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Von Antje Mayer.

Der Ungarn Code

Antje Mayer sprach in Budapest mit dem jungen Sammlerehepaar Katalin Spengler und Zsolt Somloi, das sich leidenschaftlich zeitgenössischer ungarischer Kunst verschrieben hat. Beide sind Vertreter einer neuen Generation von Kunstmäzenen in Osteuropa, die s

„Sammler sind glückliche Menschen“, denke ich an jenem heißen Julitag, als ich den Zug nach Budapest besteige und freue mich, dort das Sammlerehepaar Katalin Spengler und Zsolt Somloi zu treffen. Sie gehören zu den „Top Five“ der ungarischen Sammlerszene. In einem Email hatte ich sie um ein Interview und Audienz gebeten. Lange musste ich nicht auf einen Anruf warten: „Kein Problem. Klar machen wir gerne.“ Über die höfliche Offenheit war ich erstaunt, sind Sammler doch zuweilen kapriziöse Geschöpfe, die die Öffentlichkeit scheuen, wie der Teufel das Weihwasser. „Meine Frau ist Journalistin, Kunstkritikerin und Kunstmarktexpertin, ich Chef einer Medienagentur. Wir sind das Metier gewohnt“, klärt mich Somloi auf. Ich merke schon am Telefon: Er ist ein Pragmatiker, ausgenommen höflich, aber eher ein Lächler als ein Lacher, aber wenn über seine Kunst spricht, bricht das ungarische Temperament mit ihm durch.
Zweieinhalb Stunden sind es mit der Bahn in Wiens „Schwesternstadt“ Budapest. Praktisch vor der Haustüre. Spannend neue Welt! Ich bin mit dem Ehepaar zum Mittagessen in einer dieser schicken neuen Lokale unter der Burg verabredet. Danach, so der Plan nehmen wir den Kaffee bei ihnen im Haus und sie zeigen mir ihre Sammlung moderner und zeitgenössischer ungarischer Kunst. Seit 1992 sammeln beide ungarische Moderne, seit 1996 kaufen sie Zeitgenössisches. Um die 300 Stück sind es mittlerweile, Tony Oursler und Tony Cragg sind dabei, auch Arbeiten von Kirill Chelushkin (RU) und der slowenischen Künstlergruppe IRWIN. Ihre große Liebe gilt jedoch der ungarischen Gegenwartskunst: von Akos Birkás,
Imre Bak, Róza El-Hassan, Hajdu Kinga oder Balazs Kicsiny. Für meine Ohren fremd klingende Namen. Immer wieder muss ich sie bitten, Künstlernamen für mich aufzuschreiben. Balazs Kicsiny zum Beispiel? Wie schreibt man den? „Er vertrat Ungarn auf der letzten 51. Biennale in Venedig im vergangenen Jahr!“, tadelt mich Somloi. „Sorry, ja genau. Ich habe mir das nicht gemerkt“, entschuldige ich mich.
Ich war erstaunt gewesen, als beide das Restaurant betreten hatten, wie jung, bescheiden und leger sie beide wirken. Während sie im taubenblauen Seidenanzug mit einer großen Künstlerkette noch halbwegs meiner Vorstellung einer Sammlerin entspricht, könnte Zsolt Somloi mit seinen langen Haaren und ausgewaschenem Polohemd durchaus als Spätstudierender durchgehen. Wir reden uns amikal mit Vornamen an, alles andere würde gestelzt wirken. 37 Jahre sei er alt, erzählt Zsolt unumwunden, zwei kleine Töchter, acht und zehn Jahre alt, hätten sie beide. Heiß sei es. Zsolt, der schon vor der Wende in der Werbung arbeitete, hält nicht mit Fakten hinterm Berg. Seine Firma, die Werbeplätze verkaufe, mache Gewinne auf „Weststandard“-Niveau. So bliebe ihnen genug Geld für die Kunst. Wie viel sie für Kunstwerke ausgeben pro Jahr? Beide sprechen sich auf Ungarisch kurz miteinander ab. Dann antwortet Katalin, eine ruhige Frau, die weiß, was sie will, mit ihrer ausgenommen freundlichen Art für beide: Das wollten sie lieber nicht in die Öffentlichkeit tragen. Wenig sei es nicht. Dass sie sich als Ungarn auch international renommierte Künstler wie den Japaner Tatsuo Miyajima leisten können, erfüllt sie sichtlich mit Stolz. Das Vorurteil vom armen oder wenn, dann geschmacklosen neureichen „Ostblocker“ begegnen beide oft.
