Aktuell *Ost Über Uns Archiv Impressum English




Das Prinzip der Bekleidung, solle das „abc“ jedes Architekten bilden, meinte schon Adolf Loos, der Architekt und Österreicher. Material, Haut, Innenraum, Fassaden und Schichtungen werden gerade in jüngster Zeit wieder zu einem dominierenden Thema. In Österreich hat diese Materie Tradition – und zwar eine die gerne vernachlässigt wird, wenn man sich über Raum, Form oder Kontext auslässt. Aus diesem Grunde: Eine Replik zur Frage der Mode. Von Manuela Hötzl.

Die Mathematik der Mode/ Architektur aus Österreich: Haut Couture oder Massenware

Anlässlich der Biennale in Venedig. Der Länderschau, der WM der Architekturszene, der Pavillon per Pavillon-Ausstellung gehen wir auf die Spur, welche Bedeutung das Regionale im Internationalen hat. Für die Produktion von Architektur waren der Standort und seine Identität immer ein wesentlicher Faktor und Initial für ihre Entstehung. Architektur kommt aus einem kulturellen Kontext, der stark aus nationalen Umständen, wie Ökonomie oder Politik beeinflusst ist. Was ist spezifisch an Österreich und der österreichischen Architektur? Welche Umstände sind das für die jüngere Szene in Österreich und wie gestaltet diese Szene sie mit? Und von wem wird sie repräsentiert?

Dagegen steht, dass die Bedeutung und Repräsentation längst losgelöst ist von einem Standort und sich vielmehr auf Hochglanzseiten befindet, die nicht nur überall zugänglich, sondern sich in jedem Land immer ähnlicher werden. Sind diese Magazine nicht längst die Vogue der Architekturszene, deren Teile davon auch der „kleine Mann“ ebenso wie einen Anzug von Dior besitzen möchte? Ein wenig Polemik sei erlaubt und der Ausstellung in Venedig insofern vorgegriffen, dass auch die Pressetexte sich anfangen anzugleichen und krampfhaft das Länderspezifische hinter Allgemeingültigem zu retuschieren versuchen, oder umgekehrt.

Ohne Zweifel hat die zeitgenössische österreichische Architektur einen hohen internationalen Stellenwert erlangt. Und sie kommt aus einem bestimmten Kontext, der von niemanden so gern verdeckt oder missachtet wird, wie hierzulande. Der Stolz und das Selbstbewusstsein kommen mit dem vielfältigen Potential, das propagiert wird und hinter dem sich auch viele gerne verstecken. Die Namen versammeln eine große Datenbank in der man oft das eine nicht vom anderen unterscheiden kann – und die man nur in ihrer Gesamtheit einem Land wie Österreich zuzuweisen im Stande ist. Was hebt aber den einen von anderen ab?

In diesem Jahr von AllesWirdGut, querkraft architekten, pool und nextenterprise die Repräsentation von Österreich übernehmen. Wenig verwunderlich die Auswahl und die Tatsache das nextenterprise auch in der internationalen Schau geladen sind, weil dieses Büro auch außerhalb der Produktion eine Auseinandersetzung mit Architektur sucht.

Die drei anderen beschränken ihr Betätigungsfeld vornehmlich auf eine wirtschaftliche oder umsetzbare Architektur. Strategien, rationaler oder konstruktiver Art sind dagegen in deren Öffentlichkeit nicht vorhanden. Womit sie direkt in einer österreichischen Tradition stehen.

Und die wenigsten „jüngeren“ österreichischen Architekten sind ihrer traditionellen Ursprünge bewusst. Diese kommt aus einem anderen Kontext, der, beschränken wir uns auf diese wenigen Punkte, auf Wahrnehmung, Bekleidungstechnik und Mode begründet ist. Dies wird nicht von vornherein deutlich oder sichtbar, geht man aber Adolf Loos nach, der in seinem Essay `Das Prinzip der Bekleidung` feststellt: „Im Anfang war die Bekleidung“ oder der Aussage von Gottfried Semper „Die Klasse der Kunstindustrie hat die ersten Typen für ein Element der Architektur geliefert“ (`Bekleidungskunst`) kommt man der Sprache und Mathematik der Mode, die in dieser Architektur begründet ist, schon näher. Textiler Kunst, Handwerk oder Mode sind Themen mit denen sich diese Architekten auseinander setzten und dieses Land damit grundlegend beeinflussten.

