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Gemischte Gefühle, Freude und gleichzeitig auch Angst, habe er empfunden, gibt Roger M. Buergel zu, als er vor zwei Wochen in Kassel erfahren habe, dass er von der siebenköpfigen Auswahlkommission zum künstlerischen Leiter der documenta 12 (16.6. bis 28.9.2007) auserkoren wurde. "Dass ich ein Deutscher bin", meint Buergel, "war sicher für die Jury ein Minuspunkt bei meiner Bewerbung, die eine zu deutsche documenta befürchtete." Die Welt hat diese Entscheidung mit Verwunderung aufgenommen, ist doch der 41-jährige Wahlwiener zudem in der Kunstszene kaum bekannt und hat gerade einmal eine Hand voll größerer Ausstellungen kuratiert. Seine enge Freundschaft zu Catherine David, der Leiterin der documenta 10, wurde von Insidern ins Feld geführt. Dennoch sind das Spekulationen. Von Antje Mayer.

Regierungsübernahme in Kassel/ Roger M. Buergel, Leiter der documenta 12

Wäre es nicht konsequent gewesen, seine Ehefrau, die österreichische Kunsthistorikerin Ruth Noack, mit der Buergel für gewöhnlich eng zusammenarbeitet, ebenfalls zur documenta-Leiterin zu ernennen? "Ruth ist sicherlich mit von der Partie. Aber ich weiß gar nicht", scherzt Buergel, "ob meine Gattin so scharf darauf ist. Ich muss sie nun erst einmal überzeugen." Dass Georg Schöllhammer (Jahrgang 1958), mit dem Buergel 1995 das österreichische "Kunsttheorie"-Magazin gründete, in seinem Team dabei sein wird, steht allerdings schon fest: "Ohne diese Menschen wäre ich nicht da, wo ich heute bin." Dennoch: Selbst in Wien, wo jeder jeden kennt, fragt sich die Szene: Wer ist dieser Mann? Seine Biographie ist kurz umrissen. Lästerer unken, sie hätte nicht einmal für die Bewerbung der Leitung eines Kunstvereins gereicht - auch wenn man eingestehen muss, dass viele seiner Vorgänger (etwa Jan Hoet oder Catherine David) bis zu ihrer Kasseler Kür nicht gerade weltbekannte Stars mit Superbios waren. Das Gros in der Donaumetropole, so scheint's, freut sich aber über die Wahl eines Wieners, der als sympathisch und "am Boden geblieben" gilt und - insbesondere bei der jüngeren Generation - nicht zuletzt durch seine unkonventionellen Ausstellungsdramaturgien hohes Ansehen vor Ort genießt.

Nach Absolvierung der Aufnahmeprüfung an der Wiener Akademie der Bildenden Künste (1983) studierte Buergel am Institut für Gegenwartskunst bei Johannes Gachnang. Zugleich befasste er sich im Studium mit Philosophie und Wirtschaftswissenschaften. Währenddessen war Buergel zwei Jahre lang persönlicher Sekretär des Aktionskünstlers Hermann Nitsch im niederösterreichischen Prinzendorf. Seit zwei Jahren gibt er Vorlesungen als Lektor an der Universität Lüneburg. Heuer erhielt er den Walter Hopps Award for Curatorial Achievement der Menil Collection in Houston (Texas).

Buergel kuratierte unter anderem die Ausstellung "Gouvernementalität" auf der Hannover-EXPO 2000, ein Jahr später gemeinsam mit Ruth Noack "Dinge, die wir nicht verstehen" in der Wiener Generali Foundation. Es folgten im gleichen Jahr "The Subject and Power (the lyrical voice)" auf der Art Moscow mit der Wiener Galerie Knoll. Zur Zeit läuft sein Ausstellungsprojekt "Die Regierung" im Kunstraum der Universität Lüneburg. Die Ausstellung wandert im Sommer ins Museu d'Art Contemporani in Barcelona, anschließend ins Rotterdamer Witte de With und 2005 in die Wiener Secession. Roger M. Buergels Ausstellungen verraten nicht nur seinen Hang zur Theorie und zu politischen Themen, sondern auch eine Auseinandersetzung mit der Neudefinition von Ausstellungsmethoden. Ist somit die Lüneburger Ausstellung "Die Regierung" auch eine Vorbereitung auf Kassel 2007? "Definitiv ja", meint Buergel, "meine Projekte und die Zusammenarbeit mit Kollegen und Künstlern sehe ich als Prozess, der nie abgeschlossen ist, sondern einen Denkprozess über Jahrzehnte darstellt." Mit Künstlernamen wie Peter Friedl, Allan Sekula, Andreas Siekmann oder Harun Farocki, mit denen er zusammenarbeitet, hält denn der künftige documenta-Chef nicht hinterm Berg. Überhaupt, kündigt Buergel an, werde er die Öffentlichkeit an der Genese der Ausstellungsvorbereitung mehr teilnehmen lassen und "keine Geheimniskrämerei um die Künstlerliste, die drastisch reduziert und jünger ausfallen wird und mehr Künstlergruppen beinhaltet", veranstalten.

Buergel will 2007 wieder eine Kunstausstellung in Kassel zeigen. Keine Foren à la Enwezor, sondern einfach eine Kunstausstellung, ohne lange Subtexte. Ausflüge in andere Disziplinen sind nicht zu erwarten. "Ich finde die Grenzen der Kunst ganz gut", umschreibt es Buergel. Der Aufsichtsrat der documenta erläuterte, dass man sich von ihm "Würde in Zeiten des Spektakels" erwarte. Würde? Ein Begriff, der reichlich altbacken daherkommt. Buergel hingegen verbindet damit den Hinweis auf eine allgemeine globale Verantwortung. "Ich finde, dass die Kunst die Kraft hat", so der documenta-Leiter, "für sich selbst zu sprechen. Außerdem will ich die Künstler wieder sehr viel stärker miteinbeziehen". Buergel bezieht sich bei seinem Konzept vor allem auf die erste documenta im Jahr 1955 von Arnold Bode und Werner Haftmann, "sozusagen auf die Stunde Null Deutschlands", die er im Jahr 2007 mit der derzeitigen politischen Situation in Europa in Verbindung bringen will. Überhaupt werde die nächste documenta "politischer und deutscher ausfallen, aber nicht Gefahr laufen, deswegen provinziell zu werden".

"Die Welt ist schon in Kassel angekommen", so Buergel, "man kann nun auch den Ausstellungsort wieder in einen globalen Kontext stellen". Somit werde aller Voraussicht nach auch der Kassler Stadtraum, der exemplarisch für urbane Entwicklungen stehe, als "Bühne" miteinbezogen, wobei der Kurator dabei an privatisierte Räume wie Shopping Malls denkt. Die Binding Brauerei, das weiß Buergel schon jetzt, wird er nicht mehr bespielen. Dieser Ausstellungsraum sei eher für Präsentationen wie auf einer Kunstmesse geeignet. "Ich will keine monumenta, sondern bevorzuge mehrere überschaubare Räume", so Buergel. Bis Mitte 2005 bleibt er in Wien, dann zieht er nach Kassel.



erschienen im Informationsdienst Nr.291/Dez.03,S.7ff