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"Weil der Benettonfotograf Oliviero Toscani der Prototyp des Kreativen ist, der den gefährlichen Tanz auf den Vulkan der Werbewirtschaft überlebt hat“, erklärte Ars Elektronik-Kurator Gerfried Stocker, habe er den Werber heuer für einen Vortrag nach Linz eingeladen. Die Medienshow bemühte sich heuer nämlich "dem Rechnung zu tragen, daß Kunst längst in Bereichen stattfindet, die ihr noch nicht zugeordnet werden“, so Stocker. Von Antje Mayer.

Die Propaganda gekillt

Benettonfotograf Oliviero Toscani über Kunst und Werbung

Also auch in der Werbung? "Bullshit", meint Toscani (Jahrgang 1942), der 18 Jahre lang, seit 1982, für Benetton unter anderen mit blutdurchtränkten Soldatenuniformen, küssenden Nonnen, Aidskranken und Todeskandiaten für Pullover warb: "Werbung ist das genaue Gegenteil von Kreativität. Die Marketingdeppen denken natürlich immer, wie kreativ sie sind. Dabei haben sie doch keine Ahnung von künstlerischen Prozessen. Ich selbst bin kein Werber, sondern Fotograf." Er verachte, so Toscani, derzeit Kreativdirektor der amerikanischen Zeitschrift "Talk",
"diese Untermenschen, die nur das Verkaufen von Produkten im Kopf haben und dieses dumme Wirtschaftssystem weitertreiben."

Haarspalterei und Zynismus sei das für ihn nicht, auch wenn doch seine Sujets letztendlich mehr Pullover verkaufen sollten: "Ich habe mit Verkaufen nichts am Hut. Ich bin Fotograf und damit Basta." Daß seine "Kunst" dazu mißbraucht werde, Waren an den Mann oder an die Frau zu bringen, irritiere ihn nicht im Geringsten: "Ich verkaufe ja nicht Produkte, sondern eine Haltung. Meine Bilder verfolgen andere Zwecke: Ich weise darauf hin, daß es in dieser Welt noch immer Krieg und Todesstrafe gibt." Ein Missionar wäre er deswegen noch lange nicht, leide er doch selbst an dieser Welt, die er zeige. Und die sei in Händen von Managern und Marketingleute: "Schlechte aber mächtige Lügner ohne Ideen," ärgert sich Toscani, "die der Welt eine moderne Diktatur der Ökonomie aufs Auge drücken: ohne Anspruch auf Kunst, Humanität, Emotionalität." Deren Mittel stünden der Nazi-propaganda in nichts nach, auch die wäre ja sehr gut gemacht gewesen, lacht der Werbefotograf, sie habe nur "die –falschen – Ideen bestens verkauft."

Mit seiner Unabhängigkeit habe er als bestens bezahlter Bildermacher in dieser "Diktatur der Ökonomie“ noch nie ein Problem: "Durch meine Arbeit bei Benetton habe ich doch bewiesen, daß man innerhalb des Systems unabhängig sein und etwas umdrehen kann. Ich gestehe: Ich habe für die Propaganda gearbeitet, aber ich habe sie gleichzeitig gekillt." Seine Waffe: die Ästhetik des Schreckens. Auch Gegenwartskünstler von Jake und Dinos Chapman bis Cindy Shermann haben sie gezogen. Zum Thema Schönheit falle ihm eben wie jenen nichts Entspannendes ein: bestenfalls der Teufel, das Feuer, das Weltall. "Wahre Schönheit kann schreckenerregend sein", schreit Toscani. "Selbst Scheiße kann schön sein."

Deswegen sei das Museum auch heute längst kein adäquater Ort der Kunstvermittlung mehr: "Kunst findet heute überall statt, in Magazinen zum Beispiel, nur an einem Ort garantiert nicht mehr: im Museum", wird Toscani immer wütender. "Was ich dort an aktueller Kunst vorfinde, interessiert mich die längste Zeit nicht mehr. Da onanieren noch einige Idioten, die denken, sie wären Künstler. Was da heute produziert wird, sind bestenfalls Merchandisingprodukte für reiche Leute, die man sich dekorativ über das Sofa hängt." Die Ars Electonica dürfte somit seine Gnade gefunden haben.



erschienen Kunstzeitung Nr.63/Nov.01,S.32
> Oliviero Toscani