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Mitte der 20ziger Jahre wurde vom niederländischen Architekten Theo van Doesburg der Begriff der „Konkreten Kunst“ geprägt. Dieser bezeichnete eine Kunstrichtung, die nur sich selbst repräsentiert, keinerlei symbolische Bedeutung und keine Naturvorbilder hat. Sie geht von einer Wahrheit und Wirklichkeit der Grundelemente aus, der Linie, Fläche und Farbe in ihrer ursprünglichsten Form. Durch die Formung dieser Elemente soll eine Kunst entstehen, die geprägt ist von Reinheit, die frei von Assoziationen ist und nur sich selbst genügt. Von Manuela Hötzl.

Konkrete Abstraktion

“The work of art is the expressional or formative aspect of this intellectual, active experience of reality.” (Theo van Doesburg) (1)

Losgelöst von einer Gegenständlichkeit sollte eine „neue Realität“ kreiert werden, in der einzig das Kunstobjekt existiert. Neue geometrische Formen und skulpturahle Formalität, bestimmen diese Ästhetik, der bewusst jeder Kontext fehlt. Ein Jahrzehnt später wurde der Begriff der „Konkreten Kunst“ von dem Schweizer Künstler Max Bill zu einer allgemeinen Bezeichnung für diejenigen Richtungen in der Moderne, die auf der Grundlage rationaler Konzepte autonom und objektiv mit Farben und Formen in der Fläche und im Raum arbeiteten. Wesentlich für die Kunst und in weiterer Folge für die Architektur, ist die Haltung, die hinter dieser Definition steckt. Die Haltung der Moderne, deren Auffassung von Kunst, Objekt und Subjekt sich von derer davor grundlegend unterscheidet. „Die Moderne ist eine Geisteshaltung“, schreibt gleichfalls Peter Eisenman, die auch als „Kritik der vormaligen humanistischen, anthropozentrischen Haltung betrachtet werden kann, die den Menschen als allmächtiges und durch und durch rationales Wesen verstand, das im Mittelpunkt seiner physischen Welt stand.“(2) Le Corbusier ist für Eisenman dahingehend der „malerischste und abstrakteste“ und damit modernste Architekt, der Architektur zu einem „selbstreferentiellen Zeichen“ macht: „Eine Architektur über Architektur“. Ein wesentliches Anzeichen dafür ist die Darstellung mittels Axonometrie, die ein distanzierteres Verhältnis zum Objekt erzeugt und die Architektur wie eine Maschine betrachten lässt und selbst deren Stil kopiert. Ebenso wie für Le Corbusier, Doesburg oder auch Eisenman ist die Repräsentation ein wichtiger Bestandteil dieses Verständnisses von Architektur. Und nie ohne ästhetische, formale Ansprüche. Doesburg schreibt über die Illustration: „Here begins aestetic transformation (represantation) into another reality; a reality deeper than the momentary, special, arbitrary reality, a cosmic reality.“ (3). Doesburg verlangt nach etwas “Neuen”, aber auch die Distanz zum Objekt. Der Schöpfer bleibt auch immer der Beobachter, und somit außerhalb. Eisenman schließt an diese Vorstellung vom Verhältnis „Objekt-Subjekt“ direkt an, indem er behauptet, dass „dieses neue Verständnis zur Objektwelt eine neue Möglichkeit eröffnet, gänzlich neue Existenzformen innerhalb dieser selbst zu entdecken.“ (4) Die Veränderung der Darstellung lässt für ihn auch auf einen „Wandel in der Beziehung zwischen Mensch und Objekt schließen.“ (5)

Nun hat zwischen Doesburg und Eisenman eine grundlegende Veränderung in der Produktion von Architektur stattgefunden, die weniger ideellen, denn praktischen Ursprungs ist: Der Computer. Dieses Werkzeug ermöglicht eine weitaus größere Distanz zum Objekt, bereits während des Entwurfsprozesses und erweiterte deren Darstellungsmöglichkeiten. Das Wesentliche aber ist, dass der wissenschaftliche Aspekt, nach Marcus Novak seit dem 15. Jahrhundert verloren, wieder für die Architektur von Bedeutung wurde. Insbesondere die Mathematik. Es wurde möglich Regeln für eine Formfindung aufzustellen, die ganz dem Computer überlassen wurde. Der Erzeuger dieser Architektur wurde zum Beobachter des Systems, in dem er einzig die Parameter bestimmte. Es kam so zwar zu neuen Formen in der Architektur, gleichzeitig war es unmöglich, und ist es zum Teil immer noch, diese auch wirklich zu bauen. Dennoch entspricht der Möglichkeit der vollkommenen „Abwesenheit“ des Schöpfers eine wichtige Rolle und entspricht der veränderten Sichtweise der Moderne auf das Objekt.

