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Von Antje Mayer.

FUTUROPOLIS

Der slowakische Künstler Roman Ondák, geboren 1966, hat etwas geschafft, was nicht viele seiner Herkunft und Generation zuwege gebracht haben: Er wird als „bedeutender zeitgenössischer Künstler“ bezeichnet.

Haben Sie bemerkt, was fehlt? Der Zusatz „aus Osteuropa“. Ondák zählt also längst zur 1. West-Liga! Erste Anzeichen einer Normalisierung im bisher noch eher stotternden Ost-West-Dialog? Zeit wäre es. Dass die westlich dominierte Kunstkritik gerade Ondák zugesteht, das Attribut „Ost“ wegzulassen, entbehrt nicht einer gewissen Ironie, setzt sich doch kaum ein Künstler so intensiv mit den mühsamen Hürdenläufen einer gemeinsamen kulturellen Ost-West-Annäherung -auseinander wie er. Dazu hat nicht zuletzt seine intensive Reflexion der 40 Jahre kommunistisch -geprägter Nachkriegskunstgeschichte in seinem -Heimatland Slowakei beigetragen, von westlichen Kunsthistorikern anfänglich aus Arroganz und Nichtwissen negiert, später – letztlich wohl auch aus Überforderung – kaum kommuniziert. So gehört es beispielsweise zu Roman Ondáks breit definiertem Kunstbegriff, als eine Art -Dokumentator aufzutreten und eine Ausstellung über sein Vorbild, den slowakischen Künstler Július Koller (1939–2007), im Kölnischen Kunstverein („Universálne Futurologické Ope-rácie“, 2003) zu kuratieren. Ohne Ondák hätte dieser bedeutende slowakische Künstler, der für zahllose Kollegen ein Wegbereiter war, wahrscheinlich nicht so ein starkes Comeback nach der Wende erlebt. Und damit sind wir in medias res, denn wenn man die Arbeit von Koller kennt, ist der Weg zu Ondáks Œuvre nicht mehr ganz so weit. Beiden ist die Liebe zum „Anti-Happening“ eigen. Unauffällige minimale Eingriffe in den Alltag als künstlerische Geste oder „ästhetische Operation“, wie Koller es auszudrücken pflegt. So hat Roman Ondák zum Beispiel bei der Eröffnung der Wiener Ausstellung „Kontakt … aus der Sammlung der Erste Bank“ im MUMOK (2006) 20 Personen aufgefordert, sich so wie er selbst die Schuhbänder zu öffnen und sich unter die Besucher zu mischen. Bemerkt haben dürften das im allgemeinen Gewühl bestenfalls jene Personen selbst und ein paar sehr Aufmerksame, die aber wohl nie auf die Idee gekommen wären, dass es sich dabei um eine Kunstaktion handelt, eher um ein Versehen. Für seine Performance „Lucky Coin“ warf Ondák eine Münze in eine Wasserpfütze in einem Wald in der Slowakei und dokumentierte die unspektakuläre poetische Aktion fotografisch. Eine weitere Strategie, die Ondák verfolgt, ist jene der „Anti-Bilder“, auch wenn er diesen Koller-Begriff nicht explizit und anders verwendet. Damit sind Kunstwerke, bei denen Ondák seine Autorenschaft völlig zurücknimmt, gemeint. Etwa bei der schönen Arbeit „Passage“, die 2004 während eines Artist-in-Residence-Aufenthalts in Japan entstanden ist. Ondák bat 500 Stahlarbeiter, Schokolade zu essen und aus dem Silberpapier Skulpturen zu formen, die er im Anschluss in einem Kunstraum ausstellte. Zu diesem Genre der „Anti-Bilder“ zählen auch die Arbeiten der Serie „Futuropolis“ (2006), die in der vorliegenden Ausgabe des „Report“ zu sehen sind und extra für das Magazin noch einmal neu zu einem Memoryspiel aufgelegt werden, wie es sie für ein paar Cent für Kinder in slowakischen Zeitschriftenläden zu kaufen gibt. Gezeigt wird ein kleiner Ausschnitt von insgesamt 100 zum größten Teil Amateurzeichnungen, die die Vision einer Zukunftsstadt visualisieren, die Verwandte und Freunde auf Bitte von Roman Ondák anfertigten. Die gerahmten Originalbilder waren bereits bei der Biennale in São Paulo (2006) und in der Galerie im Taxispalais in Innsbruck (2007) zu sehen. Es ist interessant, wie sehr sie an die bekannten utopischen Stadtentwürfe der britischen Gruppe „Archigram“ oder jene der österreichischen Architekturkollektive „Haus-Rucker-Co“ oder „Coop Himmelb(l)au“ Ende der sechziger, Anfang der siebziger Jahre -erinnern. Indem Ondák seine eigene Autorenschaft zurücknimmt, die Zeichnungen aber wie bedeutende Kunstwerke an namhaften Kunstorten ausstellt, hinterfragt er festgefahrene, mittlerweile kaum mehr reflektierte Riten des Kulturbetriebs, die sich nicht zuletzt im manisch betriebenen Namen-, Label- und Personenkult manifestieren. Auch regen diese Bilder zu der Frage an, wie sehr Prozesse, die den Einzelnen direkt im Alltag betreffen, wie etwa Architektur- und Stadtplanung, mit dem Bürger gemeinsam anstatt am Bürger vorbei entschieden werden. Ein (tages-)aktuelles Thema: Gerade die Hauptstädte der jungen Demokratien in Zentral-, Süd- und Osteuropa, wobei der slowakischen Hauptstadt Bratislava zusätzlich die schwierige Sonderrolle als Schwesternstadt von Wien zukommt, befinden sich derzeit inmitten eines Findungsprozesses in Richtung einer eigenen urbanen Identität. Eine Entwicklung im Eiltempo, nicht zuletzt von westlichen Investoren initiiert – die gewachsenen Strukturen und die Bedürfnisse der Stadtbewohner werden nicht selten massiv negiert. Indem Ondák die Bilder für das Memoryspiel im „Report“ noch einmal verwendet, nimmt er ihnen den Kunstwerkcharakter, ihre Einzigartigkeit, letztlich wieder weg, um ihnen eine neue Identität als Ware, Piktogramm oder Label in doppelter und vielfacher Ausführung zu schenken. Auch das ist eine typische Vorgehensweise für Ondák: Kunstwerke nach Jahren zu recyceln und ihnen neue Kontexte und Bedeutungen zu geben. Die Taktiken des Clandestinen und Heimlichen, des Negierens eines einzigen Autors und des Veränderns, die Ondáks Vorgänger Koller ab den sechziger Jahren anwendete, waren ursprünglich auch aus einer künstlerischen und persönlichen Überlebensstrategie heraus geboren, gab es doch damals keine offiziellen Räume für alternative Kunst. Jederzeit mussten der Künstler und sein Publikum die – in der ČSSR vergleichsweise strenge – staatliche Zensur und deren Strafen fürchten. Scheinbar amateurhafte Kunst und mehrere Autoren verhinderten die Personalisierung des Zensurbruchs und die Schuldzuweisung durch die Behörden. Meister der subtilen Aktion war in den späten siebziger Jahren auch der tschechische Künstler Jiří Kovanda, geboren 1953. Er minimalisierte das Minimale noch einmal, indem er etwa das Fixieren des Blicks eines anderen auf einer Rolltreppe zur künstlerischen Gebärde erhob. Der tschechische Kunsttheoretiker Jiří Ševčík interpretiert das als Politikum: „Kovandas -poetische Interventionen … stellen ein Politikum der ästhetischen Distanz zur offiziellen, institutionellen Kunst“ dar. Und da gelangen wir wieder zu Roman Ondák. Warum zieht sich ein zeitgenössischer Künstler aus dem allgemeinen Wettbewerb der Aufmerksamkeiten zurück? Genau. Aus dem gleichen Grund wie damals Koller und Kovanda: als „ästhetische Distanz zur offiziellen, institutionellen Kunst“. Ondáks Kunst ist in diesem Sinne ein Politikum.