Mode ist eine Metapher für die Ambivalenz einer Individualisierung und Kollektivierung.
Die Art der Mode, ihre Farben, Formen und Funktionalität sind auch Zeichen für einen ständigen Wandel der Gesellschaft. Nicht nur oberflächig oder äußerlich zeigen die Mode und ihre Erscheinungen gesellschaftliche Unterschiede, Zugehörigkeit, Position, Schicht oder Nachahmung. Sie war und ist ein Zeichen der Zeit, das sich nie auf Kleidung beschränkt, aber in ihr den geeignetsten und deutlichsten Träger der jeweiligen Gegenwart und ihren kulturellen Kontext aufweist. Nicht immer unter dem Gesichtspunkt der Funktionalität oder Bequemlichkeit. So schreibt Loos über die Unbequemlichkeit von Uniformen, die nur dann sinnvoll erscheint, wenn „diese auch dem Sinne des Menschen, der sie tragen soll, entspricht“ (`Die Englische Uniform`). Dieser Anspruch birgt einerseits deren Funktionalität, die bis ins Detail beschrieben wird, andererseits deren Materialität, Symbolkraft und Stellung. Mode kann dem Träger ebenso wie Uniformen einiges abverlangen. Ein Beispiel von Loos: Die Schuhmode, die „mal klein, bald groß, bald spitz“, verschiedene Füße verlangen würde. Doch prinzipiell wird wohl immer der Fuß Grundlage für einen Schuh darstellen, auch wenn Material, Form oder Äsethik von einem einfachen, funktionalen Gebrauch abweichen. Dennoch ist Mode nie reine Bekleidung und ebenso ist Architektur nie bloßes Bauen.

Österreichische Architektur ist ambivalent modisch – mit allen Stilfragen und deren Bedeutung, die sich dabei stellen und gegenüberstehen. Ob barock, klassisch, abstrakt, funktional, sachlich. Diese Stile und Haltungen finden sich in der vielfältigen österreichischen Architektur mit bedingungsloser Konsequenz – aber es findet sich nie ein Bekenntnis zur Mode. Im Gegenteil, die Eigenschaft modisch zu sein, wird von Architekten nicht unbedingt als Kompliment aufgefasst. In der Architektur ist „modisch“ gleichgesetzt mit kurzlebig und damit wird Architektur ungern in Zusammenhang gebracht.

Viel lieber erscheint es hierzulande, sich des Begriffs des Dienstleisters zu bedienen, mit dem sich Architekten hierzulande gerne assoziieren, und der darüber hinaus den künstlerischen Aspekt mitliefert. Auch dies ist bezeichnend für eine modische Haltung. Einerseits will man damit die Architektur aus dem Bereich des Künstlertums heben, deren Status zuvor hart erkämpft wurde, andererseits schließt man gerade damit an die Vergangenheit der medialen Strategien der 60ziger Jahre an und „verkauft“ bloß einen anderen Begriff damit. Was nichts anderes bewirken soll als Öffentlichkeit, Marketing und Aufträge. Nichts anders wollte eine Generation davor. Und nichts anders als die Möglichkeit einer Umsetzung. Anders ist die modische Komponente des Dienstleisters, der neben einer Kostengarantie auch ein wenig Lifestyle etc. mitverkauft. Das Visionäre ist komplett ausgeschaltet. Utopien verpönt.

Und so bedeutet Mode auch immer einen Bruch mit der Vergangenheit aus derer sie sich bedient. Was anders kann Wolf Prix mit „Vatermord“ gemeint haben?