Aber Zsolt Somloi und Katalin Spengler sind Vertreter einer neuen, selbstbewußten, relativ jungen, Mittelschicht in Osteuropa, gebildet und kaufkräftig. Während die Neureichen nach der Wende vorwiegend alte Meister ankauften, beginnt sich diese Generation in den vergangenen Jahren vermehrt für zeitgenössische Kunst zu interessieren. Nicht nur für international etablierte, sondern auch für Kunst aus dem eigenen Land und – das ist ein ganz neuer Trend- nach und nach sogar für Kunst aus den einstigen sozialistischen „Bruderländern“.
Der deutsche Schriftsteller Sigismund von Radecki meinte mal „Sammler sind Leute, die Seltenes zusammentragen, in der Hoffnung, dass es noch seltener wird.“ Zsolt Somloi und Katalin Spengler sind genau das Gegenteil davon.
„Uns geht es nicht ausschließlich um Wertanlagen“, so Katalin, „sondern um einen Beitrag zur Aufarbeitung ungarischer Kunstgeschichte.“ Ob sie mittlerweile Werke wieder verkaufen oder tauschen würden? Diese Frage scheint der leidenschaftlichen Kunstliebhaberin Katalin für einen Moment geradezu zu irritieren. Fast entschuldigend antwortet sie: „Nein. Bisher ist uns das viel zu mühsam erschienen. Wir sind der lokalen Szene viel zu sehr verbunden.“ Zsolt fügt an: „Wir als Ungarn verstehen ihre Codes eben am besten. Wir sehen es als unsere Verantwortung, sie zu unterstützen, den Markt in ihrem Sinne zu beeinflussen, und ihnen damit auch den Weg in den internationalen Markt zu ebnen.“
Zsolt sucht eine Flasche ungarischen Weißwein für uns aus. „Die ungarischen Künstler würden noch mehr Erfolg haben, wenn sie authentisch bleiben, ungarisch“, findet Zsolt, während er am Weinglas nippt. „Wenn interessiert das zigste Chardonnay-Plagiat. Es gibt phantastisch guten ungarischen Wein.“ Ich muss ihm Recht geben.
Nach dem Essen fahren wir in Zsolts neuem Wagen in die Budar Hügel hinter der Burg hinauf. Die Mietskasernen werden weniger, viel Grün, alte Villen, wir halten vor einem schlichten Haus, dass das Ehepaar vor ein paar Jahre gekauft und renoviert hatte. Alles modern, schlicht, nichts protzig. Diese neue Generation junger Osteuropäer hat das Understatement mehr im Blut als so mancher West-Yuppie. Ein Haus einer ganz normalen Familie, würde es nicht geradezu vollgestopft mit ungarischer Kunst sein. An jedem freien Platz an den Wänden hängt ein Bild, viel Platz hat die Tony Cragg - Skulptur neben dem Sofa nicht. Von der Gartenterrasse hinterm Haus erstreckt sich ein fantastischer Blick über das in der Nachmittagshitze schmorende Budapest. Sie hätten kürzlich junge Künstler engagiert, für ihren Garten ein Skulpturenkonzept zu erarbeiten, erzählt Katalin.
Im Keller spielen die beiden Töchter Barbiepuppe neben einer dieser menschengroßen unheimlichen Matrosen-Anker-Zwitterwesen (1999) von Balazs Kicsiny (geboren 1958). Ich frage die Kinder, ob ihnen die Kunst ihrer Eltern gefällt. „Ja“, ist die Antwort. Ihre Mutter fügt hinzu: „Sie sind mit der Kunst aufgewachsen: Sie spielen oft mit den Kleinen unserer Künstlerfreunde, lernen deren Arbeiten und Ateliers mit uns gemeinsam kennen. Uns ist der persönliche Kontakt mit den Künstler fast das Wichtigste.“ Die Sammler von morgen werden heute schon herangezogen, denke ich bei mir.