Betrachtet man nun die Architektur von Weichlbauer/Ortis wirken die Projekte nicht von vornherein wie computergenerierte Modelle und doch haben sie etwas Fremdartiges, Artifizielles. Form und meist auch Farbe, wie die schwarze „Wohnirritation“ oder die gelbe „wohnDNA“ sind aus einem Guss und vermitteln eine konstruierte Strenge und Distanz des Objekts. Einfache geometrische Formen und ein spielerischer Umgang mit bekannten Elementen, Größen oder Symbolen, fügen sich zu einer formalen Geste, die sich völlig beziehungslos zum Umfeld abheben. Die Bauten sind konkrete Abstraktionen, Zeichen, eine „Architektur über Architektur“. Weichlbauer/Ortis schließen direkt an die Tradition Doesburgs an und entsprechen der Auffassung des modernen Architekten wie sie Eisenman beschreibt, Architektur bleibt für sie „Kunst und keine Unterkunft“: objekthaft, formal, ohne jeglichen Kontext, ohne Vorbilder oder Symbolik: „Wenn Architekten über Anpassung an die Landschaft sprechen oder über Raumgefühle, dann sind das Ausreden. Architektur ist letztlich immer eine erstarrte Form. Damit muss man sich auseinandersetzen.“ Der Computer stellt für sie nichts anderes als eine neue Möglichkeit der Auseinandersetzung mit der Form bzw. der Formfindung dar. Dieser Formalismus, der sehr stark in der Architektur von Weichlbauer/Ortis deutlich wird, ist dennoch nie das Thema. Wie schon für Peter Eisenman, geht es nicht um eine „Symbolisierung der Form“ oder darum „die Funktion nicht zu thematisieren“, sondern um eine Integration von Erkenntnissen, die zu einer „neuen Realität“ führen. Was keinesfalls bedeutet, dass die Wirkung in der Realität auf vor allem ästhetische Komponenten abzielt. Dennoch gehen Weichlbauer/Ortis ganz pragmatisch vor: Parameter, wie Funktion, Statik, Raum, Machbarkeit oder Benutzer, sind ein Teil einer aufgestellten Matrix und werden dennoch nie zum Leitgedanken. Für sie wird Platons Definition: "Architektur sollte die gebaute Wiederspiegelung der besten Erkenntnis sein, die Menschen von der Struktur des Universums besitzen." zum Grundsatz aller Methodik, die prinzipiell wissenschaftlich ist. Dabei bedienen sie sich allen möglichen Erkenntnisse aus Wissenschaft und Technik. Raumgefühle oder das Erlebnis von Architektur spielen keine Rolle. Als Architekten, Künstler oder Schöpfer stehen sie distanziert der Werdung des Objekts gegenüber, wie sie selbst sagen: als Beobachter und Teil des Systems in dem zwar immer wieder Entscheidungen treffen und Regeln aufstellen, deren Auseinandersetzung aber wichtiger wird als deren Einflussnahme. Sie lassen nie den Computer entwerfen, sondern setzen ihn als integrierten Bestandteil in den verschiedensten Phasen des Projekts ein. Als bekennende Postmodernisten ist ihre Architektur eine Transformation von Bekannten und schafft dennoch eine neue Wirklichkeit, deren Bestandteil sie sind. Die Repräsentation ist immer Teil dieser Transformation. Sogar ihre eigenen Portraits oder Logos werden dieser Verfremdung unterworfen und zu einem eigenständigen repräsentativen Objekt, das sich immer aus der Distanz definiert. So lässt sich auch bei den Bauten nie sofort das Zusammenspiel von Form und Funktion klar definieren.
Bei jeder Betrachtung kommt ebenso wie bei den verschiedenen Präsentationsebenen eine Verfremdung dazu. Peter Eisenman geht, wenn er über Postfunktionalismus spricht, von
einer neuen theoretischen Grundlage aus, die das „humanistische Gleichgewicht von Form und Funktion in ein dialektisches Verhältnis innerhalb der Entwicklung der Form selbst verwandelt.“ (6). Diese Dialektik soll aus zwei Tendenzen entstehen, wovon die erste „die architektonische Gestalt als nachvollziehbare Transformation eines gegebenen geometrischen Körpers“, und die andere als „atemporale, dekompositorische Weise betrachtet, als die Vereinfachung einer bestehenden Anzahl unspezifischer Einheiten“ begründet ist. Diese Dialektik lässt sich bei den Projekten von Weichlbauer/Ortis ablesen. Ihre Architektur ist eine der Vereinfachung, der Verfremdung und der Dekonstruktion. Schon Doesburg versuchte sich bei seinen Bildern, die er „Contra-Composition“ nannte, mit einfachsten geometrischen Mitteln indem er etwa Diagonalen einfügte, oder räumlich beim Theater „Ciné-dancing“ (1927), in der Dekonstruktion und Verfremdung geometrischer Figuren und Objekten.