Der moderne, und modische, Mensch bedient sich heutzutage aller Stilrichtungen, direkt oder indirekt, kehrt zu alten Formen zurück und eignet sie sich an. Das Individuelle ist geboren - wieder einmal. Der ständige Wechsel von Mode, der sich immer schneller vollzieht, bedient sich gerade deswegen immer öfter aus allem was sich ihm bietet: Elemente, Materialien, Formen wiederholen sich endlos, werden neu zusammengesetzt oder interpretiert und verwischen die Spuren der Herkunft. Die Mode, die Architektur und schlussendlich die Bilder, die daraus entstehen, verbreiten sich und werden erst Recht zu Mode. Doch die Verbindungen sind noch über die Generationen hinaus vorhanden, auch wenn sie gerne übersehen werden.

Mode ist heute uniform, universal und fast überall gleich. Und dennoch existiert das Besondere in ihr. Auch wenn der Haut Couture der Massenware zum Opfer fiel, der ebenso modische Ansprüche genügte und gerade in der industriellen Fertigung eine größere Verbreitung ihrer Stile erreichen konnte. Und trotz dieses ständigen Wandels, zeigt nun die gerade die Mode „die höchst merkwürdige Eigenschaft, dass jede einzelne Mode doch gewissermaßen auftritt, als ob sie ewig leben wollte“. (Georg Simmel, Die Philosophie der Mode). Dies betrifft Mode gleichermaßen, wie Ideale, Gesinnungen oder Architektur. Deren Nachhaltigkeit bei Bauaufgaben wie Lokalen, Geschäften, Büros oder Wohnungen, die einen nicht zu vernachlässigen Teil für kleinere oder beginnende Architekturbüros darstellen, sind nicht garantiert. Es sind aber Bauaufgaben, die schon Loos oder Hollein zu internationalen Ruhm verholfen haben.

Und die Art einer Bekleidungstechnik, die nach Loos einer Wahrheit der Materialien zugrunde liegt, lässt auch ein Umfeld zu, in dem ein „Prachner“ im Fischer von Erlach mit umlaufendem Bücherregal und eine Architektur mit Steinfassaden existieren kann. Beide agieren mit Fassaden, Einhüllungen, Bekleidungstechnik, und argumentieren doch mit Raum. Loos ist als „Materialist“, wie er selbst sagt „abgefertigt“ worden. Und immer noch sind viele österreichische Architekten Materialisten, deren Umgang damit das Spezielle ausmacht. Nicht die reine Bekleidung ist gemeint, das Materielle kann auch Skulpturahle Formen annehmen, wie in den Don Gil Shops von `AllesWirdGut` oder ganz eindeutige wie die Verkleidung des Hauses DRA von `querkraft`. Im Wesentlichen sind das Beispiele einer funktionalen, leistbaren Mode, die Allgemeingültigkeit und längst schon einen Sonderstatus erreicht hat – und dabei das Formale nie außer Acht lässt.

Die österreichische Architektur hat ein, und das ist die Wiederholung der Wiederholung, ein hohes Potential. Was damit anzufangen ist, bleibt aber im Dunkeln. Vereinsmäßige Zusammenschlüsse, kuratorenlose Ausstellungskonzepte, Datenbanken oder Marketingstrategien sollen und können zwar die Auftragslage, die Bedingungen rund um Architektur kurzfristig verbessern, die Architektur selbst bringen sie nicht weiter. Modisch zu sein ist ein Weg, und nicht der schlechteste, der nur in einem absoluten und kompromisslosen Weg funktioniert – der andere wäre seiner Tradition oder seiner Zeit wieder visionär zu begegnen.

Wo auch immer dieses Bewusstsein beginnen mag, es muss mit den Bildern, den Gewohnheiten, der Wahrnehmung neu umgegangen werden. Die Mode wird schon morgen eine andere sein. Denn: „Das Wesen der Mode besteht darin, dass immer nur ein Teil der Gruppe sie übt, die Gesamtheit aber sich erst auf dem Weg zu ihr befindet. Sobald sie völlig durchdrungen ist, d.h. sobald einmal dasjenige, was ursprünglich nur einige taten, wirklich von allen ausnahmslos geübt wird, wie es bei gewissen Elementen der Kleidung und der Umgangsformen geschah, so bezeichnet man es nicht mehr als Mode. Jedes Wachstum ihrer treibt sie ihrem Ende zu, weil sie dadurch die Unterschiedlichkeit aufhebt.“



Georg Simmel, `Philosophie der Mode´
> Georg Simmel