Roman Ondák, geboren 1966 in Žilina, Slowakei,
arbeitet und lebt in Bratislava.

Ausstellungen (Auswahl) / Exhibitions (selection)
2007
Pinakothek der Moderne, München (D), (solo) „The World as a Stage“,
Tate Modern, London (UK)

2006 Level 2 Gallery, Tate Modern, London (UK), (solo) „ How to live together”,
XXVII. Biennale von São Paulo, São Paulo (BR)

2005 Galerie Martin Janda, Wien (A), (solo) „Universal Experience: Art, Life and the Tourist’s Eye”, Museum of Contemporary Art, Chicago (USA)

2004 „Spirit and Opportunity“, Kölnischer Kunstverein, Köln (D), (solo) „ Time and Again“,
Stedelijk Museum, Amsterdam (NL)

2003 „Talker“, gb agency, Paris (FR), (solo)

2002 „ I promise it’s political“, Museum Ludwig, Köln (D)

2001 „Ausgeträumt …“, Wiener Secession, Wien (A)

2000 „Manifesta 3“, Moderna Galerija, Ljubljana (SI) Bibliografie (Auswahl) / Bibliography (selection) Jessica Morgan, Jan Verwoert in: “Roman Ondák, exhibition catalogue”, BAK, Utrecht, Galerie im Taxispalais, Innsbruck, Walther König Verlag,

2007. Miyake, Akiko: “Passage”, artist’s book, CCA
Kitakyushu,

2005 . Frangenberg, Frank; Obrist, Hans Ulrich; Schöllhammer, Georg; Zabel Igor, in: “Roman Ondák, exhibition catalogue”, Kölnischer Kunstverein, Köln: Walther König Verlag, 2005. Verwoert, Jan: “Taking a Line for a Walk”, in: Frieze, No. 90/2005.
Morgan, Jessica: “First Take”, in: Artforum International, January, 2005.
Zabel, Igor: “Roman Ondák”, in: Cream 3, Phaidon Press 2003.

„Futuropolis“, 2006 Serie von 100 Zeichnungen, angefertigt von Ondáks Freunden und Verwandten, die er gebeten hatte, die zukunftige Megalopolis nach ihren Vorstellungen zu zeichnen. Fur „Report“ hat Roman Ondák exklusiv das Memory-Spiel (Cover „Report“) aus der Arbeit „Futuropolis“ entwickelt.


Artikel erschienen in: REPORT. Magazin für Kunst und Zivilgesellschaft in
Zentral- und Osteuropa,November 2007
> Link:REPORT online > Link:KunstNET Österreich - Roman Ondák- > Link:artnet Magazin über Roman Ondák in der Galerie Taxispalais-