Bei Weichlbauer/Ortis lässt sich das besonders beim Projekt „wohnDNA“ ablesen. Der erste Entwurf des Wohnbaus entstand aus einem algorithmischen, dreidimensionalen Muster, das über das Grundstück gelegt wurde. Die Besonderheit des Objekts entstand durch die Stapelung der Wohneinheiten, die immer wieder Zwischenräume, Terrassen und überdachte Freiflächen entstehen ließen. Die Behörde lehnte den völlig neuen Bautyp ab und so mussten die Architekten sehr schnell reagieren. Doch da ihr Projekt einer mathematischen Regel folgte, konnten die Architekten durch die Veränderung der Parameter das Projekt an die neue Mathematik der „wohnDNA“ anpassen. Die Freiräume fielen weg, die Wohneinheiten wurden neu gestapelt und das Projekt verdichtete sich. Der Skulpturahle Charakter blieb ebenso wie alle Fensterelemente. Das gesamte Gebäude setzt sich im Wesentlichen aus einem Fensterformat, einem Türformat und einem Balkonelement zusammen. Wobei die einzelnen Teile nicht immer genau die ihr bestimmten Funktionen übernehmen. Der dreigeschossige Bau ist als solcher nicht mehr wahrnehmbar, ebenso wie deren funktionale Bedeutung. Vordach oder Terrasse? Das hat keine Bedeutung und ist letzten Endes die Idee der „konkreten Kunst“ die auf das „optisch Wahrnehmbare“ abzielt, das zum betrachtenden Objekt wird und zu einer „neuen Realität“. Das ist das Artifizielle und die formale Skulptur, die für sich selbst steht. Architekt wie auch der Benutzer dieser Form sind Teil dieses Systems, das am Beispiel der „wohnDNA“ auch andere Formen und Realitäten annehmen könnte. Der Ort, der Kontext hat keine Bedeutung und ist doch integriert. Das Projekt „wohnDNA“ agiert mit allen bekannten Elementen der Architektur, auch den banalsten. Was macht also die Besonderheit aus. Eisenman geht dieser Frage an Hand des „Dom-ino Diagramms“ nach: „Obgleich alle Gebäude Türen, Fenster, Wände und Fußböden besitzen, sind dennoch nicht alle Gebäude Architektur.“ Und kommt zu dem etwas polemischen Schluss, dass das „Maison Dom-ino ein Zeichensystem darstellt, „welches auf den einfachsten Zustand der Architektur verweist, der sie von der Geometrie und von Geometrie plus Nutzung und Bedeutung unterscheidet.“ Mit dieser Interpretation sei es ein Projekt, dass eine „moderne und selbstreferentielle Zeichenhaftigkeit reflektiert“. (7)
Weichlbauer/Ortis ist ein spezielles Beispiel für eine angewandte moderne Architekturauffassung, die formal nicht eindeutig, aber unverwechselbar wird. Ihre Methodik ist nie rein formal, das Ergebnis dann doch. Weichlbauer/Ortis sind keine Repräsentanten einer spezifischen regionalen oder nationalen Architektursprache, sie stehen in einer Tradition der Moderne, die sich durch eine Haltung und Geisteshaltung definiert, die genauso ortlos ist, wie ihre Architektur. Ihre Methodik ist jene der Uniformität, die das Handwerk, das Material, die Technik verinnerlicht hat und mit einer neuen Kollektion auf den internationalen Laufsteg erscheint.



(1) „Principles of Neo-Plastic Art“; Lund Humphries, London, 1968; First Chapter VII, Theo van Doesburg; Page 13
(2) Aura und Exzess”, Passagen Verlag, 1995; “Aspekte der Moderne: Die Maison Dom-ino und das selbstreferetielle Zeichen“, Peter Eisenman, Page 44
(3) Principles of Neo-Plastic Art“; Lund Humphries, London, 1968; Third Chapter, “The mixed aesthetic Experience”, Theo van Doesburg; Page 21
(4) Aura und Exzess”, Passagen Verlag, 1995; “Aspekte der Moderne: Die Maison Dom-ino und das selbstreferetielle Zeichen“, Peter Eisenman, Page 46
(5) Aura und Exzess”, Passagen Verlag, 1995; “Aspekte der Moderne: Die Maison Dom-ino und das selbstreferetielle Zeichen“, Peter Eisenman, Page 50
(6) Aura und Exzess”, Passagen Verlag, 1995; “Postfunktionalismus“, Peter Eisenman, Page 40
(7) “Aura und Exzess”, Passagen Verlag, 1995; “Aspekte der Moderne: Die Maison Dom-ino und das selbstreferetielle Zeichen“, Peter Eisenman, Page 63