Moskau und Petersburg, sondern in der ganzen Sowjetunion aktiv, von Armenien bis Estland“, weiß die österreichische Autorin und Osteuropaexpertin Waltraud Bayer. „Unter Parteischef Breschnew waren die Kunstsammler die Jahre vor Gorbatschow harten Repressalien ausgesetzt gewesen und wurden kriminalisiert. Das Wort ‚Kollekcioner’ galt im Russischen sogar als Synonym für ‚Raffgier’.“
In ihrem kürzlich erschienenen Buch „Gerettete Kultur. Private Kunstsammler in der Sowjetunion. 1917-1991“ (Turia + Kant Verlag, 2006) legt Waltraud Bayer penibel genau dar, wie in der Sowjetunion Kunst gesammelt wurde, abseits der gültigen Doktrin des Sozialistischen Realismus, im Geheimen, in einer Grauzone, aber durchaus auch mit stillschweigender Akzeptanz der Regierung. „Bei den Recherchen zu meiner Publikation hatte mich, und sogar meine russischen Kolleginnen, überrascht, dass kurz nach der Russischen Revolution so genannte staatliche ‚Schutzurkunden’ existierten. Allein in Petersburg fand ich über tausend im Archiv der Eremitage. Gewissen Personen war damit offiziell der private Besitz von Kunst erlaubt“, so Bayer. „Jene sammelten aus der Idee heraus, das kulturelle Gedächtnis des Landes zu erhalten. Im Vergleich zu kapitalistischen Ländern spielten Geldanlagen oder Mäzenatentum aber eine nicht so bedeutende Rolle“, so die Autorin.
Auch die jungen Nachwuchskünstler der UdSSR, so Bayer, hätten von den engagierten Sammlern profitiert, wenn schon nicht im Museum, so hätten sie zumindest so bedeutende Werke der eigenen Kunstgeschichte kennen lernen können. Viele der Sammlungen seien mittlerweile in dem 1994 eröffneten Moskauer „Museum der Privatkollektionen“ eingegangen und sicherlich sind viele Werke in den unsteten Zeiten der Wende in den Westen verschachert worden.
Dennoch: Der Spieß scheint mittlerweile wieder umgedreht: Picassos Gemälde „Dora Mar mit Katze“ etwa wurde kürzlich für die Rekordssumme von 74,5 Millionen Euro bei Sotheby`s versteigert: An einen russischen Käufer.



Artikel erschienen in Kunstzeitung 01/2007

> Link:Kunstzeitung > Link:Waltraud Bayer auf perlentaucher.de- > Link:Amazon/Waltraud Bayer- > Link:Annely Juda Fine Art:contemporary art gallery- > Link:Ilya&Emilia Kabakov- > Link:Sotheby´s-