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Von 13. bis 19. Mai fand in Moskau die 8. Internationale Ausstellung von Architektur und Design statt, die ArchMoskwa. Eine Architekturmesse, nicht rein kommerziell, sondern mit kuratierten Ausstellungen und eigeninitiativen Präsentationen, die einen Überblick über die russische Architekturszene zeigte. Resümee: viel Arbeit für viel Geld. Von Manuela Hötzl.

Priviet Moskwa

Moskau ist die Stadt des Kapitalismus: Pur, real und ohne Ideologie vollzieht sich in der östlichen europäischen Metropole eine Regierung des freien Marktes, die sich vor allem in einem chaotischen Stadtbild manifestiert. Auch im Westen zeichnen sich mancherorts bereits Mechanismen ab, die ähnliche chaotische Strukturen erzeugen. Politische Entscheidungskraft wird zunehmend abgegeben, und die Machtverhältnisse verlagern sich zu Gunsten der Geldgeber bzw. Investoren. Unter dem immer noch positiv besetzten Sinnbild der „Privatisierung“ hinkt Europa auf Grund des ökonomisch gefährdeten Marktes hinterher. Die Regelwerke haben sich den neuen Situationen noch nicht angepasst und reagieren träge auf etwas, das sie längst nicht mehr überwachen.
Deutlich erkennbar wird der Kontrollverlust bei der Stadtplanung. In Moskau geht es dabei um Substanzielles.
Bart Goldhoorn, niederländischer Architekt und Chefredakteur der englisch-russischen Architekturzeitschrift project russia, spricht in seinem Text „Kapitalistischer Realismus“ von der Entwicklung russischer Architektur nach der Wende. Russland konnte im Gegensatz zu anderen postkommunistischen Ländern niemandem die Schuld zuweisen. Es musste selbst Verantwortung übernehmen, der Gegner fehlte und damit auch das Gegenmodell. Alle kontrollierenden staatlichen Ämter verloren nicht unbedingt ihre Funktion, die Ausführenden jedoch ihren Lohn. Dies wird offensichtlich, auch wenn man nicht tief in die Bürokratie Russlands eintaucht. Polizisten auf der Straße verdienen ihr viel zu geringes Gehalt durch flächendeckende Verkehrskontrollen – es kann vorkommen, dass man auf der nächtlichen Heimfahrt dreimal angehalten wird. Soldaten sieht man vor den Kasernen betteln, und auch andere Berufsgruppen fordern plötzlich Geld. Auch Baugenehmigungen fallen in diese Kategorie. Jede Funktion wurde privatisiert, und wer in Moskau bauen will, kalkuliert die Bezahlung aller „Beteiligten“ mit ein. In Moskau bedeutet das nicht logischerweise Korruption, eher eine Überlebensstrategie. Alte Strukturen blieben in der Perestroika erhalten und werden nun unter anderen Bedingungen nach Gutdünken exekutiert.
In einer Stadt wie Moskau kann das ungeschriebene Gesetz „Wer Geld hat, hat auch das Sagen“ fatal sein. In anderen Ländern wie Kroatien oder Rumänien scheint die Lage nicht wesentlich anders, Kapital und mögliche Investoren fehlen allerdings. In Moskau nicht. Das Geld liegt praktisch auf der Straße, und die Stadt erlebt einen gewaltigen Bauboom. Für Architektur wird dennoch fast ausschließlich im Privatbereich investiert. Gesellschaftliche und soziale Interessen kommen dabei zu kurz. Kulturelle Einrichtungen, Schulen, Kindergärten, sozialer Wohnbau oder auch Zoo und Parkanlagen werden nur mit sehr geringen Mitteln bedacht. Renovierungen und Denkmalpflege haben überhaupt kein Budget. Bekannte Bauten aus dem Konstruktivismus verfallen, Fabriken, Clubs oder Wohnbauten aus den dreißiger Jahren werden abgerissen, brachial in Stand gehalten oder einfach sich selbst überlassen. Das berühmte Hotel Moskwa am Kreml soll nächstes Jahr einem Neubau weichen.