Vernissagen würden die Familie im übrigen meiden, so Zsolt, da man sie kenne. Da Katalin zudem auch noch über Kunst schreibe, würde sie auf solchen Veranstaltungen geradezu belagert. Obwohl die einzigen, die sich für ungarische Kunst engagieren würden, seien sie ja nicht. „Achtzig seriöse Kunstsammler gibt es in Ungarn“, weiß Zsolt. Wer hätte das gedacht.
In den Treppenfluren des Hauses hängen neben vielen anderen Kunstwerken Fotografien des jungen ungarischen Performers Gyenis Tibor (geboren 1970), Aufnahmen von Landschaften und Stadträumen, die der Künstler subtil bis radikal neu inszeniert und damit befremdliche surreale Szenen schafft. So eine Art ungarischer Jeff Wall, nur irgendwie humorvoller und aktionistischer. Auch die Selbstporträts von Tamás Komoróczky (geboren 1963), auf denen er seinen eigenen Kopf in der Hand wie einen Fußball hält, bringen einem zum Schmunzeln. Aus Katalin und Zsolt sprudelt förmlich die Begeisterung für ihre viele Schätze. Ein fantastischer Maler ist Szücs Attila (geboren 1967), der „Intellektuelle“, der exakt gewählte Ausschnitte aus Filmstills und Fotos nachmalt. Seltsam berührende Momentaufnahmen. Stillleben und Porträts, die an Alte Meister erinnern und dennoch hochaktuelle Dokumentationen der Gegenwart sind.
Im Schlafzimmer sieht man zwei Gemälde der Künstlerinnen Hajnal Németh (1972) und Agnes Szépfalvi (1965), gegenüber ein Bild, das einst Zsolts Vater gehörte. Es stammt aus der Zeit des „ungarischen Impressionismus“ (von Ende des neunzehnten bis in die zwanziger Jahre des zwanzigsten Jahrhunderts). Von seinem Vater hat der Zsolt die Leidenschaft für die Kunst geerbt. Schon lange vor der Wende sammelte jener Bilder dieser Zeit. Gern gesehen wurde das unter den Kommunisten nicht, denn Kunstsammeln galt als bourgeoise. Erst hatten Katalin und Zsolt an dessen Sammlung anschließen wollen, bis sie merkten, dass sie ihren eigenen Weg als Sammler gehen musste. Sie starteten mit den ungarischen „Achtziger-Jahr-Stars“, die heute schon durchaus ihren Preis Wert sind. Zu verdanken haben jene ihre Wertsteigerung und internationale Anerkennung nicht zuletzt Förderer wie dem gebürtigen Ungarn Lóránd Hegyi, der bis Ende 2001 Direktor des MUMOK Wien verantwortlich zeichnete. Wegen seines Fokus auf osteuropäischer Kunst war er in Österreich umstritten. In seinem Heimatland schätzt man ihn gerade deswegen sehr. War er seiner Zeit voraus? Ein Bild von Imre Bukta (geboren 1952), ein Künstler jener „Hegyi-Generation“, war der erste Ankauf ungarischer Gegenwartskunst von Zsolt und Katalin: „Bald aber merkten wir, Künstler unseres Alters zu sammeln bereitete uns mehr Spaß.“
Noch sei es schwer für viele jener jüngeren Künstler, außerhalb Ungarns Fuß zu fassen. „Es gibt noch viel zu wenige Galerien, die professionell arbeiten. Die Galerie Knoll, ABC-Galerie und Vintage-Galerie arbeiten jedoch durchaus auf internationalem Standard“, findet das Sammlerehepaar. „Aber auch die Künstler müssen für sich selbst etwas tun. Einige denken noch immer im sozialistischen Schema, glauben immer noch, der Staat müsse ihre Kunstwerke ankaufen“, ärgern sich Zsolt und Katalin. „Andererseits würde zeitgenössische ungarische Kunst von den staatlichen Institutionen und Museen in Ungarn viel zu wenig gefördert.“ Es sei für sie schon bezeichnend, dass der Kunsthistoriker und Kurator Zsolt Petranyi (geboren 1966), neuer Leiter der Kunsthalle Budapest, einer der wenigen Jungen auf einem Kulturposten wie diesem sei. „Aber eine neue Generation von Sammlern, Kunsthistorikerinnen und Galeristinnen wird nachkommen“, davon sind Katalin Spengler und Zsolt Somloi überzeugt.