Doch steht Moskau noch relativ gut da im Gegensatz zum Land Russland, denn ein Geldfluss außerhalb Moskaus scheint nicht zu existieren. Den Architekten Russlands wird jeglicher Ehrgeiz abgesprochen, sich dahingehend zu engagieren. Doch wie viele westliche Architekten in Österreich, Deutschland, den Niederlanden oder Frankreich entwickeln von sich aus, ohne Chance auf einen Auftrag, Projekte für gesellschaftliche Interessen? Eugene Asse, Professor und Vizepräsident der Vereinigung russischer Architekten bedauert dies. Er hat Konzepte für ein günstiges, modulartiges Wohnmodell entworfen – für die Schublade. Es fand sich kein Interessent oder Investor. Doch lebt er gut – und besser – so wie viele seiner russischen Kollegen von Wohnungsausbauten und Einfamilienhäusern. Das scheint nicht außergewöhnlich. Dieser Markt ist völlig anders konstituiert als etwa jener in Österreich. In Moskau gibt es sicher die jüngste reiche Schicht in Europa, meint die russische Künstlerin Inna Chevertiska. Und die ist durchaus modern orientiert, und die Projekte sind gut budgetiert.
Unter einer Million Dollar wird praktisch kein Stein in die Hand genommen, und Häuser an die 1500 Quadtratmeter sind eher Standard als Ausnahme. Auf der ArchMoskwa wird diese schicke Architektur präsentiert. Ivan A. Chouvelev, Partner aus dem Büro arch-4 mit zirka 15 Mitarbeitern aus Deutschland, der Schweiz und natürlich Russland, liest aus der Moskauer Tageszeitung einen Bericht über die Messe vor: „Der Mainstream in der Architektur ist leicht zu beschreiben: ein reich dekorierter Modernismus, sehr teuer. Das Prinzip: Minimalismus ist hübsch, besser noch ein vergoldeter Minimalismus. Die präsentierten Projekte sprechen zu dir: ,Holz ist nett, aber besser wäre eine glänzende Oberfläche wie Titan oder Edelstahl. Wenn es Glas ist, muss es ein extrem teures Aussehen haben, und die Details wären besser auf einem Schweizer Uhren-Workshop aufgehoben.’ So präsentieren sich die Russischen Architekten der Moskauer Öffentlichkeit, dem modernen luxuriösen Geschmack entsprechend – und die Ausstellung sieht aus wie eine sehr exklusive und teure Boutiquen-Show, die nach potenten Käufern Ausschau hält.“ Auch das Haus von arch-4, ein Einfamilienhaus mit zwei Augen, fernglasähnlich, ist reich an Details und teuren Materialien. Onyxtreppen, Aquarien als Badewannen sind nicht außer-gewöhnlich für diese Häuser, deren Einrichtung meist fast voll-ständig von den Architekten entworfen wird. Natalia Tamrutschi vom Büro ardepo meint dazu: „Ich habe den Minimalismus fast satt.“ Doch auch ihr relativ kleines Büro mit drei Mitarbeitern hat genügend Aufträge. Bei einem Wohnungsumbau gibt ihre Bauherrin allein für die Handwerker, die die Möbel herstellen, 100.000 Dollar aus. An der ArchMoskwa nimmt sie vor allem aus Imagegründen teil: Der Marktwert steigt, und die Gehaltsverhandlungen gestalten sich einfacher, mit einem Preis für ihre gute Messe-Präsentation in der Tasche. Doch Natalia Tamrutschi versucht gegenzusteuern und will ein „Billigdesign“ auf den Markt bringen, das auch eine andere Gesellschaftsschicht anspricht. Klingt für Österreich nicht neu, in Moskau kommt ihr jedoch vielleicht das kürzlich eröffnete Ikea in die Quere. Für ihr Büro würde Natalia Tamrutschi gerne Architekten aus dem Westen beschäftigen, und auch andere Architekturbüros scheinen einen Mangel an Mitarbeitern zu haben. Die Ausbildung an Moskauer Architekturschulen ist relativ traditionell, klassisch ausgerichtet, und ein internationaler Kontakt ist nur bedingt möglich. Irina Korobjina organisiert in Eigeninitiative mit Unterstützung privater Sponsoren eine monatliche Vortragsreihe, zu der im Mai auch Wolf D. Prix von Coop Himmelb(l)au eingeladen war. Im Zuge der Messeveranstaltung hielten auch Matthias Sauerbruch und Dominique Perrault Vorträge. Den Mangel an Kommunikation unter den Architekten beklagt Eugene Asse und wünscht sich eine Einrichtung wie das Architekturzentrum Wien. Sein Engagement richtet sich vor allem an die Architekturstudenten, die er am neuen Lehrgang, ähnlich der Akademie der Bildenden Künste, für zwei Jahre betreut. Seine Entwürfe sind auch wesentlich unprätentiöser, wenn auch nicht kleiner. In Holz und Stein errichtet er zur Zeit Villen in der Nähe von Moskau und auf Jalta. Yuri Avvakumov, Biennale-Architekt von 1996, lässt kein gutes Haar an der Moskauer Szene. Vorträge wie jener von Wolf D. Prix sind für ihn energetisch und inspirierend. Er selbst bezeichnet sich noch als „paper architect“ und hält am Image des Künstlerarchitekten fest. „Moskau wird Las Vegas“, behauptet er, und in der Tat tauchen an vielen Moskauer Ecken Kasinos auf. Die Architekten Moskaus haben viele gutbezahlte Aufträge – dem Markt entziehen sich nur wenige. Historizismus ist ebenso wie die Postmoderne Architektur in Moskau Massenware, auch wenn Investoren sich gerne modern und fortschrittlich geben. Eine Entwicklung, die als Reaktion auf die kommunistische, rationale Architektursprache entstanden ist. Doch es ist auch anderes Potenzial vorhanden, und wer Arbeit sucht, wird in Moskau fündig.



erschienen in Architektur & Bauforum/11.Jun.03, Titelseite ff
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